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SPD-Landeschef  SPD-Landeschef Burkhard Lischka wirbelt Sachsen-Anhalts Politik durcheinander

Von Hagen Eichler 29.11.2016, 12:00
Burkhard Lischka ebnete der Kenia-Koalition den Weg.
Burkhard Lischka ebnete der Kenia-Koalition den Weg. dpa

Magdeburg - Das Ambiente ist gediegen: Jugendstilfenster, holzvertäfelte Wände, ein massiver Kamin mit der Jahreszahl 1896. In vertrauter Runde mit 70 Sozialdemokraten aus Halle und Umgebung hat Burkhard Lischka Gelegenheit, sich zu erklären, die Basis „mitzunehmen“, wie Politiker das gern nennen.

Sieben Tage ist es her, dass der SPD-Landesvorsitzende einen SPD-Minister zum Rücktritt genötigt hat. Viele fragen sich, was los ist in Magdeburg. Lischka tritt ans Pult und beginnt zu reden: Über die AfD, die den Sozialstaat ruinieren wolle. Über die SPD, die schon immer für die Demokratie einstand. Über die CDU und ihre Scheindebatten zur inneren Sicherheit.

Das war’s?

Das war’s. Lischka nimmt sich keine Zeit für Trauerarbeit. Er ist schon weiter, beim nächsten Bundestagswahlkampf. Über Wirtschaftsminister Jörg Felgner, gestolpert über undurchsichtige Beraterverträge: kein Wort.

Burkhard Lischka räumt wichtige Politiker aus Sachsen-Anhalt aus dem Weg

Seit sieben Monaten führt der 51-Jährige Sachsen-Anhalts Sozialdemokraten. Und schon zum zweiten Mal hat er eine tragende Figur der Regierungskoalition aus dem Weg geräumt.

Die erste war Landtagspräsident Hardy Peter Güssau von der CDU. Der Stendaler konnte den Verdacht nicht ausräumen, einen Wahlbetrug in seiner Heimatstadt vertuscht zu haben. Lischka war der Erste, der den Rücktritt forderte. Elf Tage später ging Güssau.

Viele in der Landespolitik grübeln seither über Lischkas Motive. Unter Christdemokraten wird der Titel eines Italowesterns zitiert: „Leichen pflastern seinen Weg“. In der SPD-Fraktion erhob sich die bange Frage, wer denn als Nächster fällig sei.

Lischka erstaunen solche Reaktionen. Seine Rücktrittsforderungen sieht er als Akt politischer Hygiene. „Ich habe für menschliche Fehler Verständnis. Aber die Demokratie kann nicht funktionieren, wenn sich der Eindruck festsetzt, dass politische Ämter ausgenutzt werden. Da muss man einen harten Schnitt machen und darf nicht auf strafrechtliche Ergebnisse warten.“

Burkhard Lischka stützt sich nicht auf eine Machtbasis bei der SPD in Magdeburg

Erfahrung mit einem Landesvorsitzenden, der die Magdeburger Käseglocke von außen betrachtet, haben weder CDU noch SPD. Alle bisherigen Parteichefs stützten sich auf eine Machtbasis in der Landeshauptstadt, als Abgeordnete oder Minister. Alle kannten einander, seit vielen Jahren. Wechselseitige Rücktrittsforderungen waren bislang verpönt.

Beispiel Detlef Gürth: Im Sommer des vergangenen Jahres wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft gegen den damaligen Landtagspräsidenten von der CDU wegen Steuerhinterziehung ermittelte. Niemand wagte es, die nötigen Konsequenzen anzusprechen. Über drei quälende Monate zog sich die Hängepartie, erst dann gab Gürth auf.

Lischka hingegen forderte sogar einen eigenen Mann zum Rücktritt auf. Und sorgte dafür, dass es die Öffentlichkeit sofort erfuhr. Unter diesem Druck hatte Felgner keine Wahl als von seinem Amt zurück zu treten.

Nach der desaströsen Wahlniederlage vom März hatte Lischka den Parteivorsitz übernommen. Über die genauen Umstände gibt es verschiedene Erzählungen. Zwei davon sind ohne Zweifel Teil der Wahrheit. Eine dritte klingt äußerst gewagt - hat aber eine prominente Quelle.

Wieso Burkhard Lischka den Vorsitz der SPD in Sachsen-Anhalt innehat? Es gibt mehrere Varianten

Nach Lischkas eigener Darstellung konnte er sich gegen das Amt schlicht nicht wehren. Tief zerstritten sei die Partei gewesen, zwischen den Lagern habe es keinen Gesprächsfaden mehr gegeben. „Ich hatte die Hoffnung, dass der Kelch an mir vorübergeht.“ Doch irgendwann hätten ihn alle angesehen. Die Koalitionsverhandlungen drängten. Also sagte er ja.

