Fachfrau fürs Übersinnliche Walpurgisnacht: Wie arbeitet heute eigentlich eine Hexe?

Thale - Ein Messer ins Schlüsselloch stecken. Salz auf die Türschwelle streuen. Baldrianzweige aufhängen. Corinna Rasch kennt alle diese Vorkehrungen gegen Hexenspuk in der Walpurgisnacht. Und darauf können Sie Gift nehmen, so lässt sich die einzige Vollhexe Sachsen-Anhalts nicht bremsen.
Ihr Geschäftsmodell ist nicht ganz neu, seine Blütezeit liegt im späten Mittelalter. Heute ist eine Hexe nicht mehr von der Obrigkeit verfolgt. Aber dafür muss sie eben auch Steuern zahlen. Wie die Frau aus Gernrode (Harz) ihr zauberhaftes Handwerk mit uralten Sprüchen und ganz eigenem Witz betreibt, davon kann sich jeder von Samstag auf Sonntag auf dem Hexentanzplatz in Thale überzeugen.
Dort wollen sich Dutzende von Hobby-Hexen versammeln. Einige kommen auch aus Niedersachsen, Thüringen und Sachsen. Sie alle wollen dem Original nacheifern - Corinna Rasch, die nach eigenem Bekunden die Zukunft weissagen und böse Geister vertreiben kann. Das Interesse, einen Blick in die Zukunft zu wagen, ist den Voranmeldungen zufolge beträchtlich. Was dabei überrascht: „95 Prozent meiner Klienten leiden unter einem Partnerschaftsproblem“, sagt die bald 50-Jährige.
Während die übrige Hexen-Schar in der Nacht der Nächte auf Goethes Spuren unterwegs ist, verlässt sich Rasch auf ihre weibliche Intuition. Die Hobbyhexen bleiben vor dem symbolischen Abflug zum Brocken ganz beim Dichterfürsten und seinem Vers: „So geht es über Stein und Stock, es farzt die Hexe, es stinkt der Bock.“ Die wahre Hellseherin lässt solcherart Ritual kalt. Sie greift zu ihren geheimnisvollen Karten oder zu einem der hypnotischen Pendel. Was, wann, wo - Glück im Spiel oder Pech in der Liebe?
Hexe ist nicht gleich Hexe
Der Normaltarif liegt bei 32 Euro, telefonisch oder via Internet geht es auch billiger. Dafür gibt es eine Seelen-Massage von der Fachfrau, die in ihrem ersten Leben Gärtnerin im Fernsehgerätewerk Staßfurt gewesen ist. „Doch Hexe war ich wohl schon immer.“
Als Kind, so erzählen es Verwandte, glaubt sie, auf der Mondsichel eine Frau zu sehen. In finanzieller Not wünscht sie sich später einen kleinen Lottogewinn. Prompt bringt ihr der Glücksbote 8 000 Euro. In der Nachbarschaft gelingt ihr ein kleines Wunder: Mit Stößel, Mörser und Zauberkanne bringt sie böse Geister dazu, ein zuvor lange leerstehendes Haus zu verlassen. Die neuen Besitzer, anfangs genervt von nächtlichem Getöse und Gestank, sind ihr noch Jahre danach dankbar.
Des Pudels Kern: Hexe ist nicht gleich Hexe, behauptet Rasch selbstbewusst. Doch der große Unterschied, auf den sie setzt, ist auf den ersten Blick nicht unbedingt erkennbar. Gewiss, ihr langes Haar, das bis auf die Schultern fällt, ist wirklich teuflisch schwarz.
Auf dem Hexentanzplatz hoch über Thale wird am Sonnabend, 30. April, im wahrsten Sinne des Wortes der Teufel los sein. 17 Uhr beginnt sie, die Non-Stop-Walpurgisparty. Einlass ist ab 16 Uhr. Die Neue-Deutsche-Welle-Band „Geier Sturzflug“ und die Musiker von „Alex im Westerland“ wollen mit Coversongs der „Ärzte“ und „Toten Hosen“ die Stimmung anheizen.
Dann kommt die zu Beginn der 90er Jahre weltweit erfolgreiche multikulturelle Popgruppe „Londonbeat“ auf die Bühne. Es folgen „Da Rookies“, die Weltmeister desBreakdances, und eine Teufels-, Laser- und Feuershow. Um Mitternacht beginnt ein Feuerwerk.
Erwachsene zahlen 22 Euro Eintritt im Vorverkauf und 25 Euro an der Abendkasse. Für Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren kostet die Karte zehn Euro. Kinder unter zwölf bezahlen nichts. Inbegriffen im Eintrittspreis sind die Fahrten mit dem Pendelbus und der Seilbahn. Die Straße zum Hexentanzplatz ist ab 10 Uhr gesperrt. Hinter dem Bahnhof in Thale gibt es einen Großparkplatz, ebenso in der Huntesenke.
