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Alchemistenwerkstatt Alchemistenwerkstatt: Hallesche Forscher restaurieren 500 Jahre alte Giftküche

Von MICHAEL FALGOWSKI 27.12.2015, 11:57
Christian-Heinrich Wunderlich, Chemiker und Leiter der Restaurierungswerkstatt am Landesmuseum, betätigt sich gern als Alchemist.
Christian-Heinrich Wunderlich, Chemiker und Leiter der Restaurierungswerkstatt am Landesmuseum, betätigt sich gern als Alchemist. Jens Schlüter Lizenz

Wittenberg/Halle - Während sich bisher schon 15?000 Besucher - in nur sieben Wochen - im Landesmuseum den Schrecknissen von „Krieg“ hingeben, zischt und brodelt es nebenan in der Restaurierungswerkstatt. Sehr effektvoll stellt Christian-Heinrich Wunderlich dabei die chemische Verbindung Antimonoxid her. Der Leiter der Restaurierungswerkstatt bereitet mit diesem Experiment bereits eine weitere Sonderausstellung im Landesmuseum vor: Zum Jahresende geht es um „Alchemie“. Wer denkt da nicht an den Stein der Weisen? Und an die Transformierung von Stoffen in Gold, bei der im besten Fall Porzellan herauskommen kann?

Keine Goldmacher-Werkstatt

Die Alchemie ist zum Thema der Archäologen und Wissenschaftler geworden, seit vor fünf Jahren in Wittenberg unter einem Treppenverschlag die Überreste einer Alchemisten-Küche gefunden wurden: zwei Kubikmeter Glasscherben von Retorten, Destillierhelmen, flaschenkürbisförmigen Gefäßen sowie Tiegel. Die Wittenberger „Küche“ wird auf die Jahre 1520 bis 1540 datiert. „Das sind die ältesten in Mitteleuropa gefundenen Hinterlassenschaften aus einer Alchemistenwerkstatt“, sagte Alfred Reichenberger vom Landesmuseum. Alchemistische Stücke in diesem Umfang seien bisher nur in Österreich vor einigen Jahrzehnten entdeckt worden. Befand sich in Wittenberg etwa die Werkstatt eines dieser sagenhafteren betrügerischen Goldmacher? War hier gar Dr.?Faust zu Gange, der sich in jenen Jahren in Wittenberg aufgehalten haben soll? Inzwischen ist klar: Um eine Goldmacher-Werkstatt handelte es sich eher nicht.

Die Werkstatt war wohl vielmehr eine Art frühes Labor für Arzneimittel. „Eine Geheimwissenschaft war die Alchemie da schon nicht mehr. Sondern vielmehr der Anfang der Chemie als Wissenschaft“, sagt Wunderlich. Die Sensation aber, erstmals stoffliche Spuren einer Alchemistenküche auf deutschem Boden gefunden zu haben, bleibe. Normalerweise wäre der Haufen Glasscherben als gar nicht so seltener neuzeitlicher Glasbruch ins Depot des Landesmuseums gewandert. Doch Werkstattleiter Wunderlich sind die seltsamen Anhaftungen an den Scherben aufgefallen. Am Landeskriminalamt in Magdeburg wurden schließlich die Stoffe bestimmt: Zinnober, Quecksilber, Schwefelsäure und Antimonverbindungen.

Giftig wie Arsen

„Besonders das Antimon ist ein alchemistischer Klassiker. Es galt Paracelsus als Allheilmittel.“ Denn weil man damit Gold reinigen könne, sollte dies doch auch mit dem kranken Menschen möglich sein. Antimon allerdings hat als Medikament einen echten Nachteil: Es ist so giftig wie Arsen. Nach dem Dogma von Paracelsus, wonach allein die Dosis entscheidend sei, war Antimonoxid etwa als Brechpulver im Wein sehr beliebt, um zu heilen. „Wenn man von den Glasresten ausgeht, muss die Werkstatt in Wittenberg sehr groß gewesen sein. Mit dem hergestellten Antimon hätte man wohl ganz Wittenberg vergiften können“, sagt Wunderlich.

In der Werkstatt des Landesmuseums hat Restauratorin Vera Keil mit Hilfe von Praktikanten rund zwei Jahre lang die Scherben der Labor-Gerätschaften zusammengesetzt. Die so wieder entstandenen, 500 Jahre alten Gefäße, die trotz einer Ton-Ummantelung im Feuer zersprungen waren, konnten so neu angefertigt werden. Mit ihnen kann Wunderlich die Experimente der Alchimisten nachvollziehen. Dazu hat er in der Werkstatt auch einen Ofen gebaut, wie man ihn von Bildern des ausgehenden Mittelalters kennt. In der Ausstellung zur Alchemie wird eine solche Werkstatt samt Ofen aufgebaut.

Die „Giftküche“ des Dr. Faust selbst wurde aber wohl nicht gefunden. Eher eine Art chemischer Fabrik. Warum sich freilich in den Wittenberger Scherben auch das angekokelte Skelett eines Hundes fand, darüber kann nur spekuliert werden. Wie war das noch, mit des Pudels Kern? (mz)

Restauratorin Vera Keil hat zwei Jahre lang Scherben zusammengesetzt.
Restauratorin Vera Keil hat zwei Jahre lang Scherben zusammengesetzt.
Jens Schlüter Lizenz