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20 Kilometer zum Patienten 20 Kilometer zum Patienten: Deshalb schwärmt eine junge Ärztin in Lützen von ihrem Job

Von Antonie Städter 23.06.2019, 10:00
Allgemeinmedizinerin Mandy Schwabe in ihrer Praxis in Lützen. Die 39-Jährige sagt:  „Für mich ist das ein schöneres, angenehmeres Arbeiten als in der Großstadt.“
Allgemeinmedizinerin Mandy Schwabe in ihrer Praxis in Lützen. Die 39-Jährige sagt:  „Für mich ist das ein schöneres, angenehmeres Arbeiten als in der Großstadt.“ Andreas Stedtler

Lützen - Am frühen Nachmittag, die Öffnungszeit ist längst verstrichen, kehrt in der Praxis von Mandy Schwabe in der kleinen Stadt Lützen im Burgenlandkreis langsam Ruhe ein. Die letzten Patienten verabschieden sich, Praxiskater Garfield schaut um die Ecke - und wäre die Chefin nicht zum Interview verabredet, würde sie mit ihren Angestellten jetzt zur Mittagspause ein paar Schritte in den Garten der prächtigen alten Villa gehen, in der sich die Praxis befindet. Die Stimmung ist fröhlich, alle im Team duzen sich. Genau das ist es, was Mandy Schwabe so an ihrer Arbeit hier schätzt: das Familiäre, die kurzen Wege, und auch die besondere Nähe zu den Patienten.

„Als Hausarzt in einer ländlichen Gegend hat man ein engeres Verhältnis zu seinen Patienten“, ist die Medizinerin überzeugt. „Ich betreue hier Menschen vom Säugling bis zum Senioren - oft mehrere Generationen einer Familie.“ Dass auch Kinder zu ihren Patienten gehören, sei ihr bei der Entscheidung für die Praxis wichtig gewesen, sagt sie. Und: „Für mich ist das ein schöneres, angenehmeres Arbeiten als in der Großstadt.“ Wenn man sie so erzählen - nein, schwärmen - hört, dann ist der allgegenwärtige Hausärztemangel ganz weit weg. Zumindest kann man es sich gar nicht erklären, warum sich nicht mehr angehende Ärzte für diese Fachrichtung und auch fürs Arbeiten in einem ländlichen Gebiet entscheiden.

Zunächst kein Praxisnachfolger gefunden: Ärztin arbeitete acht Jahre länger

Mandy Schwabe hat den Vergleich. Ihr Praktisches Jahr absolvierte sie in einer Praxis in Leipzig, wo sie im Anschluss zweieinhalb Jahre tätig gewesen ist. Danach machte die heute 39-Jährige ihre Facharztausbildung zur Allgemeinmedizinerin im Krankenhaus in Weißenfels.

Und irgendwann hörte sie von Brigitte Thieme und deren Suche nach einem Praxisnachfolger. Die Ärztin, die in der Villa in Lützen seit den 70er Jahren praktizierte, hatte sich schon lange vor dem eigenen Rentenalter umgesehen. Letztlich arbeitete sie aber acht Jahre länger, weil sich die Suche so schwierig gestaltete. „Es war ein Riesenglück, dass ich sie gefunden habe“, sagte die damals 73-jährige Brigitte Thieme 2016 nach der Schlüsselübergabe an Mandy Schwabe der MZ. Und auch für die frischgebackene Fachärztin für Allgemeinmedizin erfüllte sich ein Traum.

Die beiden Frauen hatten seit Sommer 2015 gemeinsam in der Praxis gearbeitet. „Außer, wenn es sehr voll war, haben wir die Patienten zu zweit behandelt. Das war gewissermaßen eine Übergabe von einem halben Jahr - und hat toll funktioniert“, so Schwabe, die damals die beiden Arzthelferinnen mit übernommen hat und zudem zwei Auszubildende beschäftigt.

Diese hat errechnet, dass im Jahr 2032 im Fachbereich der Allgemeinmedizin 262 Arztsitze landesweit fehlen werden. Bereits heute seien 140 Hausarztsitze nicht besetzt. In den kommenden Jahren würden voraussichtlich von vier Praxen, die geschlossen werden, nur drei nachbesetzt werden können. Neben der geplanten Quote gibt es bereits Förderungen wie Stipendien für angehende Allgemeinmediziner im Land.

Um dem Hausärztemangel auf dem Land zu begegnen, soll es an Sachsen-Anhalts Universitäten ab dem Wintersemester 2020/21 eine Landarztquote geben: Damit reserviert das Land 20 der 400 Medizinstudienplätze in Halle und Magdeburg pro Jahr für Studenten, die sich verpflichten, nach dem Abschluss für zehn Jahre als Allgemeinmediziner in einem unterversorgten Gebiet tätig zu sein. Die Auswahl der Studenten soll die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt übernehmen. 