Allein zum großen Walpurgis-Event auf der „Hexe“ erwartet die Bodetal Tourismus GmbH etwa 7.000 Besucher und weitere 50.000 zum dreitägigen Walpurgismarkt, der von Freitag bis Sonntag in Thales Innenstadt stattfindet.
Das komplette Programm gibt’s auf www.walpurgismarkt-thale.de
Im starkem Kontrast dazu steht das tiefrote Kleid aus schwerem Stoff. Aber so etwas tragen eben auch andere Damen mit einem Hang zur Mystik des Mittelalters. Und ihre Nase erinnert nicht im entferntesten an eine Höckernase, wie sie mancher in diesem dunklen Metier eigentlich erwartet.
Erfolgsgeheimnis Teil eins: Das Hexenstübchen, in dem Rasch normalerweise tätig ist, erfüllt wirklich viele romantische Erwartungen. In dem Anbau am Eigenheim fehlt weder die berühmte schwarze Katze, die ihr zuweilen auf der Schulter sitzt. Noch muss man lange nach dem ebenso unechten, aber krächzenden Raben suchen, der das Treiben am Kartentisch beäugt.
Drei Kerzen und zwei Laternen erhellen den nicht sonderlich großen Raum. Diverse Hexen-Bücher in Regalen an den Wänden ringsum, Tücher als Schmuck. Es duftet nach allerlei Kräutern, Tabak und Tee. Auch ein gutes Fläschchen Rotwein - nicht trocken, sondern lieblich - findet sich. Einiges, was als Dekoration dient, bietet Rasch zugleich in ihrem Hexen-Online-Shop im Internet an.
Heidnischer Spuk, Aberglaube
Die Probe aufs Exempel soll Gewissheit bringen. Der Autor stellt sich für eine Prognose zur Verfügung. Und siehe da, plötzlich wandelt sich der Geburtstag im Dezember zu einer kaum fassbaren, langen Ziffernfolge. In diesem Falle mündet das Ganze aber in einer akzeptablen Auskunft. Der Herr, also ich, liebe klare Verhältnisse, sei durchaus leidenschaftlich, aber auch ziemlich auf Sicherheit bedacht. „Und die Analyse ist ausbaufähig“, haucht die Frau aus dem Halbdunkel.
Nach einer halben Stunde steht zumindest so viel fest: Die Dame, die zu mir passt, darf durchaus im Januar geboren sein. Aber, und das sei nun wirklich wichtig, sie müsse im Vornamen unbedingt ein A haben. Ansonsten würden Eigenschaften aufeinander prallen, die unvereinbar seien. Glück gehabt, es passt! Dass sich die Vision mit den Karten bestätigt, die die Hexe später blitzartig mischt und austeilt, liegt nahe. Denn schon das Pendel, das zuvor wie von unsichtbarer Hand über der Tischplatte schwebt, segnet die Beziehung ab.
Heidnischer Spuk, Aberglaube - so schimpfen natürlich Raschs Kritiker. Lebendige Tradition, nennen es andere. Nicht zufällig darf sich Corinna Rasch mit dem Label „Typisch Harz“ schmücken, verliehen vom Harzer Tourismusverband. Eine persönliche Erfahrung steuert Konstantin R. bei, ein Kleinunternehmer aus Göttingen. Der Mittvierziger ist mit Hilfe der Hexe gerade einem finanziellen Dilemma entkommen. Seither habe er die persönlichen Verhältnisse entkrampfen können.
„Die Hexe hat mich wieder in die Balance gebracht, aktiviert.“ Wie genau, das könne er gar nicht sagen. Wahrscheinlich habe das Gespräch den aufgestauten Stress weggenommen. Psychologie oder Zauberei - das sei ihm nun im Grunde egal. Ähnlich sehen es Klienten, die wegen diverser Krankheiten und Unpässlichkeiten bei ihr um Hilfe nachsuchen.
Dankbar beherzigen sie Tipps, die schon zu Großmutters Zeiten geholfen haben, später aber in Vergessenheit geraten sind. Manchmal, so raunt Corinna Rasch, bringt schon ein Smoothie mit ausgewählten Gartenkräutern den Kreislauf wieder richtig in Schwung. Als erfahrene Hexe kann sie aber auch Geheimnisse für sich behalten, äußert sich also nie zu Einzelfällen.
Das Einzige, das Rasch sich entlocken lässt: „Eine Frau, die alle Sinne beisammen hat, kann oft helfen.“ Selbst König Fußball. So dürfen sich die Kicker des HFC in Halle auf die Hexe berufen. Die Wahrsagerin, ein heimlicher Fan, stellt nur eine Forderung: „Bange machen gilt nicht.“ Unter dieser Bedingung prophezeit das Orakel aus Gernrode dem Klub einen erfreulichen, den Fans einen versöhnlichen Saisonabschluss - selbstverständlich inklusive Klassenerhalt.