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Ehrenamt Sindy Bendigs Pawlack fotografiert ehrenamtlich Sternenkinder

Von Alexander Baumbach 09.06.2016, 17:14
Zum Abschiednehmen gehört das Trauern dazu. Fotos können helfen, mit dem Unsagbaren irgendwann umgehen zu können.
Zum Abschiednehmen gehört das Trauern dazu. Fotos können helfen, mit dem Unsagbaren irgendwann umgehen zu können. Dein-Sternenkind.EU

Wittenberg - Auch Tage nach ihrem Einsatz ist Sindy Bendigs Pawlack noch sichtlich mitgenommen von ihrem ersten Auftrag als Sternenkind-Fotografin. Die junge Mutter aus Elster wurde ins Wittenberger Paul-Gerhardt-Stift gerufen, um fotografisch festzuhalten, was der Alptraum aller werdenden Eltern ist: ein Baby, das nicht mehr lebt. Ein „Sternenkind“.

„Das geht an die Substanz. Eine Freundin von mir hat vor zwei Jahren in Leipzig ihr Baby verloren und bereut bis heute, dass sie nichts Handfestes hat, an dem sie die Erinnerungen festmachen kann“, erklärt die Fotografin, warum sie sich ehrenamtlich in der Organisation „Dein Sternenkind“ engagiert.

Unvorbereitet, nicht unerwartet

„Gelistet bin ich bei der Truppe seit anderthalb Jahren, aber jetzt erst gab es den ersten richtigen Einsatz“, erzählt sie. Als die Nachricht kam, dass am nächsten Tag um 10 Uhr ein Fotograf gebraucht wird, traf sie das nicht unerwartet – vorbereitet ist man aber darauf trotzdem nicht. „Um ehrlich zu sein: Ich habe diese Situation immer und immer wieder gedanklich durchgespielt. Was muss ich als erstes tun? Wie werde ich selbst reagieren? Was kommt auf mich zu? Wie verhalte ich mich? – aber dann war es völlig anders“, erklärt die 36-Jährige.

Zwei Tage vorher hatte sich ihr jüngster Sohn den Arm gebrochen. „Also habe ich krampfhaft versucht, einen Babysitter aufzutreiben. Erst als das nach einigen Telefonaten erledigt war, konnte ich mich voll auf das Kommende konzentrieren“, erzählt die Fotografin, die seit 2011 hauptberuflich fotografiert und im Sommer in Elster ein Studio eröffnen will. Den Schwerpunkt ihrer bisherigen Arbeiten fasst sie in zwei Worten zusammen: Kinder und Schwangere.

Schockstarre im Krankenhaus

Im Krankenhaus sollte das Kind aufgebahrt sein, damit sich die Eltern verabschieden können. „Als ich das Zimmer betrat, sah ich die Eltern in tiefer Trauer. Schockstarre. Während ich die ersten Bilder machte, schluchzte der Vater neben mir“, schildert Sindy Bendigs Pawlack die Situation im Wittenberger Paul Gerhardt Stift.

„Sie waren nicht in der Verfassung, ihr Sternenkind aus dem Bettchen zu nehmen und so machte ich Bilder in dem Bett, das wunderschön geschmückt war: dekoriert mit gelben Rosenblättern und einem Sträußchen am Fußende, dazu ein Kuscheltier“, erzählt sie. „Das Baby sah so friedlich aus, als ob es schläft. Aber das redet man sich auch irgendwie ein“, beschreibt die Fotografin.

Die Vereinigung „Dein Sternenkind“ wurde Anfang 2013 durch den Fotografen Kai Gebel ins Leben gerufen und bietet kostenlos professionelle Erinnerungsfotos als Geschenk für Eltern, die entweder ein bereits totes Baby auf die Welt bringen müssen oder denen der Tod des Neugeborenen unausweichlich bevorsteht. Inzwischen besteht die Initiative aus über 600 Fotografen, die kostenlos und aus humanitären Gründen ihre Zeit für Eltern zur Verfügung stellen.  BA

Im Netz gibt es hier weitere Infos.

„Der Papa war sichtlich gerührt und ich merkte, dass es an der Zeit war zu gehen. Ich wollte mich soeben verabschieden, als er aufsprang und mich weinend bat, noch ein Bild von ihm und dem Baby zu machen.“ Auch an der Fotografin geht der Einsatz nicht spurlos vorbei. „Vorher ist man aufgeregt. Beim Fotografieren selbst, da funktioniert man. Als ich dann auf dem Weg zum Fahrstuhl einer schwangeren Freundin begegnete, da hat es dann auch mir die Kehle zugeschnürt“, erzählt sie.

Immer wieder kommen auch im Wittenberger Krankenhaus tote Babys zur Welt. Schon seit vielen Jahren sei es dort üblich, dass Hebammen bei der Geburt von Sternenkindern den Eltern die Möglichkeit geben, sich von ihrem Kind zu verabschieden. Das erklärt Janet Pötzsch, Pressesprecherin am Paul Gerhardt Stift in Wittenberg. „Bisher haben die Hebammen die Fotos angefertigt, damit Eltern ihr Kind in Erinnerung behalten können“, sagt Pötzsch. Außerdem unterbreite das Krankenhaus Angebote der Trauerbegleitung, neben dem Hospizdienst werden die Angehörigen nach Wunsch auch von den Klinikseelsorgern unterstützt.

Auch der Chefarzt der Klinik für Geburtshilfe und Frauenheilkunde ist angetan von der Idee: „Ich erlebe das als große Stütze, dieses Kind auf einem Foto anschauen zu können. Das ist für alle, auch die Kollegen, sehr bewegend und ein wichtiger emotionaler Prozess der Bewältigung“, erklärt Martin Voss.

„Ein Foto holt dieses Kind aus der Anonymität heraus, kann dem Schmerz einen Namen und ein Antlitz geben. Wir kennen das Ritual aus der Geschichte von Votivtafeln, später auch Skulpturen und Fotos auf Grabsteinen“, ergänzt der zweifach promovierte Mediziner. „Menschen sind Gemeinschaftstiere, und es kann entlasten, Trauer öffentlich in der Gemeinschaft zu tragen. Das ist auch ein sehr christlicher Geist.“

Fotografin Sindy Bendigs Pawlack hofft, dass das Projekt mehr Beachtung findet. „Ich wünsche mir, dass die Organisation bekannter wird. In einer solchen psychischen Ausnahmesituation denken die Eltern nicht daran, dass es uns gibt. Ärzte, Hebammen und Schwestern sollten darauf aufmerksam machen können, wenn sich die Situation abzeichnet, dass unsere Dienste benötigt werden“, erklärt die vierfache Mutter. „Wenn ich in einer solchen Situation wäre, würde ich mir wünschen, dass man mich darauf hinweist.“ (mz)

Sindy Bendigs Pawlack fotografiert Sternenkinder.
Sindy Bendigs Pawlack fotografiert Sternenkinder.
Baumbach