Markröhlitz Markröhlitz : Turmlos herausragend

Markröhlitz - das ist für viele das Dorf, durch das man kommt, wenn man über Naumburg-Henne nach Weißenfels oder Merseburg fährt, in dem man gepflegt einen Eisbecher genießen kann, freilich auch das Dorf, in dem die Kirche, die keinen Turm mehr hat, so seltsam aussieht. In Markröhlitz, das 540 Einwohner zählt, seit 65 Jahren zur Gemeinde Goseck und seit sieben Jahren zur Verbandsgemeinde Unstruttal gehört, gibt es allerdings noch viel mehr zu entdecken.
Für manchen ist das „Kloßens Kaufmannsladen“. Das kleine Geschäft im einstigen Backhaus gibt es seit 25 Jahren. Hier kann man kaufen, was man täglich so braucht, zudem morgens frischen Kaffee bekommen, Bockwurst und belegte Brötchen oder Kuchen. Briefmarken gibt es, Nippes-Figürchen aus Keramik. Wer möchte, kann auf einem Tisch vorm Verkaufstresen die ausgelesene Romanzeitung gegen eine eintauschen, die ein anderer ausgelesen hat. Und auf Wunsch bringt Edith Kloß auch mal sehr spezielle Dinge aus dem Großhandel mit, etwa die besondere Haftcreme für die Dritten. Doch, so versichert die Inhaberin, es sind nicht nur Senioren, die hier einkaufen. Halb sechs in der Früh öffnet sie ihr Lädchen für die Brötchenholer und „Frühstücker“. Die Brötchen bäckt sie frisch auf. Die davon übrig bleiben, gibt es am nächsten Tag zum halben Preis, auch Brot und Kuchen, wenn von denen was übrig bleibt. Filmleute hatten die urige Location ebenfalls schon entdeckt. Aufnahmen für „Lindburgs Fall“ mit Fritz Wepper sind hier gedreht worden.
Erfolgsgeschichte „Venezia“
Angefangen hat Frau Kloß mit ihrem Geschäft in der heimischen Stube. Das hat sie mit einer sehr viel bekannteren Markröhlitzer Gründergeschichte gemeinsam: Dem Eis-Café „Venezia“. Dieses hatte Heidrun Rausch 1993 mit vier Tischen im Wohnzimmer ihres Eigenheims und fünf weiteren auf der Gartenterrasse eröffnet. Den Schritt hatte sie gewagt, weil die Aussichten in der Schuhbranche, in der sie bis dahin tätig war, nicht rosig waren. 100 000 D-Mark habe sie als ersten Kredit aufnehmen müssen, und so ganz wohl sei ihr dabei nicht gewesen. Doch schon im ersten Jahr brummte der Laden, ihr Mann, zuvor als Kraftfahrer tätig, stieg ein, und auf dem Grundstück wurde an- und ausgebaut. 180 Plätze bietet das Café heute, und noch immer zieht es Besucher in Scharen an. Sechs fest angestellte Mitarbeiter werden beschäftigt, darunter die beiden Töchter der Familie. Das Erfolgsrezept von Heidrun Rausch: „Man muss Freude an dem haben, was man tut.“ Die hat sie ganz offenbar auch an der Gestaltung des üppigen Gartens, der dem Café südliches Flair gibt. Hier steht jetzt übrigens auch duftend die Zutat für eine der Spezialitäten des Hauses in Blüte: Der Lavendel.
Rekorde: Traktoren und Geflügel
Das „Venezia“ ist für manchen die größte Attraktion, die Markröhlitz zu bieten hat. Inzwischen allerdings gibt es einmal im Jahr, am ersten Maiwochenende, einen weiteren Superlativ. Da veranstaltet der Kultur- und Sportverein sein Nostalgie- und Schlepper-Treffen. Über 1000 Besucher wurden in diesem Jahr gezählt, die Teilnahme von 100 Traktoren und noch einmal 100 Motorrädern und Autos meldeten die Veranstalter.
Mario und Anne Glotz haben das Treffen nun schon zum sechsten Mal organisiert, gemeinsam mit Dirk Glotz. Entstanden sei es aus einer Laune heraus, schildert Anne Glotz. Ihr Mann Mario habe Freunde, die sich für „Awo“-Motorräder begeistern. Da habe man sich entschlossen, ein Treffen zu organisieren, und sich gesagt, warum nicht auch Traktoren-Freunde einladen. Inzwischen gilt das Treffen als eines der größten Treffen dieser Art in der Region.
