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Gefährliche Flucht kurz vor dem Fall der Mauer

Von MARIA POHLMANN 27.09.2009, 17:05

WEISSENFELS/MZ. - Johannes Kunze hatte zu der Gesprächsrunde eingeladen. "Das Thema Flucht ist doch gerade jetzt sehr präsent. Und weil ich die beiden in meinem Bekanntenkreis habe, dachte ich, dass sie den Leuten hier doch Interessantes berichten können", sagte Kunze. Der 53-jährige Weißenfelser Initiator der Reihe "Treff bei Kunze" eröffnete die Runde und richtete seine Fragen gezielt auf Probleme, Hindernisse und Gefühle der Flüchtlinge.

Angela Köhn war zum Fluchtzeitpunkt im November 1989 erst 22 Jahre alt. Die heute 42-Jährige schilderte: "Wir, also mein damaliger Freund und ich, ließen unsere Wohnung in Weißenfels unverändert und zogen einfach die Tür zu." Eine Nachbarin bemerkte die Abreise und rief aus dem Fenster: "Ja, ja, Reisende soll man nicht aufhalten." Die letzten Worte, die der jungen Frau aus Weißenfels in Erinnerung blieben. Sie flüchtete über die Tschechoslowakei nach Coburg, wo die nun zweifache Mutter bis heute lebt. "Wir wohnten zunächst in einem Übersiedlerheim, der Eindruck dort war anfangs negativ", erzählte die Bibliothekarin. Trotzdem verlebte sie ihre ersten Jahre in Freiheit glücklich. "Ich habe nie mit dem Gedanken gespielt, nach Weißenfels zurückzukehren, die Gegend um Coburg ist so schön. Doch fand ich es immer gut, beide Seiten zu kennen", sagte sie.

Reinhard Edel hatte sich vor seiner Flucht im September 1989 viele Szenen durch den Kopf gehen lassen, überlegt, welcher Weg der beste sei, zahlreiche Ausreden parat gelegt und sich im Strafgesetzbuch der DDR sogar über mögliche Folgen informiert. "Uns ging's nicht schlecht, aber man hatte immer den inneren Drang nach Freiheit", erläuterte der 55-Jährige. Er hatte seine Wohnung in Weißenfels ausgeräumt und startete mit einem 22 Kilogramm schweren Rucksack am Leipziger Hauptbahnhof, denn in Weißenfels hatte er Angst, erwischt zu werden.

Edel erzählte: "Mein Vater hat mich nach Leipzig gefahren, der Abschied von ihm war wirklich hart, zumal man dachte, es sei für immer." Im Zugabteil nach Budapest traf der Diplom-Ingenieur auf eine Familie, die er aus seinem Wohnblock kannte. "Die haben gesagt, sie fahren in den Urlaub nach Tschechien, ich habe dasselbe behauptet. Man traute sich einfach nicht über den Weg", so Edel. Nach wenigen Tagen in Bukarest kam er mit einem Bus bis nach Bayern. "In der Nähe von Deggendorf war eine richtige Stadt aus Zelten aufgebaut worden, sogar mit Arbeitsamt", schilderte der damals 35-Jährige. Nach diesem Übergangslager landete er in Ingolstadt, wo er fast ein Jahr in einem Altenheim wohnte. Aus beruflichen Gründen kehrte er jedoch nach einigen Jahren in die Heimat zurück und wohnt heute in Gröbitz. Er resümiert: "Meine Entscheidung war goldrichtig, besonders weil nichts schief ging."