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Blog 9. Februar Blog 9. Februar: Hoch hinaus mit Klaus

Von Peter Benedix 13.02.2017, 13:27

Wittenberg - Haben Sie in der letzten Zeit schon mal versucht, ein Bahnticket direkt beim Schaffner zu kaufen? Lassen Sie es!

Der Morgen war zeitlich wieder recht knapp. Sohnemann in die Kita bringen, Technik schultern, ab zum Gesundbrunnen und rein in den ICE nach Wittenberg. Fünf Minuten vor dem Halt in Wittenberg steht der Schaffner neben mir und macht die Ansage über den nächsten Halt.

Dann dreht er sich zu mir und möchte meine Fahrkarte sehen:

„Brauche ich noch.“

„Alles klar. Haben Sie eine Bahncard?“

„Habe ich – hier ist sie.“

„Sie haben aber einen ausgefallen Namen. Peter Benedix. Na sowas. Und da fahren Sie auch noch nach Wittenberg.“

Ich nicke. Er spricht weiter im besten konschtanzer Dialekt.

„PB…das kennt man doch auch aus der Chemie.“

„Ist das Zeichen für Blei.“

„Sehr gut. Hier Ihre Bahncard. Zahlen Sie bar oder mit Karte.“

„Bar. Sind das mit Bahncard nicht nur 16 Euro?“, frage ich beim Blick auf das schmale Rückgeld.

„Ja, schon“, antwortet der Schaffner. „Der Rest ist Zuzahlung wenn Sie im Zug kaufen.“

„12,50 Euro Zuzahlung?!“

Diskussion zwecklos. Zug hat schon gehalten. Schnell raus, denn die Wartezeit am einzigen Halt zwischen Berlin und Leipzig ist kurz. Am Bahnhof wieder das Auto meiner Mutter gekapert und los geht’s. Termine habe ich heute nur einen und zwar bei einem möglichen Sponsor und dieser Termin läuft auch ganz gut.

Peter Benedix ist Filmregisseur und arbeitet an einer Langzeit-Dokumentation über das Reformationsjubiläum 2017 in der Lutherstadt Wittenberg. Auf der Seite www.mz.de/herz und www.worandeinherz.de berichtet der 36-Jährige über die Fortschritte bei den Arbeiten an dem abendfüllenden Film über seine Heimatstadt. Sie erreichen Peter Benedix per Mail unter [email protected]

Mal sehen, was sich daraus ergibt. Jetzt schlendere ich noch einige Zeit durch die Innenstadt und nehme die leeren Straßen des winterlichen Wittenbergs auf.

Ja…es ist eine garstig kalte Zeit und kaum ein Tourist traut sich auf das Pflaster des Markplatzes. Der Countdown im Reformationsglobus ist noch immer kaputt. Ich gehe zur Touristeninfo und gebe diesen Missstand zu Protokoll.

Gleichzeitig erfahre ich, dass die Toilette am Schloss derzeit nur von 10 bis 11 geöffnet ist. Länger lohnt derzeit nicht. Dabei ist dies doch (man mag es kaum glauben), das einzige Klo mit einer eigenen Facebook-Seite.

Ich beschließe, Bernhard Naumann zu besuchen. Zwar bin ich weder angemeldet noch weiß ich, ob er überhaupt anzutreffen ist, aber vielleicht habe ich ja Glück. Das Problem der Filmfinanzierung schwirrt mit ununterbrochen im Kopf rum.

Es ist kalt, grau und irgendwie deprimierend. Bloß gut, dass gleich die Sonne aufgehen wird! Ich betrete die Stadtkirche und sehe vorn am Altar schon Bernhard Naumann und Pfarrer Block stehen, als ich merke, wie ich von der Seite gemustert werde.

„Sind Sie Herr Benedix?“, werde ich von einem Herrn am Infoschalter gefragt. Der Herr ist Klaus und rettet ohne es zu wissen den Tag, denn Klaus ist der Türmer der Stadtkirche und obendrein noch ein äußerst sympathischer Zeitgenosse.

Jemand hatte ihm schon von mir berichtet, aber dass wir uns hier treffen, ist reiner Zufall. Einmal am Tag geht er ganz nach oben und macht ein Foto von der Stadt. Am Ende soll es ein Zeitraffer über das ganze Jahr werden und das heutige Foto ist genau jetzt fällig.

Ich schließe mich ihm an und bekomme erst mal eine ausgiebige Führung durch das Innenleben der Stadtkirche. Wer sich schon immer mal gefragt hat, warum es Kirchenschiff heißt, der sollte mal einen Blick zwischen Dach und Decke werfen. Es wirkt wirklich, als würde man in einem umgedrehten Schiffsrumpf umherlaufen.

Klaus zeigt mir auch die große Glocke. Ich wusste gar nicht, dass wir so etwas haben. Sie wird nur vier Mal im Jahr geläutet und als Klaus einmal den Klang aufnehmen wollte, musste er nach dem ersten Schlag schon flüchten, da die Vibrationen zu stark waren.

Dann zeigt Klaus mir die Türmerwohnung und gibt etwas Wittenberger Geschichte zum Besten. Die Wohnung kannte ich zwar schon, aber Klaus erzählt alles sehr lebendig und voller Begeisterung. Ich bin immer wieder gern hier oben. Es gibt keine Sicherheitsgitter und der Blick ist frei auf alle Bereiche der Stadt.

Unter mir liegt der Markt, ganz hinten sehe ich das SKW dampfen. Auf der anderen Seite das Neubaugebiet (oder was davon im Lerchenberg noch übrig ist) und dezent glitzernd macht auch die Hundertwasserschule auf sich aufmerksam.

Weit erstrecken sich die Elbwiesen und Klaus erzählt, wie er von hier aus die großen Hochwasser überblickt hat. Am Ende zeigt er auf eine kleine Bank. Dort sitzt er manchmal und schaut sich den Sonnenaufgang  über Wittenberg an - und wenn ich das mal filmen möchte (also nicht ihn – den Sonnenuntergang), so soll ich ihn einfach anrufen.

Eine der schönen Seiten an diesem Beruf ist, dass man sich oft vom Zufall leiten lassen kann und dann mitunter solche  Begegnungen wie heute dabei herauskommen. Das erinnert mich auch wieder daran, warum ich diesen Weg gewählt habe und warum er auch trotz vieler Steine und Gräben ein lohnenswerter ist.

Ein paar Stunden später sitze ich wieder in der Bahn zurück nach Berlin. Mein Ticket habe ich mir vorher gekauft. Kontrolliert werde ich nicht. (mz)

Nachtrag

In dieser Woche konnte eine Vereinbarung mit „alles kino - Schätze des deutschen Films“ getroffen werden. Die größte Plattform für Filme aus Deutschland wird für „Woran du dein Herz hängst“ den Onlinevertrieb übernehmen und so die internationale Verfügbarkeit des Films gewährleisten.