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Ein Jahr nach Germanwings-Absturz Ein Jahr nach Germanwings-Absturz: Orte der Trauer in Zeitz

Von Anja Melior und Michael Falgowski 23.03.2016, 19:00
Paul Weiland steht gedankenverloren und allein im Zeitzer Rathausgarten. Für ihn ist der Flugzeugabsturz und der Tod seiner Cousine nur sinnlos.
Paul Weiland steht gedankenverloren und allein im Zeitzer Rathausgarten. Für ihn ist der Flugzeugabsturz und der Tod seiner Cousine nur sinnlos. Anja Melior

Zeitz/Halle (Saale) - Es ist ein schwerer Tag für den Zeitzer Paul Weiland. Vor einem Jahr verlor er nicht nur seine Cousine -  er verlor sein großes Vorbild, eine Art Schwester - kurzum einen geliebten Menschen. Juliane Noack war eines der 150 Opfer des Germanwings-Fluges 4U9525.

Die Maschine prallte in Südfrankreich - offensichtlich durch den Co-Piloten Andreas Lubitz mit Absicht herbeigeführt - in ein Bergmassiv und zerschellte. Die junge Schmuckdesignerin aus Halle verbrachte einen Teil ihrer Kindheit in Zeitz. Hat hier Verwandte und Bekannte. Der Rathausturm hatte es ihr angetan. Bereits als Jugendliche wurde das Gebäude mehrmals auf ihrem Zeichenblock verewigt.

„Es war  merkwürdig. Ich bin morgens aufgewacht und merkte, dass irgendetwas nicht stimmt“, erzählt Paul Weiland, wenn er auf den Tag angesprochen wird, an dem er vom Tod seiner Cousine erfuhr. Ihm war übel und  schwindlig.  Bei seinem Vater meldete er sich krank, da beide im selben Unternehmen tätig sind. 

„So konnte ich nicht zur Arbeit“, sagt Weiland und ist sich sicher, dass sein Körper zu diesem Zeitpunkt spürte, dass irgendetwas Schlimmes passieren würde. „Ich glaub nicht an Übernatürliches, aber das war schon sehr mysteriös“, erinnert er sich. Der  26-Jährige  wusste zu dem Zeitpunkt nicht, welches Unglück sich  um 10.41 Uhr in Südfrankreich ereignete. Kurz nachdem er sich  für seine Nachtschicht abgemeldet hatte, klingelte das Telefon erneut.

„Mein Vater  erklärte mir, dass Juliane wahrscheinlich ums Leben gekommen ist“, erinnert er sich. Die genauen Worte hat Weiland nicht mehr im Kopf,   jedoch weiß er, dass er sofort losgeschrien hat. Er fühlte sich wie gelähmt, ferngesteuert und verdrängte den Gedanken, dass seine geliebte Cousine tatsächlich nicht mehr am Leben ist. „Wir sind aufgewachsen wie Geschwister. Sie war immer mein ganz großes Vorbild - sie konnte doch nicht einfach nicht mehr da sein“, sagt er und wirkt dabei heute noch sehr nachdenklich. Er erinnert sich, dass alle hofften, dass Juliane den Flug verpasst hat. „Das wäre so typisch für sie gewesen, aber leider hat sie diesen Flug bekommen. Ihren letzten...“

Verschwommene Erinnerung

Es folgte ein Zeit, die ihm sehr verschwommen in Erinnerung ist. Gleich am Wochenende des Flugzeugunglücks traf sich die gesamte Familie von Juliane in Fienstedt bei Halle. Dort leben  ihre Eltern Frank und Jana Noack.  Darauf folgte ein Besuch im Atelier der jungen Frau in Leipzig, wo sie seit kurzer Zeit mit ihrem Lebensgefährten David Nowak wohnte. „Das war so schön. Freunde hatte Fotos von ihr ausgebreitet und man durfte sich eins nehmen.  Ein Schmuckkästchen stand parat, wo teils selbst gemachte Stücke der Hallenserin gesammelt wurden“, so Weiland. Sein gewähltes Foto hängt im Auto und am Finger trägt er ihren Ring. Ob er von Juliane selbst gemacht wurde, weiß er nicht, aber er stammt aus ihrer Sammlung. „Damit trage ich meine Juliane  immer bei mir“, so der 26-Jährige.

Mit der Gründung des „Fördervereins zum Aufbau einer Juliane Noack Künstlerförderung e.V.“ hat sich der Lebensgefährte von Juliane Noack, David Nowak  vorgenommen, aus dem sinnlosen Absturz der Germanwings Maschine 4U9525, einen neuen Sinn zu schaffen. „Wir wollen ein Andenken an  Juliane schaffen, das nicht nur auf die Vergangenheit blickt sondern in die Zukunft strahlt“, heißt es auf der Homepage der  Künstlerin.

