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US-Team sucht nach vermissten Soldaten US-Team sucht nach vermissten Soldaten: Spurensuche nach abgestürztem Bomber bei Großpösna

Von Christian Schafmeister 24.04.2015, 06:50
Ein solcher B-17-Bomber ist bei einem Angriff der Amerikaner am 30. November 1944 über Großpösna bei Leipzig abgeschossen worden.
Ein solcher B-17-Bomber ist bei einem Angriff der Amerikaner am 30. November 1944 über Großpösna bei Leipzig abgeschossen worden. dpa Lizenz

Grosspösna - Es ist ein kleines, handtellergroßes Stück Metall, das Terry E. Hunter zwischen seinen Fingern hält und mit dem er und sein Team große Hoffnungen verbinden. „Wenn ich zurück in den USA bin, ist es dieses Stück, das ich meinem Chef zuerst präsentieren werde.“ Sein Chef, das muss man wissen, sitzt auf der Pazifikinsel Hawaii. Hunter steht an diesem trüben Mittwochmorgen derweil in einem Waldstück bei Großpösna, wenige Kilometer südöstlich von Leipzig. Das Metallteil, da sind sich Hunter und sein Kollege Greg Lynch sehr sicher, ist ein Regler, mit dem die Besatzungsmitglieder amerikanischer B-17-Bomber im Zweiten Weltkrieg ihre Sauerstoffzufuhr eingestellt haben.

Doch der Regler ist für die beiden Amerikaner nur ein erster Schritt: Was Hunter und Lynch mit einem achtköpfigen Spezialistenteam im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums eigentlich suchen, ist etwas anderes. 70 Jahre nach Kriegsende sind sie dabei, die sterblichen Überreste amerikanischer Bomberbesatzungen in Mitteldeutschland aufzuspüren. Und so wie es aussieht, wurde am 30. November 1944 auch bei Großpösna ein B-17-Bomber der US-Luftwaffe abgeschossen. Zwei der insgesamt acht Besatzungsmitglieder gelten bis heute als vermisst.

Einer, der die Amerikaner bei ihrer Arbeit tatkräftig unterstützt, ist Bernd Weisbrich. Als stellvertretender Bürgermeister der Nachbargemeinde Belgershain hat er nicht nur in manches Archiv geschaut, sondern er hat als Vorsitzender des örtlichen Heimatvereins den Amerikanern auch einen Zeitzeugen vermittelt, der 1944 - kurz nach dem Abschuss des Bombers - als damals 17-Jähriger an der Absturzstelle gewesen ist.

„Die Maschine lag offenbar total zerfetzt in einem Waldstück, in den Bäumen hingen noch die Stiefel der Soldaten“, erzählt Weisbrich. Am Rande des Waldgebietes, rund 300 Meter entfernt, sei damals ein Stück des Hecks gefunden worden. „Fünf der toten Besatzungsmitglieder wurden zunächst im Umland beigesetzt.“ In den Jahren 1946 und 1947 hätten die Amerikaner aber die Leichname exhumiert und auf Soldatenfriedhöfen in Frankreich und Belgien beigesetzt. Das entspricht dem amerikanischen Grundsatz, keine Toten im Feindesland zurückzulassen. Ein sechster Amerikaner, wahrscheinlich der MG-Schütze im Heck des Bombers, sei leicht verletzt neben den Bahngleisen gefunden worden und in Gefangenschaft geraten.

Auf der nächsten Seite: Fast 1.000 B-17-Bomber waren 1944 auf dem Weg zu den Chemieanlagen in Mitteldeutschland. Viele werden abgeschossen. Die beschwerliche Suche nach den vermissten Soldaten in den Wäldern von Großpösna.

Um die sterblichen Überreste der beiden verbliebenen Soldaten finden zu können, braucht das Spezialistenteam zunächst die genaue Absturzstelle. Dabei hilft ihnen ein Luftbild, das die US-Luftwaffe kurz nach Kriegsende gemacht hat. Die Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigt ein Waldstück, in dem zwischen den Bäumen ein weißer Fleck zu sehen ist - die Absturzstelle. „Wir haben die Aufnahme vor einigen Tagen dem Revierförster gezeigt. Er konnte den Ort lokalisieren und hat uns dann dort hingeführt“, sagt Jörg Dietsche, der nicht nur als Dolmetscher für die Amerikaner arbeitet und viele Türen öffnet, sondern als ehemaliger Tornado-Pilot der Bundeswehr auch viel Sachverstand mitbringt.