Die „Riesenverantwortung für die Angestellten“ sei einer der Punkte gewesen, die die zweifache Mutter vor der Praxisübernahme hatten grübeln lassen, ob sie es wirklich wagen soll. „Natürlich hatte ich auch schlaflose Nächte angesichts der Kreditsummen, die auf einen zukommen“, erinnert sie sich. „Aber das ist alles zu schaffen, an Arbeit mangelt es ja nicht.“ Wie auch die Zahlen belegen: Pro Quartal behandelt Mandy Schwabe im Schnitt 1600 Patienten, „an den langen Tagen sind es mehr als 100 pro Tag“.

Als Arzthelferin in Quedlinburg begonnen, dann Medizinstudium in Leipzig

Für die Hausbesuche fährt die Ärztin auch schon mal Strecken von 20 Kilometern. Und sagt: „Natürlich ist es anstrengender, über die Dörfer zu tingeln, aber das ändert nichts daran, dass ich gerne Hausarzt auf dem Land bin.“ Was die engagierte Frau, die seit Jahren stets zwei Wochen ihres Sommerurlaubs für die ehrenamtliche Betreuung eines Camps für Kinder mit Diabetes frei hält, viel schlimmer findet: „Dass die fehlende Infrastruktur auf dem Land dazu führt, dass Patienten ohne Auto oft stundenlang auf den Bus zurück nach Hause warten müssen.“

Es war nicht vorgezeichnet, dass Mandy Schwabe ihren Kindheitstraum, Ärztin zu werden, auch wahr machen könnte. „Ich war mir nicht sicher, ob ich mir das Studium würde leisten können“, erzählt die 39-Jährige, die aus Thale im Harz stammt. „Deshalb begann ich zunächst eine Ausbildung zur Arzthelferin in Quedlinburg.“ Dort aber sei schnell klar gewesen, dass der Arztberuf genau das Richtige für sie ist. „Die Art, wie mein damaliger Chef gearbeitet hat, hat mich fasziniert“, erinnert sie sich. 2001 begann sie in Leipzig selbst das Medizinstudium.

Während schon damals von einem drohenden Hausärztenotstand die Rede war, wusste Mandy Schwabe von Anfang an, dass es für sie nichts anderes als die Allgemeinmedizin sein sollte. „Das hat sich nie geändert.“ Nicht nur, dass man ein ganz besonderes Vertrauen der Patienten genieße - der Beruf sei auch viel abwechslungsreicher, als mitunter angenommen werde: „Als Hausarzt guckt man nicht nur in den Hals und verschreibt Blutdrucktabletten“, betont sie. „Die Gründe, warum Menschen hier herkommen, reichen vom Herzinfarkt über die Platzwunde bis hin zur Vorsorgeuntersuchung.“ Diese Vielfalt erlebten auch die Studenten aus Leipzig oder Jena immer wieder, die bei ihr Praxiserfahrung sammeln.

Große Erleichterung bei den Patienten, dass es mit der Praxis weitergeht

Rund vier Jahre sind es nun schon, die Mandy Schwabe in Lützen tätig ist, doch noch immer spürt sie - „vor allem bei den Älteren“ - die Erleichterung darüber, dass es mit der Praxis weitergegangen ist. „Manche bringen sogar Blumen mit, Eier vom eigenen Hof oder eine Bratwurst mit Brötchen zum Frühstück“, sagt die Ärztin - und man merkt ihr an, wie sie sich darüber freut. „Wir sind in Lützen längst angekommen, fühlen uns hier zu Hause.“

Wobei sich das Zuhause direkt über den Räumen der Praxis befindet. Denn mit deren Übernahme haben Mandy Schwabe und ihr Mann, von Beruf Event-Manager, auch das Haus gekauft und sind mit dem heute 14-jährigen Sohn und der Tochter, inzwischen sieben, hergezogen. Was dazu führt, dass die Mutter an Tagen mit langen Sprechzeiten den Feierabend eine Etage höher beim Abendbrot begehen kann. Anders gesagt: „40 Arbeitsstunden reichen pro Woche lange nicht aus“, so die Medizinerin, die dennoch versucht, viel Zeit mit Mann und Kindern zu verbringen. Doch: Da ihre weitere Familie nicht in der Nähe wohne, „würde das alles ohne die große Unterstützung von Freunden hier vor Ort gar nicht gehen“.

Kann sie es sich denn selbst vorstellen, länger als bis zum Rentenalter zu arbeiten - so, wie ihre Vorgängerin? Da muss Mandy Schwabe trotz der Liebe zu ihrem Beruf nicht lange nachdenken: „Ehrlich gesagt, habe ich das nicht vor.“  (mz)