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Und Grover's Corners kann doch überall sein

Von CORINNA NITZ 29.06.2009, 17:13

WITTENBERG/MZ. - Stets zur selben Zeit bringt der Milchmann seine Lieferung und der Kantor, darauf ist Verlass, hat mal wieder einen über den Durst getrunken. So sieht ein ganz gewöhnlicher Tag in Grover's Corners aus, jenem imaginären Flecken in New Hampshire, USA, an dem Erfolgsautor und Pulitzerpreisträger Thornton Wilder 1938 ein gleichnishaftes Bild vom menschlichen Alltag entwarf.

In Wittenberg hat sich jetzt der Theaterjugendclub "Chamäleon" des Stoffes angenommen. Die Premiere fand am Donnerstagabend vergangener Woche statt, Sonntagnachmittag gab es die zweite Vorstellung im kleinen Saal des KTC.

Zweieinhalb Stunden dauern die drei Akte; dass man als Zuschauer bei aller epischen Darstellung nicht wegdämmert, liegt an der klugen und trotz mancher Längen atmosphärisch dichten Inszenierung von Regisseur Frank-Bernd Gottschalk. Er setzt die Figuren, und derer gibt es einige (siehe auch "Wiedersehen mit alten Bekannten"), beziehungsvoll in die Handlung, in der eigentlich nichts weiter passiert, außer dass Menschen ihr Leben leben und Sätze fallen wie: "Der Tag läuft ab wie eine lahme Uhr" oder "Schule gehört zu den Dingen, die man durchmachen muss, und sie vertreibt die Zeit".

Im Mittelpunkt stehen die Kinder Emily und George - sie die ernsthafte und kluge Tochter des örtlichen Zeitungsredakteurs, er ein kumpelhafter Arztsohn mit Hang zu Baseball und schlichten Weltansichten -, an deren Heranwachsen sich die Geschichte entlangrankt. In den Rollen sind Anna Gruner und René Lenz zu erleben, die mit ihrem innigen Spiel den Besucher auch an dessen eigene Kindheit denken lassen.

Zusammengehalten werden die drei Akte von einem brillanten Fabian Rosonsky, der Erzähler und Spielleiter in Personalunion ist. In seinen Ansprachen ans Publikum bettet er die Handlung ein in philosophische Betrachtungen zu den Ereignissen der damaligen Zeit, liefert Informationen zum Ort des Geschehens, der überall liegen könnte, genauso wie Grover's Corners eine Stadt namens Wittenberg sein könnte. Im letzten Akt wird Emily, inzwischen Georges Ehefrau, übrigens zu Grabe getragen. Sie war im Kindbett gestorben und begegnet auf dem Friedhof all jenen, die aus Grover's Corners bereits das Zeitliche gesegnet haben. Als sie (was für eine hübsche Vorstellung) noch einmal zurückkehrt, stellt sie fest, dass die Ihren die Einmaligkeit des Lebens nicht verstehen. Und dem Zuschauer bietet sich das alte Bild: Väter sind bei der Arbeit, Mütter rufen ihre Kinder zum Frühstück. Der zeitlose Gang der Dinge, er geht in eine nächste Runde. Irgendwie hat das aber auch etwas Beruhigendes.