In der zweiten Variante der Geschichte spielt eine weitere Person mit: SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel, der einmal vier Jahre lang in Magdeburg gelebt hat und die Genossen in Sachsen-Anhalt besonders im Blick hat.

Am Morgen nach dem Wahldebakel griff Gabriel zum Telefon, um seinen Fraktionskollegen Lischka in die Pflicht zu nehmen. Gabriel kann äußerst überzeugend sein. Also sagte Lischka ja.

Nicht zu beweisen ist Geschichte Nummer drei, die nun endgültig in der obersten politischen Liga spielt. Ihr zufolge war es die CDU-Landesspitze, die sich hilfesuchend an ihre Bundesvorsitzende wandte, an Angela Merkel. Die Kanzlerin, so der Wunsch, möge doch bitte auf Gabriel einwirken – mit dem Ziel, Sachsen-Anhalts kopf- und ratlose SPD in den Hafen einer Koalition zu führen. Ein Spiel über Bande also.

Verschwörungstheorie? Eine wichtige Person aus der Landes-CDU schildert den Ablauf auf diese Weise. Sicher ist: Die CDU in Magdeburg ist zwingend auf die SPD angewiesen, will sie nicht das Tabu brechen und mit der AfD regieren. Und Lischka hat schon einmal eine Koalition mit der CDU vorbereitet: 2013 in Berlin.

Vor der damaligen Bundestagswahl erzählte Lischka, eine Große Koalition werde die SPD ziemlich sicher nicht eingehen. Nach der Wahl kam es anders, und Lischka spielt in dem Bündnis als innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion keine unmaßgebliche Rolle.

Als Abgeordneter des Salzlandkreises hat Burkhard Lischka einen vollen Terminkalender

Der Abgeordnete für Magdeburg und einen Teil des Salzlandkreises ist unermüdlich unterwegs. Um 5.30 Uhr beginnt sein Tag. Nicht nur in Berlin, bei Verhandlungen über neue Sicherheitsgesetze, sondern auch beim Treffen mit der Seniorengruppe oder Feuerwehrleuten will er vorbereitet sein.

Sein Hang zur Pedanterie sei durch seinen Beruf als Notar wohl noch verschlimmert worden, sagt er. Beim Hetzen durch den Tag begleiten ihn Süßigkeiten und Menthol-Zigaretten. Allein in der abschließenden Runde der Magdeburger Koalitionsverhandlungen paffte er 19 Zigaretten.

Im Wiederaufbau seiner Partei ist Lischka nicht so weit, wie er gern wäre. Der neue Landesvorstand will die 143 Ortsvereine im Land ermutigen, mit Veranstaltungen an die Öffentlichkeit zu gehen. Parteilose Mitstreiter sollen mehr Wertschätzung erfahren, eine Führungsakademie ist geplant.

Im Frühjahr soll die Partei bei einem Kongress festlegen, wofür sie eigentlich stehen will. Es geht um Distanz zu Jens Bullerjahn, dem SPD-Finanzminister, der jahrelang mit eisernem Konsolidierungskurs die Debatten prägte. Das habe den Menschen Angst gemacht, sagt Lischka. „Die SPD hat da ein tiefes Glaubwürdigkeitsproblem bekommen.“

Als sehr gut vorbereitet und bestens vernetzt beschreibt SPD-Landesvize Markus Bauer den Parteichef nach sieben Monaten im Amt. Ex-Justizministerin Angela Kolb-Janssen sagt über ihren einstigen Staatssekretär, Lischka brenne für seine Themen. „Er weiß aber, dass er zu wenig Zeit hat für das Parteiamt. Die SPD will viel gestreichelt werden. Das kann er im Moment nicht leisten.“

Manche in der Partei schmerzt, wie kühl Lischka Felgner beiseitegeschoben hat. „Die Entscheidung war richtig. Vom Stil her kann man so etwas auch anders machen“, sagt Norbert Born, SPD-Vorsitzender in Mansfeld-Südharz.

Die CDU grollt noch immer wegen des erzwungenen Abgangs von Güssau. Der Führungsriege ist aber auch bewusst, dass es Lischka war, der die Kenia-Koalition überhaupt möglich gemacht hat. „In den Verhandlungen hat er sich als verlässlicher Partner erwiesen“, bestätigt CDU-Chef Thomas Webel. Auch Ministerpräsident Reiner Haseloff, der sich einmal im Monat mit Lischka trifft, lobt „Verlässlichkeit und Eindeutigkeit“.

Für Lischka ist die Parteiführung ein Job auf Zeit. Ende 2017 soll Schluss sein, die nächste Generation soll übernehmen. Ob er geeignete Kandidaten sieht? Lischka lächelt und nickt. Und schweigt. (mz)