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Tageblatt/MZ-Forum  Tageblatt/MZ-Forum : Verliebt in Tamara

Von Constanze Matthes 03.12.2018, 15:04
Nicht ohne Autogramm: Jörg Stempel nimmt sich nach dem Forum die Zeit, sich mit Besuchern zu unterhalten und Schallplatten zu signieren, unter anderem auch für Beate Schüler (Mitte).
Nicht ohne Autogramm: Jörg Stempel nimmt sich nach dem Forum die Zeit, sich mit Besuchern zu unterhalten und Schallplatten zu signieren, unter anderem auch für Beate Schüler (Mitte). Biel

Naumburg - Zwischen das Stimmengewirr der ersten Gäste mischen sich die Klänge von Ostrock; der Soundtrack des Abends. Im Veranstaltungsraum „Mitteldeutsche“ hat der Bad Kösener Jörg Kunze seine Technik aufgebaut, Soundanlage sowie Lautsprecher. Ein Beamer wirft wenig später ein Foto an die Wand: Auf dem Bild zu sehen sind Frank Schöbel und Florian Silbereisen. Der Dritte im Bunde, Jörg Stempel, hat in einem der Sessel Platz genommen. „Es ist ganz toll, dass ich viele persönlich begrüßen kann“, sagt der 70-jährige gebürtige Geraer zum Auftakt des Tageblatt/MZ-Leserforums.

Denn unter dem Publikum befinden sich ehemalige Mitschüler der einstigen ersten Polytechnischen Oberschule Naumburg und der Erweiterten Oberschule Schulpforte, die Stempel als Kind und später als Jugendlicher besucht hatte. „In Schulpforte hatte ich es nicht einfach“, sagt Stempel. Das hatte mehrere Gründe, wie er im Gespräch mit Tageblatt/MZ-Redaktionsleiter Albrecht Günther erzählt. Da war sein Vater Fred Stempel, persönlicher Referent von Ministerpräsident Otto Grotewohl und späterer Vorsitzender des Rates des Kreises Naumburg, zu dem er ein „angespanntes“ Verhältnis hatte, da waren auch die strengen Regeln, wann die Schüler abends im Internat zurückerwartet wurden.

Stempel berichtet von seiner frühen Leidenschaft für die Musik: Als er „Monday Monday“ von „The Mamas & The Papas“ zum ersten Mal hörte, flippte er aus. Bei „Penny Lane“, seinem Lieblingssong der Beatles, vergoss er Tränen. Von den Pilzköpfen aus Liverpool war er ein großer Fan, bei einem Naumburger Herrenausstatter wurde er auf der Suche nach einer „Beatles“-Jacke sogar fündig. Nach dem Abitur begann er sein Studium an der Hochschule für Ökonomie in Berlin. Er leitete dort einen Studentenclub, galt als „Kapellenbesorger“. Es folgten zweieinhalb Jahre als Kulturfunktionär an der Erdgas-Trasse in der Sowjetunion.

1981 gelang ihm der Sprung zum VEB Deutsche Schallplatten, wo er zuerst als Musikredakteur bei Amiga, später als Leiter Programmgestaltung wirkte. Auch nach der Wende blieb er mit der Musik und der Marke Amiga eng verbunden - als Manager der Gruppen Puhdys, Silly und City, von IC Falkenberg und Ines Paulke sowie danach als Mitarbeiter von BMG Berlin Musik und Sony Music Entertainment, letzteres Unternehmen vermarktet das Amiga-Repertoire bis heute. „Mir wurde es in die Wiege gelegt. 1947 wurde ich geboren und Amiga gegründet“, bemerkt der Berliner. Stempel gibt Einblicke in ein Kapitel der ostdeutschen Musikgeschichte, berichtet über Lizenzproduktionen und Auflagen, warum Alben von Bands aus dem nichtsozialistischen Ausland wie Led Zeppelin nicht erschienen waren, was mit den Platten geschah, deren Künstler in den Westen gegangen waren. „Sie sind in den Giftschrank aus wirtschaftlichen Gründen gekommen. Wir wollten kein Westgeld an die Gema zahlen“, so Stempel, der mit vielen Künstlern per Du ist. Dieter „Maschine“ Birr von den Puhdys nennt er einen Freund, in Silly-Sängerin Tamara Danz habe er sich „verliebt“, seine enge, indes platonische Beziehung habe bis zu ihrem allzu frühen Tod gehalten.

Während eines Quiz, moderiert von Jörg Kunze, bei dem Gäste CDs aus dem Amiga-Programm gewinnen, gibt es ebenfalls viel zu erfahren: Dass ein Album von Roger Whittaker die meist verkaufte Lizenz-Platte war, das erfolgreichste Album überhaupt die beliebte LP von Frank Schöbel „Weihnachten in Familie“ war. „Oft wurde die in den Westen verschickt“, so Stempel, der sich weiter für die Musik aus dem Osten stark machen will: „Nur wenige Titel sind in den alten Bundesländern bekannt. Das soll sich ändern, das ist meine Triebfeder.“

Nach zwei Stunden Zeitreise treten Kathrin Schötensack und ihr Mann Ralf Melzer die Heimfahrt an. „Es war ein sehr schöner Abend“, sagt die Naumburgerin, die einst vor allem von der Band „Rote Gitarren“ angetan war. Mittlerweile im digitalen Zeitalter angekommen, nimmt sie sich etwas vor: „Ich werde meine Mutter bitten, mal in den Keller zu gehen und ein paar Platten herauszusuchen.“

Zwei Fans unter sich: Ted Thieme (l.) und Reinhard F. Gusky haben ihre Schätze mitgebracht.
Zwei Fans unter sich: Ted Thieme (l.) und Reinhard F. Gusky haben ihre Schätze mitgebracht.
Biel