Der Förderverein soll das Grundgerüst der  Stiftung bilden. Er sammelt das nötige Kapital für die Errichtung und ermöglicht mit Spenden, die Arbeit zu beginnen. Er ist die Plattform, die die Bemühungen aller Unterstützer  bündelt  und dadurch neuen Sinn zu schaffen.   Bislang fließen die Spenden aber eher spärlich. Es seien zwar einige Spenden zusammengekommen, aber längst nicht genug. Er habe auch bei der Lufthansa angefragt, wo man sich zumindest positiv geäußert habe. „Aber im Grunde fangen wir jetzt erst richtig an. Eine Stiftung zu gründen, ist nicht so leicht. Wir haben uns lange mit den juristischen Fragen auseinandergesetzt, und vor allem fehlt es an Geld“, sagt David Nowak.“ Irgendwann soll auch die Entschädigungssumme von Germanwings-Mutterkonzern Lufthansa in den Stiftung fließen. Die 50.000 Euro, die Deutschlands größte Fluggesellschaft  als Soforthilfe an die Angehörigen gezahlt hat, sind bereits für Dinge aufgebraucht, die im Zusammenhang mit dem Umglück stehen, wie Nowak sagt.

Weitere Infos auf der Seite: www.julianenoack.de

In Erinnerung an das Leben von Juliane Noack und der alltäglichen Kämpfe aller jungen Kunstschaffenden will der Verein Künstlerförderung für junge Menschen  anregen, initiieren und umsetzen. Dadurch sollen auch zukünftig künstlerische Vielfalt und Qualität in der Gesellschaft gestärkt werden. Um diese  Ziele langfristig und nachhaltig zu verwirklichen, ist in diesem Jahr  die Gründung der rechtsfähigen „Juliane Noack Stiftung“ geplant. Die Stiftung soll jährlich Arbeits- und Projektstipendien für junge Kunstschaffende in Deutschland vergeben. Auch weitere Förderungen sind geplant. Die Stiftung wird sich dabei vor allem auf Schmuckkunst, Skulptur und Rauminterventionen konzentrieren. Es sind die Themen, an denen Juliane Noack als Künstlerin gearbeitet hat.

Geholfen hat Paul Weiland in der schweren Zeit fast ausschließlich seine Familie. „Wir waren  füreinander da und haben uns gestützt. Im Freundeskreis wurde es eher ignoriert“ erinnert sich der Fachlagerist. Keiner hat so richtig gewusst, wie damit umzugehen sei. „Ich hab mich dann auf Partys und bei Konzerten  abgelenkt, aber vergessen habe und werde ich das sicher nie“,   sagt er melancholisch. Gerade die Tatsache, dass es eben kein Absturz wegen eines technischen Defektes war, sondern eine bewusst herbeigeführte Katastrophe, lässt in ihm Hass und Wut aufsteigen.  „Das macht alles noch so viel sinnloser. Muss man denn 149 und ein halbes Menschenleben sowie das von Hunderten Angehörigen zerstören, bloß weil man selbst kein Bock mehr hat“, fragt sich Weiland immer und immer wieder. Seine Cousine Julian Noack war schwanger. Sie trug ein Kind im Bauch und freute sich auf ihre neue Aufgabe als Mutter, doch der durfte sie sich  nie stellen.

Im letzten Jahr hat sich für die Angehörigen von Juliane Noack  viel verändert. „Ja, man genießt das Leben jetzt ganz anders,  regt sich nicht mehr über Kleinigkeiten auf und fragt sich oft, warum sich manche Leute eigentlich über völlig belanglose Dinge  streiten“, meint Weiland. Seit dem lebt er nach dem Motto: „Man kann dem Leben nicht mehr Tage geben, aber dem Tag mehr Leben“.  Julianes Eltern Frank und Jana Noack zünden jede Tag  eine Kerze an.  Ein Ritual für ihre einzige Tochter Juliane. Die Trauer über den Verlust  sei im Laufe des zurückliegenden Jahres nicht geringer geworden. „Juliane gilt noch immer der mein erster Gedanke am Tag. Und auch der letzte“, so der Vater der Künstlerin.

Den ersten Todestag verbringt die engste Familie im Unglücksort Le Vernet.  Paul Weiland zieht sich zum Grab der jungen Künstlerin nach Halle zurück. (mz)

Die verstorbene Künstlerin Juliane Noack bei ihrer Arbeit.
Die verstorbene Künstlerin Juliane Noack bei ihrer Arbeit.
Joerg Lipskoch Lizenz