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Von Dorf zu Dorf Von Dorf zu Dorf: "Finnen" sprengen Grenzen

Von Andreas Löffler 04.02.2019, 09:45
Blick in die Hauptstraße des Ortes. Mit heute knapp 800 Einwohnern weist Lossa eine beachtliche Größe auf.
Blick in die Hauptstraße des Ortes. Mit heute knapp 800 Einwohnern weist Lossa eine beachtliche Größe auf. Andreas Löffler

Lossa - Fuß- und Volleyball, Kindersport sowie Frauen-Fitness im Sportverein, Skatbrüder, Töpferstube, ein Faschingsverein, Gemeindebibliothek, Burschen-, Kegel-, Angler- sowie Schützenverein und sogar Line Dance: In Lossa gibt es nahezu unbegrenzte Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. „Ich wohne sehr gern hier“, sagt der 81-jährige Johann Wolfer, der seit 1945 in dem Dorf  lebt und heute so etwas wie der Alterspräsident der Skatfreunde im Ort ist. „Auch und gerade für die Kinder ist es schön“, fügt Annemarie Schauseil einen weiteren Aspekt hinzu. „Die Kiddies  gehen raus und sind frei. In Jena beispielsweise kannst  du mit den Steppkes mal ’ne Stunde in den Park gehen - das war es dann aber auch schon“, sieht die 34-Jährige ihr Heimatdorf gegenüber der (Groß-)Stadt klar im Vorteil.

„In den letzten Jahren haben wir  einen tüchtigen Zuzug hierher und zahlreiche Anfragen zu Kaufmöglichkeiten für Häuser oder Baugrundstücke im Ort“, bestätigt Bürgermeister Detlef Hartung. Deswegen sei Lossa mit seinen knapp 800 Einwohnern auch ein jung gebliebenes Dorf: „Unsere Kita ,Bummi’ mit ihren an die 40 Plätzen ist voll ausgelastet.“ Was der 56-Jährige, der seit neun Jahren die Geschicke der Gemeinde Finne mit den Ortsteilen Lossa, Billroda und Tauhardt lenkt, nicht verschweigt: „2010 mussten wir schweren Herzens unsere Grundschule und damit die  letzte im Ort verbliebene Schule schließen. Die Kinder und Jugendlichen fahren heute also nach Bad Bibra, Saubach oder Laucha zum Unterricht -  und nicht wenige auch nach Rastenberg, Kölleda oder Roßleben in Thüringen, Berufsschüler teilweise sogar bis nach Sömmerda.“

Weil in Lossa, sprich an Sachsen-Anhalts Landesgrenze,  aber auch quasi die „Zuständigkeit“ und das Liniennetz des Mitteldeutschen Verkehrsverbundes endeten, sei die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln ins Thüringische für die Youngster extrem umständlich. „Wir müssen meinen Enkel, der die Berufsschule in Sömmerda besucht, immer erst ein Stück nach Thüringen reinbringen, ehe er Anschluss ans dortige ÖPNV-Netz hat“, moniert Edda Graf. „Ich finde es schon sehr verblüffend, wie sehr man an dieser Stelle auf den Bundesländergrenzen beharrt, während allenthalben einem Europa ohne Binnengrenzen das Wort geredet wird“, sekundiert Detlef Hartung.

Das gilt umso mehr, als die Lossaer, genauer gesagt: die Fußballer des Ortes, ebendiese Landesgrenzen zwischen Sachsen-Anhalt und Thüringen längst „durchstoßen“ haben - und zwar mit der ersten länderübergreifenden Spielgemeinschaft im Fußball-Männerbereich überhaupt, der SG Lossa / Rastenberg. „Unser Vorreiter-Projekt mit den Kickern aus dem sechs Kilometer entfernten thüringischen Rastenberg geht nun bereits ins fünfte Jahr“, schildert Robert Jecke. „Was als spontane Idee beim gemeinsamen Grillen seinen Anfang nahm, hat sich längst zu einem funktionierenden  Gebilde entwickelt - mit Lossa und Rastenberg als einander streng abwechselnden Heimspielorten und auch mit einigem sportlichen Erfolg: Unsere erste Mannschaft spielt in der Burgenland-Kreisoberliga eine gute Rolle und ist derzeit Tabellensiebenter“, unterstreicht auch Annemarie Schauseil. Als Chefin des mehr als 100  Mitglieder zählenden Lossaer Sportvereins Eintracht - nomen est omen! -  setzt die rührige junge Frau ohnehin auf das Ziehen an einem gemeinsamen Strang.