Es war eine gewaltige Streitmacht, die sich am 30. November 1944 im englischen Kimbolton auf den Weg gemacht hat, sagt Dietsche. „An dem Tag stiegen dort fast 1.000 amerikanische B-17-Bomber auf, die von Hunderten Jagdfliegern begleitet wurden.“ Knapp zwei Stunden später erreichten sie ihr Ziel: Chemieanlagen in Mitteldeutschland, in denen Treibstoff für die Wehrmacht hergestellt wurde, unter anderem in Leuna, Zeitz und Lützen. „Diese Ziele hatten für die Amerikaner höchste Priorität“, erläutert Dietsche. Und die B-17-Bomber mit dem Spitznamen „Flying Fortress“ (fliegende Festung) galten als ausgesprochen widerstandsfähig, sie waren selbst nach schweren Schäden oft noch flugfähig. Doch die Wehrmacht wusste um die Bedeutung der Chemieanlagen, daher konzentrierte sie dort ihre Luftabwehr. „Letztlich wurden von den 500 Bombern der einen Formation an diesem Tag 17 abgeschossen“, berichtet Dietsche.

Als er und die amerikanischen Spezialisten die Absturzstelle bei Großpösna erreichen, finden sie einen rund vier mal vier Meter großen und einen Meter tiefen Krater vor. Ein Areal von 100 mal 200 Meter suchen sie in der Folge systematisch mit Metalldetektoren ab. Überall, wo die Geräte anschlagen, setzen die Spezialisten kleine rote Fähnchen. Alles wird dokumentiert, zahlreiche Fotos werden gemacht, viele Fundstücke - wie etwa der Sauerstoffregler - eingesammelt. Doch reicht all das aus, um das eigentliche Ziel zu erreichen und die sterblichen Überreste der beiden Vermissten zu finden?

Greg Lynch hält das durchaus für möglich. Normalerweise, erzählt er, gliedere sich die Arbeit in solchen Fällen in vier Phasen. Zunächst werden in den USA Nachforschungen angestellt und parallel Kontakte zu Bürgermeistern, Historikern und Heimatforschern in Deutschland aufgebaut. So haben die Amerikaner etwa schon seit Beginn des Jahres Kontakt zu Bernd Weisbrich. Verdichten sich die Hinweise auf eine Absturzstelle, komme in einem zweiten Schritt wie eben jetzt in Großpösna ein Spezialistenteam aus Analysten, Historikern, Sanitätern und Munitionsspezialisten. „Unsere Funde werden in unserem Hauptsitz auf Hawaii ausgewertet. Dann wird entschieden, ob in einer dritten Phase ein Ausgrabungsteam geschickt wird“, erklärt Lynch. „Im Falle von Großpösna halte ich das für wahrscheinlich.“ Sollten die Experten sterbliche Überreste der Vermissten finden, werden diese im Labor untersucht. Lässt sich, etwa mit Hilfe von DNA-Spuren, die Identität eindeutig klären, werden die Hinterbliebenen informiert.

Erdreich wird gesiebt

Der Einsatz eines Grabungsteams ist aber nicht nur sehr teuer, sondern auch aufwendig. „Auf dem gesamten Areal, das vorher abgesucht wurde, wird das Erdreich 30 Zentimeter weit abgetragen“, erzählt Dietsche. Anschließend wird der Inhalt jedes einzelnen Eimers gesiebt und auf Spuren untersucht. Das passiert derzeit in einem ähnlichen Fall in Ludwigslust (Mecklenburg-Vorpommern). „Bereits ein einzelner Knochen oder ein Zahn können den entscheidenden Hinweis liefern.“ Und auch der frühere Bundeswehr-Pilot ist nach den Eindrücken vor Ort sicher, dass die Amerikaner die Spuren in Großpösna weiterverfolgen. „Was wir hier gefunden haben, ist auf jeden Fall schon einmal ein Erfolg.“ (mz)

Dieser alte Sauerstoffregler ist das wichtigste Fundstück an der Absturzstelle. Es stammt zweifelsfrei aus einer amerikanischen Maschine.
Dieser alte Sauerstoffregler ist das wichtigste Fundstück an der Absturzstelle. Es stammt zweifelsfrei aus einer amerikanischen Maschine.
Andreas Stedtler Lizenz
An der Absturzstelle des B-17-Bombers in Großpösna ist noch der Krater zu sehen. Terry E. Hunter, Greg Lynch und Jörg Dietsche (von links) haben dort viele Spuren gesichert.
An der Absturzstelle des B-17-Bombers in Großpösna ist noch der Krater zu sehen. Terry E. Hunter, Greg Lynch und Jörg Dietsche (von links) haben dort viele Spuren gesichert.
Andreas Stedtler Lizenz
Der Stift deutet auf die Bahnstrecke, neben der ein Teil des Hecks gefunden wurde. Die eigentliche Absturzstelle zeigt der weiße Punkt links im Wald.
Der Stift deutet auf die Bahnstrecke, neben der ein Teil des Hecks gefunden wurde. Die eigentliche Absturzstelle zeigt der weiße Punkt links im Wald.
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