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Papa, Papa, Kind Papa, Papa, Kind: Zwei verheiratete Männer sind nach langem Wunsch endlich Eltern

Von Andrea Hamann-Richter 18.08.2019, 10:00
Nach langer Recherche, viel Vorarbeit und großem Bangen haben Jens und Manuel Neumann  eine Adoptivtochter zugesprochen bekommen. 
Nach langer Recherche, viel Vorarbeit und großem Bangen haben Jens und Manuel Neumann  eine Adoptivtochter zugesprochen bekommen.  Peter Lisker

Hohenmölsen - Sagen Sie alle Termine ab, informieren Sie Ihren Mann und kommen Sie umgehend her“ - dieser Anruf erreicht Manuel Neumann im Jahr 2017. Er kommt vom Jugendamt des Burgenlandkreises in Naumburg. Was der Mann aus Hohenmölsen da noch nicht weiß: In einer halben Stunde wird er Vater - genau wie sein Ehemann.

Den Antrag hatten beide ein Jahr zuvor gestellt. Manuel Neumann erreicht Jens Neumann auf der Arbeit und beide fahren los. Noch überlegen sie jeder für sich fieberhaft: „Es könnte doch nicht sein, dass …?“ Aber auch Gedanken, dass der Antrag als Adoptiveltern abgelehnt wird, mischen sich darunter. Es ist eine bange Fahrt.

Beim Jugendamt werden sie schon erwartet. Dann geht es tatsächlich mit den Mitarbeiterinnen in ein Krankenhaus und auf die Wochenstation. Hinter einer der Türen liegt ein kleines Mädchen. Es ist seit einer Woche auf der Welt - und alleine. Seine Mutter hat es zur Adoption freigegeben. Das Jugendamt hat sich für Neumanns als seine zukünftigen Eltern entschieden.

In dem Schreiben heißt es offiziell: „Mit den Ehepartnern (...) wird vereinbart, dass das Kind in Adoptionspflege aufgenommen wird und verbleibt.“ Denn sechs Wochen lang hat die Mutter das Recht, das Kind zurückzubekommen. Daran denken Neumanns aber erst einmal nicht. Sie sehen nur das Baby.

Die Krankenschwester legt es Manuel Neumann vorsichtig in die Arme. „Es war von einer Sekunde auf die andere klar, dass das unser Kind sein wird. Da gab es keinen Zweifel“, sagt Manuel Neumann. „Ich wollte sie ab diesem Moment nie wieder loslassen“, erinnert er sich an diesen überwältigenden Moment. Den beiden Männern, der Krankenschwester und den Mitarbeitern vom Jugendamt, die in dem Zimmer sind, sei sofort klar gewesen: Das passt.

Bei jeder Adoption steht das Kindeswohl im Mittelpunkt. Es können verheiratete und alleinstehende Personen adoptieren. Ein Elternteil muss mindestens 25, der Partner mindestens 21 Jahre alt sein.

 Der maximale Altersunterschied zwischen dem Kind und den Eltern sollte 40 Jahre nicht überschreiten. Dafür gibt es zwar keine gesetzliche Regelung, wird aber in der Praxis von den Ämtern beachtet. Das Führungszeugnis ist ebenfalls nicht unerheblich, denn es sollte frei von Eintragungen sein. Dazu werden Einkommen, körperliche Verfassung und das Umfeld der Antragsteller geprüft.  

Das, was da passt, verändert von einer Sekunde auf die andere das Leben des Ehepaares. Zwei Tage haben die Männer Zeit, ihr Eigenheim für die Tochter herzurichten. „Wir sind mit zwei Autos und unseren Müttern direkt vom Krankenhaus zu einem Babyausstatter gefahren“, erinnert sich Jens Neumann. Das Kind muss schlafen, gewickelt, spazieren gefahren, gebadet, angezogen und gefüttert werden - sie brauchen einfach alles. Mit den vollgepackten Pkw geht es zurück nach Hohenmölsen.

Männerpaar: Eingetragene Partnerschaft seit 2016

Neun Jahre ist es her, dass sich der heute 30-jährige Manuel und der 37-jährige Jens ineinander verlieben. Im Jahr 2016 lassen sie beim Standesamt ihre Lebenspartnerschaft eintragen. Beiden ist klar, dass sie Eltern sein wollen. Sie wollen ein Kind haben, es großziehen, lieben und umsorgen. Das Paar recherchiert, aber das, was es erfährt, ist deprimierend. Trotz der eingetragenen Partnerschaft gelten die Männer nicht als Ehepaar, sonder als Alleinerziehende.

Es heißt, sie können jeder nur für sich einen Adoptionsantrag stellen. Die Chance, so ein Kind adoptieren zu können, ist verschwindend gering. Zudem dürfen Frauen, die ihren Nachwuchs nicht behalten wollen, mitreden, in welchem Familienmodell ihre Kinder aufwachsen - das macht es nicht leichter. Optional käme für Neumanns auch eine Leihmutterschaft infrage, was mehrere 10.000 Euro kostet. Oder eine Auslandsadoption, die nicht einfach zu realisieren ist ... es scheint hoffnungslos.

