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Oft reicht Schuss vor den Bug

Von UWE KRAUS 16.07.2009, 16:01

HALBERSTADT/MZ. - "Mich freut es sehr, dass im viel kritisierten Öffentlichen Dienst Grenzen überwunden wurden", meinte Klaus-Dieter Liebau, Abteilungsleiter Polizei im Innenministerium Sachsen-Anhalt, als im Halberstädter Landratsamt eine Kooperationsvereinbarung zwischen Innen- und Sozialministerium sowie dem Landkreis Harz unterzeichnet wurde. Ein modellhafter Schritt, aber längst keine Neuigkeit mehr. Die Wurzeln der Zusammenarbeit von Polizei- und Jugendsozialarbeit reichen bis ins Jahr 1994. Damals explodierte die Jugendkriminalität förmlich. 15 Jahre später habe sich die Kriminalitätsrate in der Gruppe der bis 21-Jährigen nach Polizeiangeben fast halbiert. Daran hat die Jugendberatungsstelle der Polizei keinen unwesentlichen Anteil.

Sozialarbeiter sind keine Polizisten

"Eins ist aber klar, kurze Dienstwege heißt nicht, dass es polizeifachlich eine Verbindung mit den Jugendarbeitern gibt. Wir setzen die Sozialarbeiter nicht für Polizeiarbeit ein", erklärt Liebau. Die Brücke schlage die Kommune. Die vier Harzer Sozialarbeiter nutzen in den Räumen der Polizei Zimmer, um das Gespräch mit straffällig gewordenen Jugendlichen suchen. "Uns treibt die Idee der Krisenintervention. Wir fahren den sozialpädagogischen Erstangriff", umreißt Rainer Bode, Leiter der Jugendberatungsstelle in der Polizeidirektion Nord, die Aufgabe seiner Mitarbeiter. "Dabei bereiten wir die Situation auf, überlegen mit dem Klienten, wo unterstützend eingegriffen werden muss. Das ist eher eine Kurzzeitbetreuung, die Vorarbeit, bevor die Jugendhilfe der Kreisverwaltung greift."

Kosten bei 200 Euro pro Tag

Iris Seehase vom Halberstädter Jugendamt verweist auf die gute Zusammenarbeit zwischen Anti-Gewalt-Zentrum Harz und ihrer Behörde. "Verschiedene Träger bieten eine Intensivbetreuung dieses Klientels an. Doch den Jugendlichen scheint nicht klar, was so ein Platz kostet, mit dem sie auf den richtigen Weg zurückgeführt werden." Auf MZ-Anfrage bezifferte sie diese Sätze auf 200 Euro pro Tag. Landrat Michael Ermrich untermauerte das mit einem Vergleich: "Allein die Steigerungsrate für die Hilfe zur Erziehung im Landkreis liegt höher als der gesamte Jahreszuschuss für die Musikschulen des Landkreises."

Darum setze man auf präventive Arbeit, so Rainer Bode. "Wir sollten in Jugendarbeit investieren, statt teure Knäste zu bauen. Wenn wir Jugendhilfekarrieren vermeiden, beugen wir Kriminalitätskarrieren vor." Kritisch wandte sich Bode in Richtung vieler Projektverantwortlicher. "Unser Erfolg liegt darin begründet, dass unser Projekt eben nicht wie üblich nach drei Jahren Förderung gekippt wurde, sondern wir das seit 15 Jahren durchziehen." Seit 1993 hätten allein in Magdeburg 23 498 junge Menschen den Sozialarbeitern gegenüber gesessen.

Die Jugendsozialarbeiter arbeiten im Polizeirevier Halberstadt, in den Revierkommissariaten Quedlinburg und Wernigerode sowie in den Revierstationen Blankenburg und Thale. Bei Astrid Hintze und ihren drei Halberstädter Mitstreitern laufen jährlich 1 700 junge Tatverdächtige auf. Seit zehn Jahren berät sie straffällig gewordene Jugendliche und kann sich schon ein Urteil erlauben. Den Großteil der Jugendlichen sieht sie nicht wieder. Da bleibt es beim Gespräch und dem, was Klaus-Dieter Liebau "den berühmten Schuss vor den Bug" nennt. Die Rückfall-Quote liegt bis zum 21. Lebensjahr nur bei etwa 30 Prozent.

Hoher Mädchen-Anteil

Zu den 956 Maßnahmen, die die Jugendberatungsstelle im Harz vermittelt hat, gehören Therapien, der Täter-Opfer-Ausgleich, der Umzug in eigene Wohnungen oder Heime, aber auch die Übergabe an Drogen- und psychologische Beratungsstellen. Das Modellprojekt läuft in allen Polizeidirektionen des Landes, doch im Harz sei der hohe Anteil von weiblichen Delinquenten auffällig. 30 Prozent seien es hier, woanders kaum mehr als zehn. Schwerpunktdelikte bei ihnen sind laut Polizei im Harz Ladendiebstahl, Sachbeschädigung und unterschiedlich schwere Körperverletzungen.