Lossas Fußballer haben Grenzen gesprengt - der Faschingsverein des Ortes bietet derweil grenzenloses Vergnügen. „Ganz wichtig, wir feiern bei uns Fasching und keinen Karneval, haben weder Prinzenpaar noch Elferrat“, erläutert Katja Grams. Die heute 37-Jährige führt seit zwei Jahrzehnten, beginnend also noch in ihrer Abiturzeit, durchs Programm der jeweils am letzten Januarwochenende stattfindenden zwei großen Abendveranstaltungen - mit Detlef Hartung als Co-Moderator übrigens: Am Bürgermeister, der  die aus dem Jahr 1918 überlieferte Glocke des sogenannten „Ausrufers“ sein eigen nennt, ist gleichfalls ein Conférencier-Talent verloren gegangen.

Unter dem diesjährigen Motto „Hinter sieben Bergen feiert Lossa Wintermärchen“ gab es erneut ein so anspruchsvolles wie unterhaltsames Programm - mit Tanzdarbietungen aller Altersgruppen, Sketchen sowie der traditionellen, Dorfgeschehen und -tratsch aufs Korn nehmenden Büttenrede  von Gisela Höhn. Und selbstverständlich mit dem unverkennbaren Faschings-Schlachtruf des Ortes, einem dreifachen  „Lossa i-ah!“ „Soviel Selbstironie muss sein, schließlich ist der Esel quasi so etwas wie unser Wappentier: In früheren Zeiten gab es hier dem Vernehmen nach sehr viele Eselsgespanne. Auch von den sogenannten Lossaschen Gaakeseln ist oft die Rede. Es heißt, dass diese Wendung auf redselige Einwohner zurückgeht, die stets etwas zu erzählen, sprich: zu gaaken hatten“, klärt Katja Grams auf. Übrigens: Die Tickets zu den stets rasch ausverkauften Faschingsabenden sind so begehrt, dass sich Interessenten teils schon früh um fünf für den um 8 Uhr startenden Vorverkauf  in Position brachten.

Auch wenn das große Kinderfest am ersten Juni-Wochenende, die traditionelle Kirmes Mitte Oktober und der am ersten Advent stattfindende Lossaer Weihnachtsmarkt nicht unerwähnt bleiben sollen: Neben dem Fasching ist es vor allem das alljährliche Pfingstfest, das buchstäblich den ganzen Ort (und gleichfalls viele Gäste von außerhalb) in Hochstimmung und Party-Laune versetzt: Die sogenannten Pfingstburschen aus dem 1910 gegründeten örtlichen Burschenverein bieten dann ein Spektakel, das gleichermaßen traditionsreich ist wie es Beteiligten und Publikum Gaudi bringt. „Die Burschen ziehen dann - ,bewaffnet’ mit als Pritschen bezeichneten Rutenbündeln aus Pappelzweigen - von Haus zu Haus. Dort fordern sie von den Bewohnern unter augenzwinkernder Androhung von Rutenschlägen kleine Gaben ein.

Sobald die Burschen diese in Empfang genommen haben, spielt die den Umzug begleitende Schalmeienkapelle einen Tusch und man lässt die Hausbewohner hochleben“, schildert Detlef Hartung, selbst Mitglied im Burschenverein. „Früher wurden vor allem Fressalien für den anschließenden gemeinsamen Verzehr eingesammelt - dem ,Eierbetteln’ entsprang immer eine Riesenpfanne Rührei  -, heute  bitten wir eher um  kleine Geldspenden, welche direkt Projekten für die Allgemeinheit hier im Dorf zugutekommen“, hebt der Bürgermeister hervor. „Beispielsweise haben wir auf diese Weise eine nicht unbeträchtliche Summe zusammenbekommen, die in unseren Eigenanteil bei der 500 000 Euro teuren Sanierung unseres Dorfgemeinschaftshauses geflossen ist.“

Ebendieses ist heute Dreh- und Angelpunkt vieler Aktivitäten, allen voran der Faschingsveranstaltungen. Das Gebäude, vielmehr dessen Dach, war 2010 infolge extremer Schneelast  als einsturzgefährdet klassifiziert und in knapp  vier Jahren grundhaft instand gesetzt worden. „Drei Jahre lang sind wir in die alte Getreidehalle als provisorisches Domizil ausgewichen. Weil die nicht beheizt werden konnte, haben wir den Fasching während dieser Zeit immer in den April ,verlegt’“, erzählt Katja Grams lachend.

Fehlt noch die  Antwort auf die Frage, warum Lossaer „Finnen“ sind? „Schuld“ daran ist die Gemeindegebietsreform von 2009, als Lossa, Billroda und Tauhardt zur Gemeinde „Finne“ zusammengelegt wurden. „Die Post besteht darauf, Finne als Adressort zu verwenden, nur so könne die reibungslose Zustellung garantiert werden“, erzählt Edda Graf. „Also werden wir Lossaer postalisch zu ,Finnen’.“