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Weißenfels Weißenfels: Rückkehr nach 60 Jahren

Von Andreas Richter 27.10.2014, 14:12
Christa Krumme zeigt ein rund 90 Jahre altes Foto von Tante und Onkel. Die Standuhr gibt es bis heute. Sie steht hinter ihr im Wohnzimmer.
Christa Krumme zeigt ein rund 90 Jahre altes Foto von Tante und Onkel. Die Standuhr gibt es bis heute. Sie steht hinter ihr im Wohnzimmer. Peter Lisker Lizenz

Weißenfels - Der Weg in die Vergangenheit ist kurz für Christa Krumme. „Hier war früher eine alte Holztreppe“, erinnert sich die heute 75-jährige Weißenfelserin, während sie in die erste Etage des Hinterhauses am Fürstenhaus steigt. Zusammen mit ihrem Mann Dieter Krumme ist sie an diesem Vormittag mit dem Auto aus der Neustadt ins Zentrum gekommen. Wenig später steht sie in der ersten Etage und ihre Gedanken gehen mehr als sechs Jahrzehnte zurück.

Tante und Onkel als Eltern

Hier, wo heute für die Zeit der Bauarbeiten am Rathaus Teile der Stadtverwaltung ihren Sitz haben, hat Christa Krumme von 1939 bis 1945 die ersten sechs Jahre ihres Lebens verbracht. „Meine Eltern lebten in Holland. Damit ich als Deutsche anerkannt wurde, musste mich meine Mutter aber in Deutschland zur Welt bringen“, erzählt Frau Krumme. Die Umstände jener Kriegsjahre wollten es, dass sie schließlich bei Tante und Onkel, bei Gertrud und Kurt Nevermann, aufwuchs. „Das waren praktisch meine Eltern“, hat Christa Krumme zuvor in jenem Haus erzählt, in dem sie mittlerweile seit rund 40 Jahren mit ihrem Mann lebt. Und sie hat ein gerahmtes Foto gezeigt, das sie extra aus dem Keller geholt hat. Das Bild, entstanden um 1925, zeigt Onkel und Tante im Wohnzimmer - in einem der Räume im Hinterhaus des Fürstenhauses, in dem heute die Stadtverwaltung sitzt. Die Uhr - mitten in den Erinnerungen hat im Wohnzimmer von heute eine große Standuhr geschlagen. Genau jene Uhr, die bereits auf dem rund 90 Jahre alten Foto zu sehen ist.

Zu Besuch beim OB

Im Hier und Heute drückt Christa Krumme an diesem Vormittag dem Weißenfelser Oberbürgermeister Robby Risch die Hand. „Ich glaube, hier war früher die Küche“, sagt sie, schaut sich im Büro des OB um und überlegt noch einmal, wann sie wohl das letzte Mal in diesen Räumen war. 1945 ist sie mit Onkel und Tante in die Roßbacher Straße umgezogen. Doch ein Bruder von Kurt Nevermann wohnte weiter in der zweiten Etage am Fürstenhaus, die nächsten fünf, sechs Jahre kam sie also öfter zu Besuch. Erst dann zog auch diese Familie weg.

Genau weiß sie es nicht, doch es müssen mehr als 60 Jahre sein, in denen Christa Krumme nicht mehr in jenen Mauern war, in denen sie die ersten sechs Jahre ihres Lebens verbracht hat. Erst jetzt, vermittelt durch die MZ, kehrt sie zu einem Abstecher ins Vorgestern zurück. „Wir haben die Entwicklung rund ums Fürstenhaus in all den Jahren schon verfolgt, aber einfach dort noch mal anklopfen - das haben wir uns irgendwie nicht getraut“, so die beiden Weißenfelser.

Es sei jedenfalls eine überwiegend schöne Zeit gewesen, hat Christa Krumme zuvor im heimischen Wohnzimmer von heute erzählt. Und sogar noch Namen jener Familien genannt, die damals im Haus gewohnt haben: Butterling, Grabow, Ritter. Und sie hat noch genau in Erinnerung, dass ihr Onkel schon damals vorausgesagt hat, dass sich der unmittelbar hinter dem Haus befindliche Berg langsam senkt. Nicht zuletzt deshalb seien sie 1945 ausgezogen. Heute ist der Schlossberg stabilisiert. Ziemlich dunkel ist es in den Räumen davor immer noch.

Doch da ist nicht nur das Fürstenhaus. Der Lebensweg von Christa Krumme, die 1957 ihren Mann Dieter geheiratet und später in der Verwaltung im Schuhkombinat „Banner des Friedens“ gearbeitet hat, sollte auch später noch auf besondere Weise mit Weißenfelser Geschichte verknüpft sein. So zog sie 1953 als junges Mädchen mit Tante und Onkel in die heutige Jüdenstraße. Die Tante war mit der Mutter des in Weißenfels geborenen späteren Modefotografen Horst P. Horst befreundet - und so zogen sie in jenes Haus, in dem die Mutter von Horst wohnte, der zu diesem Zeitpunkt bereits in New York lebte. Erinnern kann sich Christa Krumme auch an einen Lehrer in der Neustadtschule. Friedrich Schramm war der Vater von Reinhard Schramm, späterer Autor des Buches „Ich will leben. . .“ über das Schicksal seiner jüdischen Familie und der jüdischen Gemeinde in Weißenfels während der Naziherrschaft.

Ein Leben in Weißenfels. Am Fürstenhaus, Roßbacher Straße, Jüdenstraße, später das Häuschen am Nordrand der Stadt. Und die Zeiger der alten Standuhr drehen noch immer ihre Kreise. (mz)

Dieter und Christa Krumme im sanierten Innenhof des Fürstenhauses.
Dieter und Christa Krumme im sanierten Innenhof des Fürstenhauses.
Peter Lisker Lizenz