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Gregor Gysi im "Turbinenhaus"  Gregor Gysi im "Turbinenhaus" : Schwimmen kann er och nich

Von Albrecht Günther 06.05.2019, 07:54
In der Pause der Gesprächsveranstaltung signiert Gregor Gysi im Café des Naumburger „Kunstwerkes Turbinenhaus“ seine Autobiografie „Ein Leben ist zu wenig“. Auch Erinnerungsfotos werden gemacht.
In der Pause der Gesprächsveranstaltung signiert Gregor Gysi im Café des Naumburger „Kunstwerkes Turbinenhaus“ seine Autobiografie „Ein Leben ist zu wenig“. Auch Erinnerungsfotos werden gemacht. Torsten Biel

Naumburg - Amüsant. Tiefgründig. Unterhaltsam. Ironisch pointiert. Zupackend. Intelligent. Politik kann auch anders. Nicht das gewohnte Bild von Wichtigtuern in gräulichen Anzügen oder mit den Fingern zeigender, megafonartig schreiender Parteitagsredner. Würde Politik öfter so sympathisch serviert wie von Gregor Gysi, womöglich hielte sich die Verdrossenheit der Bürger zu diesem Thema in Grenzen.

Doch Gysi, nun 71-jährig und inzwischen auf Bundesebene ohne politische Ämter, muss nicht über Politik reden, er kann plaudern. Diese Plauderei jedoch ist eine auf hohem Niveau in mehrfacher Hinsicht. Siehe oben. Und so schauen viele der rund 250 Besucher im Naumburger „Kunstwerk Turbinenhaus“ überrascht auf die Uhr, als die 120 Minuten schon vorstrichen sind - und keine davon langweilig war.

Am Donnerstagabend stellte der frühere Vorsitzende der SED und PDS, Volkskammer- und Bundestagsabgeordnete sowie heutige Präsident der Europäischen Linken seine 2017 im Aufbau-Verlag erschienene Autobiografie „Ein Leben ist zu wenig“ vor. Eingeladen dazu hatten ihn die Linke-Basisorganisationen Burgenlandkreis und Naumburg sowie Birke Bull-Bischoff.

2018 hatte die Linke-Bundestagsabgeordnete während eines Ostsee-Urlaubs vergeblich versucht, Karten für eine Lesung Gysis in Zinnowitz zu erhalten. „Ich habe ihm eine E-Mail geschrieben, zwei Tage später mit seinem Büro telefoniert und tatsächlich einen freien Termin gefunden“, so die Politikerin. Deshalb freue sie sich, dass sie nun mit Gregor Gysi jenen Mann in Naumburg begrüßen könne, „der wie kein anderer das Profil meiner Partei bestimmt hat“.

Allerdings tritt Gysi - eine Stunde vor der Lesung - ganz bescheiden durch die Hintertür ins „Turbinenhaus“. Ohne Jackett, dunkelgrünes Polo-Shirt, munterer Blick. In der Künstlergarderobe steht er für Fragen bereit. Ein kurzer Anstoß, schon legt Gysi im Gespräch mit unserer Zeitung los. Freilich habe es in der DDR soziale Unterschiede gegeben, „aber heute wird die Gesellschaft ausschließlich vom Geld bestimmt“. Die soziale Stellung entscheide über den Zugang zu Bildung und Kultur, und von Chancengleichheit sei die Gesellschaft noch immer ebenso weit entfernt wie sich die Schere zwischen Armen und Reichen vergrößere.

Auch die SPD nimmt Gysi aufs Korn. Es sei ein Fehler gewesen, weiter in der Großen Koalition zu bleiben. „Eine Minderheitsregierung hätte Merkel dazu gezwungen, immer wieder Partner für die beste Lösung finden zu müssen. Diese Offenheit, dieses Suchen hätte die Demokratie stärken können“, so Gysi.

Ausdrücklich unterstützt er die Protestbewegung „Fridays for Future“. Endlich erhebe die Jugend ihre Stimme; und das bei einem so wichtigen Thema wie dem Klimaschutz, der kommende Generationen enorm betreffe. Allerdings müssten die Protestler Kanzlerin Merkel nun in die Mangel nehmen. „Mit einem Forderungskatalog, der Punkt für Punkt abgearbeitet werden muss“, verlangt Gysi, nun kämpferisch. Um dann, nur wenige Minuten vor Beginn der Lesung, noch einen Schluck aus dem Wasserglas zu nehmen und salopp zu verkünden: „Na, denn man los.“

Als er gemeinsam mit Hans-Dieter Schütt, dem früheren Chefredakteur der „Jungen Welt“ und Ex-Feuilletonredakteur des „ND“, der das Gespräch führt, die Bühne betritt, empfängt ihn langer Applaus. Leonardo da Vincis Todestag vor 500 Jahren ist das erste Thema, das Schütt anspricht. Und Gysi erinnert sich an seinen Paris-Besuch 1988, als er die „Mona Lisa“ betrachten wollte und feststellte, wie teuer im Vergleich zu DDR-Verkehrsmitteln die Metro war. Immer wieder baut Gysi solche Vergleiche ein, berichtet über seine Vorfahren und Eltern, um dann wieder ins Politische zu kommen. So zur Europa-Wahl: „Die europäische Einigung abzuschaffen, wäre der größte Blödsinn. Konzerne lassen sich nur noch europäisch kontrollieren. Nationalismus führt zu Krieg. Und im Interesse unserer Jugend muss die EU gerettet und reformiert werden.“

Dann wieder der Schwenk ins Biografische. Er habe fünf Lebensphasen absolviert: Kindheit, Jugend, die Zeit als Rechtsanwalt, die Wende 1989/90, „in der ich allgemein gehasst wurde, und in der einige in mich Hoffnungen setzten“, schließlich die Zeit, „in der mich die Mehrheit akzeptiert hat“. Nun befinde er sich in Phase sechs, dem Alter. In dem sich Gysi noch immer kräftig auf die Schippe nehmen kann.

So mit einem Witz: „Ich bin am Müggelsee unterwegs und fühle mich von allen angefeindet. Da tritt Jesus auf mich zu. Ich bitte ihn, mir einen Wunsch zu erfüllen, damit ich zeigen kann, wie toll ich bin. Jesus sagt: Geh übers Wasser. Ich laufe los - es funktioniert. Einer der Umstehenden aber sagt: Kiek ma, schwimmen kann er och nich!“

Im Gespräch mit Hans-Dieter Schütt (r.) stellt Gregor Gysi sein Buch vor und plaudert dabei witzig und intelligent über Politik und sein Leben.
Im Gespräch mit Hans-Dieter Schütt (r.) stellt Gregor Gysi sein Buch vor und plaudert dabei witzig und intelligent über Politik und sein Leben.
Biel