Vorgehen des Jugendamtes im Burgenlandkreis schon fast revolutionär

Bis Neumanns zufällig von einem befreundeten Männerpaar erfahren, dem es tatsächlich gelungen ist, ein Kind zu adoptieren. Wie das? Das Jugendamt des Burgenlandkreises nutzt bei eingetragenen Lebenspartnerschaften einen kleinen Spielraum aus und stellt diese den verheirateten Paaren gleich. Das Vorgehen der Mitarbeiter war in Deutschland schon fast revolutionär. „Ich kenne kaum ein anderes Jugendamt, welches das damals so handhabte“, sagt Jens Neumann.

Zunächst müssen die werdenden Väter genau wie alle anderen Adoptiveltern auch aber erst einmal Kurse besuchen und sich fragen lassen, wie sie Muttergefühle entwickeln wollen. Sich bescheinigen lassen, dass sie keine psychischen oder lebensverkürzenden Krankheiten haben. Ihre Finanzen offenlegen. Ihre Verhältnisse zu den eigenen Familien bis ins kleinste Detail durchleuchten lassen.

Neumanns hören die Berichte adoptierter Erwachsener und lernen Lebensgeschichten von Frauen kennen, die ihre Kinder zur Adoption freigaben. Dabei erfahren sie, dass diese Mütter ihre abgegebenen Kinder nicht vergessen. „Es war ein aufreibender Prozess“, sagt Manuel Neumann rückblickend.

Ziel des Amtes: glückliche Eltern mit glücklichen Kindern

Und dann gibt es da auf einmal tatsächlich dieses kleine Baby, das so plötzlich in ihrem Leben ist. Warum die Mitarbeiter des Jugendamtes ihnen dieses Kind gegeben haben? Neumann wissen es nicht genau. Das Amt gibt aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Auskunft. Die beiden Väter haben aber gehört, dass die Fachleute ihrem Gefühl folgen. Sie würden die Kinder sehen und spüren, bei welchen Eltern sie am besten aufgehoben wären. Das Ziel des Amtes: glückliche Eltern mit glücklichen Kindern. Der Erfolg gibt den Mitarbeitern offenbar Recht.

Die Vorbereitungen für die Ankunft des Babys sind erledigt und 48 Stunden später holen Manuel und Jens Neumann den Säugling zu sich nach Hause. Die Männer durchleben ab diesem Moment den ganz normalen Wahnsinn frisch gebackener Eltern: durchwachte Nächte, die Frage, ob mit dem Kind alles in Ordnung ist, die Sorge, wenn es mal nicht so viel trinkt, wie es soll ... Es gibt nur einen Unterschied: Die beiden hatten keine neun Monate Zeit, sich emotional darauf einzustellen.

„Als ich das erste Mal mit ihr alleine zu Hause war, bekam ich schon Panik“, gibt Manuel Neumann, der das Babyjahr genommen hat, zu. Aber die Väter bekommen Hilfe. Da sind die beiden Mütter der Männer, die sofort Rat geben, wenn er gebraucht wird. Da sind Freunde, die schon Eltern sind, und auch mal sagen, dass so, wie sie es mit dem Mädchen handhaben, völlig in Ordnung ist. Sie gehen mit ihrer Tochter zu den Vorsorgeuntersuchungen und auch zum Babyschwimmen. Manuel Neumann ist es dabei egal, dass er zwischen den Müttern der einzige Mann ist, der da singt und mitplanscht.

Zwei Väter: „Bei uns gibt es keine klassische Rollenverteilung“

Im Jahr 2017 - das Jahr, als Neumanns das Kind bekommen - wird es schwulen Paaren endlich auch erlaubt, offiziell zu heiraten. Die frischgebackenen Väter sagen noch einmal „Ja“, aber für sie ist das eigentlich nur ein bürokratischer Vorgang. Ihre richtige Hochzeit haben sie 2016 bereits gefeiert, sagen sie.

Heute ist das kleine Bündel, das die Neumanns aus dem Krankenhaus mitnehmen durften, fast zwei Jahre alt. Die Kleine mit den blonden Haaren und blauen Augen nascht gerne Salzstangen, kuschelt sich an Manuel Neumann, und ruft in Richtung Jens Neumann „Papa!“ Der Vater nimmt sie hoch. Kurz darauf streckt das Mädchen seine Arme in Manuel Neumanns Richtung und ruft auch dorthin „Papa!“ Ursprünglich sollte sie einen Elternteil „Vati“ und den anderen „Papa“ nennen.

Aber das Mädchen will es eben anders. Das Kind ist aufgeweckt. „Bei uns gibt es keine klassische Rollenverteilung. Jeder macht das, was er gerade tun kann“, sagt Manuel Neumann. Die Männer teilen sich die Aufgaben wie baden, anziehen, spielen, erziehen. Natürlich ziehe das Kind mal den einen Papa dem anderen vor, aber das sei auch bei klassischen Familien der Fall, wissen sie. Und fehlt nicht der weibliche Einfluss im Leben des Mädchens?

