1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. MZ-Interview mit Karl-Heinz Daehre: MZ-Interview mit Karl-Heinz Daehre: Ex-Minister will Maut für alle

MZ-Interview mit Karl-Heinz Daehre MZ-Interview mit Karl-Heinz Daehre: Ex-Minister will Maut für alle

09.06.2014, 13:34
Bis 2011 und insgesamt zwölf Jahre lang war er Verkehrsminister, 16 Jahre Landtagsabgeordneter, fünf Jahre CDU-Landeschef: Karl-Heinz Daehre
Bis 2011 und insgesamt zwölf Jahre lang war er Verkehrsminister, 16 Jahre Landtagsabgeordneter, fünf Jahre CDU-Landeschef: Karl-Heinz Daehre Uli Lücke Lizenz

Magdeburg/MZ - Anzug-Pflicht war gestern. Braun gebrannt, im Polohemd und zehn Kilo leichter als zu Minister-Zeiten lacht Karl-Heinz Daehre (CDU) auf dem Magdeburger Domplatz mit der Sonne um die Wette. Bis 2011 und insgesamt zwölf Jahre lang war er Verkehrsminister, 16 Jahre Landtagsabgeordneter, fünf Jahre CDU-Landeschef - am Mittwoch wird er 70. Zur Kommunalwahl ist er nicht mehr für den Börde-Kreistag angetreten und hat sich endgültig aus der Politik verabschiedet. Über Abschiedsschmerzen und gutes Regieren sprach mit ihm Kai Gauselmann.

Herr Daehre, Sie haben sich aus der Politik verabschiedet. Tut’s weh?

Daehre: Nicht mehr. Als ich als Minister aufgehört habe schon. Das ist wie in jedem anderen Beruf auch: Einerseits freut man sich, dass man mehr Zeit hat  - andererseits  merkt man, dass man nicht mehr an Entscheidungsfindungen beteiligt ist. Ich hatte aber Glück, dass ich schnell mit der Leitung der Kommission zur „Zukunft der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur“ beauftragt wurde. So ging es nicht von 100 auf Null runter, das hat den Abschied leichter gemacht.

Mit der Kommission haben Sie konkrete Vorschläge gemacht. Hat die Bundespolitik auf Sie gehört?

Daehre: Der erste Schritt ist getan mit der Ausweitung der Lkw-Maut auf Bundesstraßen. Die nächsten müssen folgen: Eine Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Straßen  und eine Maut auf alle Pkw.

Halten Sie so eine unpopuläre Idee für umsetzbar?

Daehre: Unsere Kommission hat viele Vorschläge unterbreitet. Der Königsweg der Verkehrspolitiker ist und bleibt die alte Forderung, künftig einen deutlich größeren Teil der Mineralölsteuer und Kfz-Steuer für die Verkehrswege auszugeben. Da marode Verkehrswege nicht nur den Wirtschaftsstandort, sondern die Mobilität aller in Deutschland negativ beeinflussen, hatten wir den Auftrag, auch eine verstärkte Nutzerfinanzierung, kurz Maut, zu untersuchen. Dabei wurde eines sehr schnell klar: Wenn die Politik diesen Weg einschlagen will, brauchen wir eine Garantie, dass das Geld nicht in der großen Staatskasse verschwinden darf, sondern in sogenannten Infrastrukturfonds fließen und dann ausschließlich für die Sanierung der Verkehrswege zur Verfügung stehen muss. Maut ist also kein Tabu. Aber auf die Rahmenbedingungen wird es ankommen. Es gibt 43 Millionen Pkw in Deutschland. Wenn Sie da pro Pkw im Schnitt pro Jahr 50 Euro – eine halbe Tankfüllung – als Maut nehmen, kommen über zwei Milliarden Euro im Jahr zusammen und diese Einnahmen müssen zusammen mit der Lkw-Maut auf Bund, Länder und Kommunen aufgeteilt werden. Wenn die Menschen sicher sein können, dass das Geld wirklich in die kaputten Straßen fließt, kann man dies auch vermitteln.

Als Minister waren Sie ständig auf Achse, fahren sie noch gerne Auto?

Daehre: Ja, ich lerne auch jetzt erst richtig die Städte zwischen Havelberg und Zeitz kennen. Früher bin ich gefahren worden und habe dabei Akten gelesen oder telefoniert und war immer abgelenkt - jetzt sehe ich viel mehr vom Land. Auch deshalb fahre ich gerne Auto, aber zunehmend weitere Strecken mit der Bahn. 

Auf der nächsten Seite: Daehre über seine Höhen und Tiefen im Politikerleben und Rücktrittsgedanken.

Was war das Highlight Ihres Politiker-Lebens?

Daehre: Persönlich die Einheit Deutschlands und die Verleihung der Bundesverdienstkreuzes erster Klasse. Auf das Land Sachsen-Anhalt bezogen die „Internationale Bau-Ausstellung“ und der Aufbau einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur. Die internationale Würdigung für Sachsen-Anhalt bezogen auf die  Bauausstellung erfolgte durch die Verleihung des Architekturpreises in Barcelona. Bemerkenswert ist, dass auf die Plätze zwei und drei die Projekte aus New York und Rio de Janeiro folgten.

Stimmt die Anekdote, dass Sie den Verlauf der A 14 selbst mit Bleistift eingezeichnet haben?

