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Eine Kur für die Königin der Uhren

Von Sigrid Dillge 22.04.2008, 18:13

Harzgerode/MZ. - "So werden beispielsweise etliche Fugen im Mauerwerk erneuert", weiß Hans-Ulrich Kühne, stellvertretender Vorsitzender des Gemeindekirchenrates. Die Schallluken werden gestrichen und auch die Kirchtumuhr erhält eine Schönheitspflege. Für neue Farbe auf dem Ziffernblatt sorgt der Freundeskreis "Hasancaroth". Dessen Vorsitzender Wolfdieter Ludwig klettert dafür trotz seiner 72 Jahre auf das Gerüst. 1961 war er der Uhr bereits schon einmal so nahe gewesen, doch damals hing der Hobbybergsteiger frei schwebend an einem Seil.

Der Freundeskreis will es jedoch nicht bei der frischen Farbe für die Uhr belassen. Geplant ist, in einem Raum der ehemaligen Türmerwohnung Dokumente, Fotos über die Uhr und eventuell auch die alten Zeiger auszustellen. Ergänzt werden soll dies mit "Schaustücken", die in Betrieb sind.

Dafür ist vorgesehen, sowohl den Uhrenkasten als auch den Schacht, in dem die Gewichte hängen, mit Fenstern zu versehen, damit Besucher das technische Meisterwerk bestaunen können. "Unser Freundeskreis will Harzgerode für Besucher attraktiver machen", nennt Ludwig den Grund. Um das technische Meisterwerk kümmert sich in diesen Tagen ganz intensiv auch Uhrmachermeister Dietrich Schott aus Harzgerode. "Die ganze Anlage wird überholt", sagt er und verrät viele Geheimnisse der Uhr. So gehört sie, obwohl sie im und am Kirchturm angebracht ist, der Stadt. Um aus der einstigen Einzeigeruhr, die nur die Stunde anzeigte, eine zu machen, auf der auch Minuten ablesbar sind, fehlte der Kirchengemeinde das Geld. Also legte im Jahr 1898 die Stadt Harzgerode 200 Mark zur Beschaffung einer neuen Turmuhr ab. Innerhalb von zwei Jahren war der Betrag auf 600 Mark angewachsen und am 6. Oktober 1900 konnte die neue Uhr in Betrieb genommen werden. Insgesamt hat die komplette Anlage 1 370 Mark gekostet. "Dafür bekommt man heute nicht mal eine Standuhr", weiß der erfahrene Uhrmachermeister.

Sein ganzes Uhrmacherleben lang ist Dietrich Schott mit der Harzgeröder Kirchturmuhr verbunden. Eigentlich gehört die Uhr zur Familie. Nachdem die Uhrmacher O. Fritsche, Ch. Brocke und Schmidt von 1900 bis 1958 den Zeitmesser gewartet hatten, übernahm 1958 Willi Schott diese Aufgabe. Von 1961 bis 1978 arbeitete er mit Sohn Dietrich gemeinsam, der nun seit 30 Jahren immer wieder dafür sorgt, dass die Kirchturmuhr gut und richtig läuft. Beide haben sich so aneinander gewöhnt, dass die Uhr jedes Mal ausgerechnet dann "Macken" hat, wenn Schott ein paar Tage nicht in ihrer Nähe ist. "Es ist schon ein Phänomen", bestätigt Dietrich Schott. "Über lange Zeit läuft sie genau auf die Minute, und wenn ich mal drei Tage nicht da war, gibt es Abweichungen oder das Schlagwerk geht nicht mehr."

Für Schott sind Kirchturmuhren die Königinnen der Uhren. "Sie faszinieren mich besonders, vor allem, wenn das Herz wieder zu schlagen beginnt und das Tick-Tack wieder erklingt", schwärmt er. Jede einzelne sei wie die Harzgeröder ein technisches Denkmal. Und deshalb hält er in Fotos und im Gedächtnis viele Einzelheiten fest. 1961 beispielsweise hat er gemeinsam mit Vater Willi beleuchtete Ziffernblätter angebracht und die Uhr auf elektrischen Aufzug umgebaut. Bis dahin musste sie per Hand aufgezogen werden. Das waren über 500 Kurbelumdrehungen für das Aufziehen der Gewichte", weiß er. Heute steuert Elektronik diesen Vorgang. Und noch eine Zahl hat Schott: Die Stundenuhr auf dem Harzgeröder Kirchturm hat von 1900 bis heute rund fünf Millionen Mal geschlagen.