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Strafanzeige gegen Ameos Strafanzeige gegen Ameos-Klinik Aschersleben: Starb 60-jährige Frau an mangelnder Pflege?

Von Torsten Adam 26.08.2018, 08:53
Ein Bild aus glücklichen Zeiten: Karin Flügel, Sohn Andreas, Ehemann Helmut und die von Geburt an schwerstbehinderte Tochter Kerstin. Die inzwischen verstorbene fünffache Mutter hatte sich zeitlebens um die Pflege ihres heute 34 Jahre alten Kindes gekümmert.
Ein Bild aus glücklichen Zeiten: Karin Flügel, Sohn Andreas, Ehemann Helmut und die von Geburt an schwerstbehinderte Tochter Kerstin. Die inzwischen verstorbene fünffache Mutter hatte sich zeitlebens um die Pflege ihres heute 34 Jahre alten Kindes gekümmert. Karsten Flügel

Wohlsdorf - Nach dem Tod einer 60 Jahre alten Wohlsdorferin erhebt ihre Familie massive Vorwürfe gegen Krankenhaus-Betreiber Ameos. Sie reichen von mangelhafter Pflege über falsche Medikamentengabe und nicht genehmigte CT-Untersuchungen bis hin zu unterlassener Hilfeleistung während des 25-tägigen Aufenthalts im Klinikum Aschersleben. Ameos will sich aus Datenschutzgründen und wegen der ärztlichen Schweigepflicht nicht konkret zu den Vorwürfen äußern.

Vater und Sohn erstatteten Strafanzeige bei Polizei

„Die haben unsere Familie zerstört. Ich mache mir nun auch große Sorgen um meine schwerstbehinderte Tochter“, sagt Helmut Flügel. Mit seinem Sohn Karsten stellte er wegen des Todes seiner Ehefrau Karin bei der Polizei Strafanzeige.

Im Rahmen eines Todesermittlungsverfahrens ordnete ein Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft eine Obduktion des Leichnams an. Die Ergebnisse stehen noch aus. Karin Flügel war am 2. August zu Hause verstorben, eine Woche nach der Entlassung aus der Klinik auf Familienwunsch.

Gericht ordnete eine Obduktion des Leichnams an

Besonders brisant an den Anschuldigungen: Karsten Flügel richtet sie gegen seinen Arbeitgeber. Der 41-Jährige arbeitet als Pfleger im Klinikum Staßfurt. Wegen des Stellenabbaus seit der Privatisierung der Salzland-Kliniken würden ihn ohnehin Gewissensbisse plagen, ob Patienten so versorgt werden wie es sein müsste. „Was früher vier bis fünf Mitarbeiter erledigt haben, machen jetzt zwei“, sagt er.

Als Ameos im Frühjahr 2012 die drei Krankenhäuser in Bernburg, Aschersleben und Schönebeck kaufte, waren dort 1.870 Menschen beschäftigt. Heute arbeiten nach Angaben von Sprecherin Alexa von Dossow an vier Standorten - Staßfurt wurde wiedereröffnet - etwas mehr als 1.500. Das entspricht einem Minus von rund 20 Prozent.

20 Prozent der Stellen wurden seit 2012 abgebaut

Ausgangspunkt der Familientragödie ist Anfang Juni ein häuslicher Unfall. „Meine Frau ist über den Teppich gestolpert und gegen einen Sessel gestürzt“, berichtet Helmut Flügel. Ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich Tage später.

„Sie hatte Hunger ohne Ende, ihr war schlecht, doch sie bekam keinen Bissen runter“, erinnert sich der 60-Jährige. Die Familie entschließt sich, Karin Flügel wegen der Beschwerden ins Krankenhaus nach Staßfurt zu bringen, wo auch Sohn Karsten arbeitet.

Eine Woche bleibt sie, ihr Zustand wird nicht besser. Als sich bei einer Untersuchung der Verdacht einer Darmverschlingung ergibt, wird die Patientin am 2. Juli in das auf derartige Erkrankungen spezialisierte Ameos-Klinikum Aschersleben transportiert und dort notoperiert.

Ein Bauchwandbruch wird ebenfalls bei der übergewichtigen Frau behandelt. „Dass meiner Mutter während der OP auch der Blinddarm entfernt wurde, haben wir erst später aus dem Entlassungsbericht erfahren“, sagt Karsten Flügel.

Wurde die Notfallklingel am Bett abgestellt?

Der Ehemann formuliert weitere Vorwürfe gegen Ameos. „Die Notfallklingel am Bett meiner Frau wurde außerhalb der Reichweite ihrer Arme gehängt. Als ich klingelte, passierte nichts, die Klingel war ausgeschaltet.“

Auch Essen und Trinken seien zeitweise so platziert gewesen, dass sie unerreichbar waren. „Wenn ich sie täglich besuchte, hörte ich sie vor Schmerzen schreien. Ich musste jedes Mal draußen mehrere Minuten warten, bis ich ins Zimmer durfte.“ Seine Frau sei dann medikamentös so ruhig gestellt worden, dass „ich nicht mehr mit ihr sprechen konnte“.

