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Altersarmut in Weißenfels Altersarmut in Weißenfels: "Leben kann man das nicht mehr nennen"

11.08.2017, 07:42

Weißenfels - 32 Jahre war Jürgen Beyreis, also in einem Alter, wo es normal für einen Menschen so richtig los geht. „Nischt ging da los. Ich wurde arbeitslos als Bierbrauer“, sagt der Weißenfelser. Heute ist er 59. Die Wangen sind eingefallen. Weiße Stoppeln wachsen darauf. Die Finger sind gelb vom Rauchen  - dem einzigen, was er sich noch gönnt, wie er sagt.

Altersarmut in Weißenfels: Jürgen Beyreis hat seit 1990 keine Arbeit mehr gefunden

Beyreis hat seit 1990 nie wieder Arbeit gefunden.  Er lebt von Hartz-IV - abzüglich der Festkosten hat er 263 Euro auf die Hand, Das sind  65 Euro in der Woche. „Leben kann ich das nicht nennen“, sagt er und die Verzweiflung über sein Dasein ist im anzumerken.

Zehn bis maximal 15 Euro gibt er für einen Wochenendeinkauf aus. Waschpulver kaufe er nur das Billigste. Fleisch, Fisch, Kleidung, Urlaub? „Geht gar nicht“, winkt er ab. Ab der dritten Woche des Monats zählt der hagere Mann die Münzen. Zu Beginn des Monats legt er zehn Euro beiseite. Die sind ihm heilig und werden auch nicht angefasst, wenn die Zigaretten langsam zur Neige gehen. „Das Geld ist für die Tafel. Zweimal die Woche gehe ich hin. Hätte ich die dort ausgegebenen Lebensmittel nicht, wäre ich längst schon eingegangen“, schildert er emotional.

Warnung der Tafel in Weißenfels: „Die Gesellschaft steuert auf eine noch größere Altersarmut zu.“

Beyreis steht damit nicht allein. „34 Tafeln gibt es in Sachsen-Anhalt. 50 000 Ehrenamtliche machen sich stark, um überschüssige Lebensmittel zu sammeln, um sie an Bedürftige weiterzugeben“, ist vom Landesvorsitzenden Andreas Steppuhn  zu hören, der am Donnerstag der Weißenfelser Tafel einen Besuch abstattete. „Natürlich wäre es uns lieber, wenn wir keine Tafeln bräuchten. Doch so ist die Situation eben nicht.“

In der Tat werden die Einrichtungen dringend benötigt und  immer öfter auch durch ältere Menschen aufgesucht. Dies bestätigten auch die Vertreter aus Weißenfels, aber auch der Hohenmölsener Stadtrat Frank Weidauer und die Leiterin der Lützener Tafel-Ausgabestelle, Christine Krößmann. „Die Gesellschaft steuert auf eine noch größere Altersarmut zu. Das ist kaum noch zu ertragen“, so Weidauer. „Tafeln sind eigentlich ein Armutszeugnis für das reiche Deutschland“, so Krößmann.

Über tausend Menschen brauchen die Tafel in Weißenfels

Rund 1.300 Menschen brauchen sie in Weißenfels, wie eben Jürgen Beyreis. „Dass wir in der Stadt eine so gut funktionierende Tafel mit ehrenamtlich engagierten Menschen haben, ist schon eine Errungenschaft“, meint Oberbürgermeister Robby Risch (parteilos). Gäbe es sie nicht, hätte er die Befürchtung, dass die sozial Schwachen noch weniger am gesellschaftlichen Leben teilhaben könnten. „Der Zustand ist unbefriedigend“, so sein Urteil.

Krößmann hörte es gern, dass der Landesverband den Beschluss gefasst hat, die Lützener Ausgabestelle zur vierten eigenständigen Tafel neben Weißenfels, Naumburg und Laucha zu machen. „Damit wären wir in der Kommune etabliert, können uns vergrößern und intensiver in die benachbarte Region ausstrahlen“, plant die 67-Jährige. Bislang werden in Lützen 25 Bedarfsgemeinschaften betreut. Da sei noch Luft nach oben. (mz)