So etwas kann allerdings auch ein anderer Markröhlitzer Verein für sich in Anspruch nehmen: Der Rassegeflügelzuchtverein. Jedes erste Wochenende im Januar lädt er zur Ausstellung in den Saal des einstigen Rittergutes ein. 800 Tiere zeige man jedes Mal, so Hilmar Panse, Bürgermeister von Markröhlitz und Vereinsmitglied. Das, so Panse, seien mehr Tiere, als die Kreisschau zu bieten hat.
Panse ist seit Anfang der 1990er-Jahre Kommunalpolitiker und seit drei Wahlperioden Bürgermeister von Goseck. Ihm wird bescheinigt, viel bewirkt zu haben. So gut wie alle Straßen sind in Ordnung gebracht worden und der Platz vorm Rittergut wurde als schmucker Festplatz hergerichtet. „Und weil die Infrastruktur stimmt, haben viele private Hauseigentümer mitgezogen“, sieht sich der Bürgermeister bestätigt.
Tatsächlich prägen viele neu- oder umgebaute Häuser das Ortsbild. Und nicht zuletzt macht schnelles Internet das Dorf als Wohnstandort attraktiv. Viele hier können mit 50 MBit pro Sekunde surfen, versichert Panse.
Nur der Verkehr, der sich auf der L 205 durch den Ort wälzt, empfinden viele als Belastung. Vorstöße, einen Fußgängerüberweg einzurichten und den Lärm durch Tempo 30 zu begrenzen, sind bisher gescheitert, gibt Panse Auskunft.
Unternehmungslustige Senioren
Panse, Mitglied in einer ganzen Reihe von Vereinen, hat dieser Tage einen weiteren Aufnahmeantrag auf den Tisch bekommen. Nun, da der Bürgermeister die 65 erreicht hat, sei es für diesen an der Zeit, auch dem Seniorenverein Markröhlitz-Goseck beizutreten, findet Rosemarie Weinhold, dessen Vorsitzende. Der jüngste Senioren-Ausflug zum Cospudener See war sozusagen Panses Jungfernfahrt im Kreis der unternehmungslustigen Ruheständler. 108 Mitglieder hat der Seniorenverein, der mitgliederstärkste Verein der Gemeinde. Sie kommen etwa je zur Hälfte aus Markröhlitz und Goseck und unternehmen alljährlich mehrere Ausflüge, treffen sich zur Weihnachtszeit und zu einem Frühlingsfest, tragen mit Geburtstagsgratulationen zum Zusammenhalt unter den Älteren bei.
Während im Seniorenverein Ü 60 als Beitrittsalter gilt, ist der Kreis, der das Traditionsfest im Dorf, das Eierbetteln, organisiert, generationsübergreifend. Christian Meißner gehört ebenso dazu, wie dessen Vater Frank. „Und auch mein Großvater war schon dabei“, sagt Meißner. Einige Wochen vor Pfingsten beginnt die Vorbereitung. Am Sonnabend nach Pfingsten ziehen die Eierbettler durchs Dorf, setzen Birken, bringen Ständchen. Am Abend trifft man sich vorm Rittergut zum Platzkonzert. Voriges Jahr wurde das Fest zum 250. Mal gefeiert, hat Pfarrer Daniel Schilling-Schön recherchiert.
Gotteshaus ist neu erstanden
Womit wir nun auch bei der Kirche wären. Ja, der fehlt seit über 70 Jahren der Turm. Markröhlitz, so sagen Markröhlitzer, sei kein besonders frommes Dorf, eher im Gegenteil. Dennoch hat das Dorf seine Kirche, die seit 1971 baupolizeilich gesperrt war und über deren Abriss Ende der 1990er Jahre diskutiert wurde, nicht nur gerettet, sondern wieder mit Leben erfüllt.
Birgitt Hofmann hatte den Förderverein, der das schaffte und der heute von Dirk Glotz geleitet wird, mit initiiert. „Wir ticken da ein bisschen anders“, sagt sie und meint damit, dass es von Anfang an nicht nur darum gegangen sei, dem Dorf das Gotteshaus wieder zu geben, sondern eine Stätte der Begegnung zu schaffen. Und, so freut sie sich, „Pfarrer Schilling-Schön war da ganz auf unserer Seite“. Heute finden hier nicht nur Gottesdienste, Trauungen und Taufen statt, sondern auch Konzerte und Theateraufführung und regelmäßig Rockkonzerte. Ihren Turm soll die Kirche wieder erhalten. „Nun müssen wir uns als nächstes darüber verständigen, wie der aussehen soll“, sagt Dirk Glotz.