Familie holt Karin Flügel gegen ärztlichen Rat nach Hause

Weil das Vertrauen ins Krankenhaus immer weiter sinkt, entschließt sich die Familie, Karin Flügel gegen den Rat der Ameos-Ärzte am 26. Juli nach Hause zu holen.

Dort macht sie eine schreckliche Entdeckung: Die 60-Jährige habe einen Dekubitus schwersten Grades im Bereich des Kreuzbeins erlitten. „Die haben meine Mutter regelrecht verfaulen lassen“, klagt Karsten Flügel.

Im Staßfurter Klinikum habe er sich jeden Tag nach Feierabend um sie gekümmert - als Krankenpfleger und Sohn. Bis zur Überweisung nach Aschersleben habe sie definitiv kein Druckgeschwür gehabt.

Woher es rührt, ahnt er: „Durch die stundenlange OP auf dem harten Tisch.“ Seine Mutter habe an folgenden Tagen immer über Schmerzen im Rückenbereich geklagt, das Personal jedoch auf Nachfrage beschwichtigt und einen Dekubitus verneint.

„So etwas Schlimmes habe ich noch nie gesehen“

Erschüttert vom Zustand der Wohlsdorferin ist auch ein außerhalb der Familie stehender Augenzeuge. Der Mann, der beruflich regelmäßig mit Pflegebedürftigen zu tun hat, bestätigt gegenüber der MZ die Darstellung der Familie: „So etwas Schlimmes habe ich noch nie gesehen.“

Aus dem Ameos-Entlassungsbericht geht hervor, dass Karin Flügel mit „gerötetem Gesäß“ auf der Intensivstation aufgenommen wurde und sich das Druckgeschwür trotz geeigneter Luftkammermatratze und Prophylaxemaßnahmen gebildet hat.

Experte sieht Indizien für schlechte Pflege

Hat Ameos tatsächlich genug unternommen? „Bildet sich ein Dekubitus 4. Grades heraus, wird das in der Branche allgemein als schlechte Pflegequalität angesehen“, sagt Patrick Jahn, Leiter der Pflegeforschung an der Uniklinik Halle auf MZ-Anfrage.

Zwei, drei Stunden Druck wie auf einem harten OP-Tisch würden ausreichen, um einen solchen Prozess anzustoßen. Geeignete Unterlagen seien deshalb bei Patienten mit Dekubitus-Risiko ratsam. „Wenn eine Hautrötung festgestellt wird, vermerken wir das in der Uniklinik im Übergabeprotokoll, damit im OP geeignete Lagerungsmöglichkeiten geschaffen werden“, erklärt der Experte.

Wenn die Angehörigen von der Klinik nicht über den Dekubitus informiert worden sind, sei das seltsam. „Es spräche nicht für die Einrichtung, so mit diesem Problem umzugehen“, so Jahn.

Kinder kümmern sich um ihre im Sterben liegende Mutter

Nach der Entlassung kümmern sich alle fünf Kinder um ihre im Sterben liegende Mutter. „Sie blühte noch mal zwei, drei Tage auf. Es war aber ein aussichtsloser Kampf. An diesem Dekubitus, verursacht durch schwere Pflegefehler, wäre auch jeder sonst gesunde Mensch gestorben“, sagt Karsten Flügel.

Das verpilzte Druckgeschwür habe eine Sepsis durch Staphylokokken, besser bekannt als Krankenhauskeime, verursacht.

Direktor der Ameos-Kliniken antwortet nicht

Sebastian Lehotzki, Direktor der Ameos-Kliniken in Aschersleben und Staßfurt, lässt mit Hinweis auf ärztliche Schweigepflicht und Datenschutz einen MZ-Fragenkatalog zu den Vorwürfen im Detail unbeantwortet.

Es sei bedauerlich, dass die Familie nicht den Weg zu ihm suchte. „Denn ich bin fest der Überzeugung, dass wir alle genannten Vorwürfe hätten entkräften können.“ Der Verlust eines nahen Angehörigen sei immer schmerzlich und mit vielen Emotionen verbunden.

„Das kann ein traumatisches Ereignis darstellen"

„Das kann ein traumatisches Ereignis für alle Betroffenen darstellen. Umso wichtiger ist es, Unklarheiten mit uns zu besprechen“, so Lehotzki. Seine Tür stehe für Familie Flügel weiterhin offen.

Zu einem Dialog wird es wohl bald kommen. „Ich bin nach Ende meiner Krankschreibung von meinem Chef zum Gespräch einbestellt worden“, sagt Karsten Flügel, der sich derzeit intensiv um seine Schwester Kerstin kümmert.

Nach dem Verlust der Mutter, die sie 34 Jahre lang rund um die Uhr umsorgte, habe die Schwerstbehinderte apathisch gewirkt, kaum noch gegessen. Inzwischen gehe es ihr wieder etwas besser.

Dankbar ist Karsten Flügel für die riesige Anteilnahme im Dorf. „Unser Briefkasten ist voll mit Trauerbekundungen, die Leute haben schon Tränen in den Augen, bevor sie uns ihr persönliches Beileid ausdrücken.“ Am Donnerstag hat die Familie Karin Flügel zu Grabe getragen. (mz)