Daehre: So nicht. Wir haben den Verlauf verschoben, das ist richtig. Als mir der Plan gezeigt wurde, habe ich gesehen, dass der Verlauf durch eine Gegend führte, wo wir ein  Gewerbegebiet erschließen wollten.  Daraufhin bin ich nach Bonn gefahren und habe den Trassenverlauf mit dem damaligen Bundesverkehrsminister Günther Krause und der für Raumordnung zuständigen Bundesministerin Frau Adam-Schwaetzer korrigiert. 

Und was war Ihre dunkelste Stunde?

Daehre: Ganz klar der Landtagswahlabend 1998. Da war ich CDU-Landesvorsitzender.  Nur 23 Prozent für uns und die DVU kam auf 13 Prozent - dass wir so abgestraft werden, hatte ich nicht erwartet. Da war ich ziemlich am Ende.

Haben Sie überlegt, aus der Politik auszusteigen?

Daehre: Ich bin noch mit dem Nachtzug nach Bonn gefahren, um mit Helmut Kohl   zu sprechen. Ich hatte vor, als Landesvorsitzender zurückzutreten. Kohl hat aber gesagt: Das können Sie nicht machen,  im Herbst ist Bundestagswahl. Man hat ja nicht nur Freunde, und so wurde im Land der Druck auf mich immer größer. Das war schwierig, aber ich konnte schließlich nicht einfach sagen: Helmut Kohl hat gesagt, ich muss bleiben.

Es begannen für Sie magere Politikerjahre?

Daehre: Ja. Nach der Bundestagswahl habe ich meinen Rückzug als Landesvorsitzender angekündigt. Für mich war aber auch klar: So trittst du nicht aus der Politik ab. Ich habe mich als Landtagsgeordneter in die Sacharbeit gekniet und unter anderem mit meinem Staatssekretär Dr. Gottschalk eine Bauordnung ausgearbeitet.

Wobei ihre Wirkung begrenzt blieb.

Daehre: Natürlich! In der Opposition ist man doch in der Eunuchen- Rolle. Man weiß wie es geht – kann aber nichts wirklich bewegen. Wenn die CDU nach der Wahl 2002 nicht mit der FDP eine Koalition hätte bilden können, dann wäre ich aus der Politik ausgestiegen. Du arbeitest, bringst dich ein -  kannst am Ende aber nichts gestalten. Dass wäre auf die Dauer nichts für mich als Naturwissenschaftler gewesen.

Sie galten neben Reiner Haseloff als Anwärter auf die Böhmer-Nachfolge. Was wäre Ihnen als Ministerpräsident wichtig gewesen?

Daehre: Im Kabinett muss man ein Team sein, aber am Ende muss einer entscheiden. Dabei muss man viele Konflikte intern abfangen können, damit sie nicht nach außen dringen  - auch wenn das den Journalisten nicht immer schmeckt.

Auf der nächsten Seite: Lieblingsministerpräsidenten und Rot-Rote Bündnisse.

Sie haben einige Ministerpräsidenten erlebt, wer war der beste?

Daehre: Ganz klar Böhmer. Wegen seiner Kompetenz,  Ruhe und Besonnenheit. Und er hatte Mut, auch unpopuläre Entscheidungen durchzutragen. Er hat dem Land Sachsen-Anhalt auch in seiner Außenwirkung gut getan.

Geht regieren auch ohne so ein Gerumpel mit Gezerre in der Koalition, Streit über Reformen und Massendemonstrationen?

Daehre: Ich würde mir manchmal wünschen, dass einiges handwerklich runder gemacht würde, bevor man die Themen nach außen trägt. Zu Demonstrationen: Wenn unpopuläre - oder aus der Sicht der Demonstranten falsche Entscheidungen - Demonstrationen provozieren, sind die legitim. Wir sind ja vor 25 Jahren auf die Straße gegangen, damit man seine Meinung sagen kann. Bei den Universitäten und Fachhochschulen kann man sicher in dem einen oder anderen Fall Sparmöglichkeiten erzielen. Aber was Innovationen angeht, brauchen  wir die Hochschullandschaft dringend. Zu empfehlen wäre aus meiner Sicht eine verstärkte Kommunikation der beteiligten Partner ohne große Beteiligung der Öffentlichkeit.

Sie haben von 1998 erzählt. Haben Sie Angst davor, dass es 2016 Rot-Rot geben könnte?

Daehre: Angst nicht. Ich glaube aber für die weitere wirtschaftliche Entwicklung von Sachsen-Anhalt, wäre es nicht gut. Die acht Jahre Tolerierung sind der beste Beweis.

Brandenburg ist aber auch nicht untergegangen.

Daehre: Vieles bei der Linken widerspricht meinem Politikverständnis. Ich finde beispielsweise, dass man nicht immer mehr staatliche Sozialleistungen versprechen kann. Das Geld muss erst einmal erwirtschaftet werden. Ganz zu schweigen von den völlig falschen Ansichten der Linken zur Außenpolitik Deutschlands.

Wenn Sie die aktuelle CDU-Generation anschauen, haben Sie Favoriten?

Daehre: Ich möchte meine Antwort auf zwei Personen der jüngeren Generation beschränken, auf die ich stolz bin. Die Einschätzung kann ich deshalb mit ruhigem Gewissen geben, da beide in meinem ehemaligen Ministerium beschäftigt waren. Da ist einmal der Fraktionschef André Schröder. Alle Achtung, wie er die Fraktion managt, was bekanntermaßen in einer  großen Koalition nicht leicht ist. Und zum anderen dem finanzpolitischen Sprecher Kay Barthel.