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Unbegleiteter Flüchtlingsjunge aus Syrien Unbegleiteter Flüchtlingsjunge aus Syrien: 13-Jähriger über seinen Weg nach Aschersleben

Von Marion pocklitz 04.11.2015, 09:57
Shadi mit seinen Freunden Cevin (l.) und Lukas.
Shadi mit seinen Freunden Cevin (l.) und Lukas. frank gehrmann Lizenz

Aschersleben - Er spielt am liebsten mit seinen Freunden Cevin, Lukas und Jakob Fußball und Tischtennis. Auf seinem Nachtschrank liegt „Gregs Tagebuch“ und wenn er den Fernseher anschaltet, dann sieht er am liebsten Disney-Filme.

Seit einigen Tagen müssen die Landkreise mehr unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge aufnehmen. Das Land geht von rund 800 bis Jahresende aus. Das Problem: ein höherer Verwaltungsaufwand. Die Kreise müssen die Kinder unterbringen, herausfinden, ob sie Verwandtschaft in Deutschland haben, einen Kita- oder Schulplatz suchen und einen Amtsvormund bestellen. Wie viele unbegleitete Kinder sich im Kreis aufhalten und welche Herausforderungen damit verbunden sind, konnte die Verwaltung am Dienstag auf MZ-Anfrage nicht sagen.

Shadi ist 13 Jahre alt, stammt aus Syrien und ist vor gut einem Jahr nach Deutschland gekommen. Allein. Ohne Eltern, ohne Großeltern und ohne Geschwister.

Der Junge, der die sechste Klasse der Ascherslebener Burgschule besucht, hat einen Teil seiner Kindheit verloren. Geraubt wurde sie ihm vom Krieg in seiner Heimat, vom Überlebenskampf in einem Flüchtlingslager in Ägypten, von der gefährlichen Schifffahrt über das Meer mit 600 anderen Flüchtlingen und kaum Essen. Glaubt man seinen Erzählungen, musste er das alles ganz allein ertragen. Zu Ostern erst konnte er seine Eltern und seinen Bruder wieder in die Arme schließen.

"Ich hatte selten so einen motivierten Schüler"

Auf den ersten Blick sieht man ihm nicht an, was er durchgemacht hat. Er lächelt schüchtern und knetet die Hände, wenn er nervös ist. Sein Deutsch ist mittlerweile sehr gut und seine Wissbegierde ungebremst. „Ich hatte selten so einen motivierten Schüler. Da ist jede extra Deutschstunde gut investiert“, sagt seine Lehrerin Heike Herms. „Die Sprache ist mir wichtig. Ich möchte mich mit den anderen Kindern unterhalten“, begründet Shadi seinen Ehrgeiz.

Und so kann er auch seine Geschichte erzählen: Vom schweren Abschied zunächst von den Großeltern, die ihm prophezeiten, dass sie sich wohl nie wieder sehen werden. Die Familie flüchtete zunächst aus Duma im Südwesten Syriens in die Hauptstadt Damaskus. Von dort ging es nach Ägypten. „In der Schule dort tragen die Jungs ein Messer. Ein syrischer Junge ist gestorben“, erzählt er.

Erinnerungen an die Reise

Shadi wollte von dort weg und so entschied er gemeinsam mit den Eltern, über das Meer zu flüchten. Allein. Denn seine Mutter hätte diese Reise vermutlich nicht überlebt, weil sie zu diesem Zeitpunkt krank gewesen sei. „Aber ich wollte unbedingt nach Deutschland. In ein Land, wo ich lernen kann“, sagt der Syrer. So stieg er auf ein Schiff, auf dem noch mehr Kinder und sogar Babys waren. Das Essen, das er sich eingesteckt hatte, musste für die 13-tägige Überfahrt nach Italien reichen. „Der Abschied von den Eltern ist mir schwergefallen. Ich träume heute noch davon. Von dem vollen Schiff, vom Schlafen auf dem Boden und den hohen Wellen“, sagt er.

An seiner Seite sei ein Onkel gewesen. Ein anderer habe die Fahrt nach Deutschland organisiert. Zwei Tage war er im Auto unterwegs, bevor er hier eintraf. „In Aschersleben lebte ein Verwandter, der viele Jahre zuvor schon geflüchtet war“, sagt er. Trotzdem hat Shadi zunächst bei einem Soziallotsen gewohnt und einen Vormund bekommen.

Ungewissheit um Zustand der Großeltern

Seine Eltern durften Ostern mit dem Flugzeug einreisen. „Es war schön, als sie endlich hier waren“, sagt er.

„Wir alle haben lange darauf gewartet. Denn die Einreise wurde etliche Male verschoben“, weiß seine Klassenlehrerin. Shadis größter Wunsch ist nun, seine Großeltern wieder zu sehen. Auch wenn dieser wohl kaum in Erfüllung gehen wird. Denn den Nachrichten im Internet musste er entnehmen, dass das Haus seiner Familie zerbombt ist. „Trotzdem wünsche ich mir das so sehr“, sagt er und hat dabei feuchte Augen, bevor er zu seinen Freunden läuft, um mit ihnen Fußball zu spielen. (mz)

Der 13-jährige Shadi aus Syrien lernt bei Lehrerin Heike Herms Deutsch. Vor über einem Jahr ist er nach Deutschland gekommen. Allein!
Der 13-jährige Shadi aus Syrien lernt bei Lehrerin Heike Herms Deutsch. Vor über einem Jahr ist er nach Deutschland gekommen. Allein!
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