Darüber sorgen sich Neumanns nicht. Da seien zum einen die beiden Großmütter, die großen Anteil am Leben der Kleinen haben. „Und in unseren Familien gibt es auch so mehr als genug Frauen“, fügt Manuel Neumann hinzu. Außerdem seien die Kinder in der Gesellschaft auch heute noch vermehrt von weiblichen Einflüssen geprägt, sagt der junge Vater. Es gebe nach wie vor mehr weibliche als männliche Pädagogen in Kitas und Schulen.

Die Familie fühlt sich wohl in Hohenmölsen. „Wir haben bislang nur gute Erfahrungen gemacht. Uns hat noch nie jemand angefeindet. Wir sind aber auch gesellschaftlich aktiv, bringen uns ein“, sagt Jens Neumann.

Schwulenverband: Sexuelle Orientierung hat nichts mit Erziehungskompetenz zu tun

Außerdem seien sie immer offen mit ihrer Homosexualität umgegangen. „Wir haben niemals gemunkelt, sondern immer mit offenen Karten gespielt“, sagt Jens Neumann. Mathias Fangohr vom Landesvorstand Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) des Landes Sachsen-Anhalt sagt, dass lesbische Mütter und schwule Väter mit ihren Kindern im gesellschaftlichen Alltag angekommen seien. „Es hat sich inzwischen, entgegen weit verbreiteter Vorurteile, herausgestellt, dass die sexuelle Orientierung eines Menschen nichts mit seiner Erziehungskompetenz zu tun hat“, sagt er weiter. Eine Studie aus den USA habe auch gezeigt, dass Kinder mit gleichgeschlechtlichen Eltern, den sogenannten Regenbogenfamilien, genau so gut wie die mit Hetero-Eltern leben, so Fangohr.

Was Neumanns allerdings vor Augen haben, ist die Tatsache, dass es irgendwo auf dieser Welt eine leibliche Mutter von ihrer Tochter gibt. Sie hatte dieses Kind während einer vertraulichen Geburt auf die Welt gebracht. Das heißt, im Krankenhaus blieb sie anonym, hat aber ihre Kontaktdaten vertraulich hinterlegen lassen. Diese kann das Mädchen ab dem 16. Lebensjahr anfordern und mit den dann 16 Jahre alten Informationen anfangen zu suchen. „Wir werden sie dabei unterstützen, wenn es dazu kommen sollte. Jeder Mensch hat das Recht zu wissen, wo er herstammt“, sagt Jens Neumann. Angst, das Kind dann zu verlieren, haben die Männer nicht.

Sie vertrauen auf ihre emotionale Bindung, die schon jetzt sehr stark ist. Oft schon haben sie sich Gedanken um die leibliche Mutter ihrer Tochter gemacht. Bei jedem wichtigen Schritt in der Entwicklung, zum Beispiel als der erste Zahn kam, waren sie in Gedanken bei der Frau, die das alles verpasst. „Sie muss in einer extremen Situation gewesen sein, sonst hätte sie das Kind nicht abgegeben“, vermutet Jens Neumann. Sie hatte es nicht abgetrieben und auch nicht heimlich in irgendeiner Wohnung geboren und es dann ausgesetzt, wie manch andere es machen, sondern in einem Krankenhaus auf die Welt gebracht.

Sechs Vermittlungen im Schnitt pro Jahr im Burgenlandkreis

Im Burgenlandkreis gab es, unabhängig von der geschlechtlichen Orientierung der Eltern, im vergangenen Jahr vier abgeschlossene Adoptionsverfahren und zwölf Adoptionspflegen. „Dabei handelt es sich um eine Art Zwischenstufe auf dem Weg zur Adoption, die der Annäherung von Kind und Annehmenden und der Integration in die Familie dient“, sagt Uta Kunick vom Jugendamt Burgenlandkreis. Durchschnittlich werden pro Jahr sechs bis acht Kinder vermittelt. Wie viele gleichgeschlechtliche Adoptionseltern es pro Jahr sind, können die Mitarbeiter vom Jugendamt im Burgenlandkreis in Naumburg und vom Landesverwaltungsamt in Halle aber nicht sagen.

„Diese Zahlen werden nicht spezifisch erfasst“, sagt Denise Vopel vom Landesverwaltungsamt. Auch die Wartezeit eines Adoptionsbewerberpaares könne nicht in Zeiträumen benannt werden, sagt sie weiter. Denn generell sei sie für jedes Paar individuell. Für jedes Kind werden die geeigneten Eltern gesucht und nicht umgekehrt.

Die leibliche Mutter von Neumanns Tochter meldete sich in den sechs Wochen nach der Geburt nicht. Es war eine Zitterpartie für die beiden Männer. Doch jetzt ist die Adoption endgültig. Manuel und Jens Neumann sind vor dem Gesetz die rechtmäßigen Eltern. „Sämtliche frühere verwandtschaftlichen Beziehungen sind null und nichtig“, heißt es in dem Schreiben des Jugendamtes.

„Jeder Moment mit ihr ist besonders“, sagt Manuel Neumann. Aber als die aufregendste Zeit beschreibt er immer noch den Tag, als der Anruf kam bis dahin, als sie das Mädchen zu sich nachhause mitnehmen durften.  (mz)