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Kunst-Projekt Kunst-Projekt: Die fremde Welt wird rund und bunt

Von Irina Steinmann 31.05.2002, 17:26

Seyda/MZ. - Angehende Mode-Designerinnen der Hochschulefür Kunst und Design Burg Giebichenstein ausHalle haben sich für eine Woche aufs Landbegeben, in den kleinen Ort Seyda (LandkreisWittenberg), ein wenig abseits gelegen imöstlichen Zipfel von Sachsen-Anhalt. Dortarbeiten die Frauen aus dem dritten Studienjahrgemeinsam mit geistig behinderten Menschen,die in der Diakonie-Einrichtung "Diesthof"leben. Kontaktaufnahme mit einer fremden Welt- für beide Seiten.

Beharrlich führt Dieter Seifert den Pinselseiner über und über mit Rüschen, Bändern,Papierrosen versehenen Figur, die sich allmählichleuchtend orange färben. Das Objekt siehtaus wie der Frühling. "Ja, das stimmt", sagtDieter Seifert. Aber es geht ihm nicht gutheute Morgen. Er hat Kopfschmerzen, vielleichtvom vielen konzentrierten Hingucken. Wie alter ist? Die Wirklichkeit bröckelt ins Ungefähre."Ich weiß nicht. Uta weiß das." Uta-KilianMoes, Leiterin des Förderbereichs im Diesthof,ist es zu verdanken, dass sich die Burg aufdas ungewöhnliche Projekt eingelassen hat.Denn gemalt, farbensatt und gigantisch, wirdin der Behinderten-Einrichtung schon lange.Es waren die Bilder der Seydaer, sagen dieProfessoren Thomas Greis und Joachim Schielicke,die sie von der Landpartie überzeugt haben."Unheimlich viel Kraft" hätten die ausgestrahlt,und Lebensfreude, sagt Schielicke, der nachden paar Tagen in Seyda keine schnelle Antwortmehr gelten lassen mag auf die Frage: "Wasist normal?" Greis findet, es sei hier dochwie im tatsächlichen Designer-Leben: Man arbeitetim Team und muss also mit anderen Leuten klarkommen.

Nur dass die anderen Leute hier etwasabgedrehtere Vorstellungen haben. Etwa davon,was schick ist. Die Figur, die Dieter Seifertund Manuela König gebaut haben, krönt einBH, dessen monströse Körbchengröße jeder UrmutterErde zur Ehre gereichen würde. "Na und?",sagt Manuela König, mit 31Jahren die Ältestein der neunköpfigen Studentengruppe, "Dietermag eben schöne Wäsche". Oder Egon Henze.Bisher kannten sie den Mann, der noch nichtlange auf dem Diesthof lebt, dort vor allemals den, der die Knöpfe abschneidet von denAltkleidern, die sich im Secondhandshop nichtverkaufen lassen. Bis Ines kam. Ines Dikomey,22. Gemeinsam haben sie ein Objekt entworfen,ein Sakko rücklings aufgeschnitten und mitStoffstücken benäht. Die Idee hatte übrigensnicht sie, sondern Egon Henze. "Mein Profsagt, es gibt einen international bekanntenDesigner, der genau mit sowas erfolgreichwar." Was also ist normal?

Keiner versteht Herbert Gabrys, Susanne Ostwaldschon. Dass seine Lieblingsfarbe Rot ist,hat sie herausgefunden. Und wie verständigensie sich über den Fortgang ihrer Arbeit? Ganzeinfach, grinst die 22-Jährige. "Ich brülleihm ins Ohr, und dann lächelt er - oder auchnicht." Sie nimmt ihn an der Hand und gehtmit ihm in den Waschraum. Es sieht so selbstverständlichaus, als hätte sie sich schon ein Berufslebenlang um Behinderte gekümmert. Vergessen sinddie Berührungsängste, die es natürlich gegebenhat. Auch das ist normal.

Jetzt aber ist Ines Dikomey "total begeistertvon der Ehrlichkeit" ihrer geistig behindertenKollegen. "Wenn die einen anstrahlen - dasist ein irres Gefühl." Für die Professorenist genau dieses Erleben Lernziel. Hier, sagtThomas Greis, könnten seine kopflastigen Studentinnenmal emotional an ihre Arbeit herangehen. "Modehat mit Menschen zu tun, nicht mit dem Rocksaum."Noch ist nicht entschieden, was aus den Figurenwird. Vielleicht werden auch sie ausgestellt,wenn im Juli die regulären Semester-Arbeitenpräsentiert werden. Eines aber haben sichdie Studentinnen fest vorgenommen: Ihre SeydaerKollegen sind dann unter den geladenen Gästen.Aber jetzt muss erstmal jemand rüberfahrenin den Landhandel. Der Hasendraht ist schonwieder alle.