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Wie weit runter geht es noch?

Von Petra Wozny 14.02.2005, 18:05

Merseburg/MZ. - Vor dem Aus steht auch Bianca Angerstein, die mit Susann Brunn ein halbes Jahr ein Zimmer im Merseburger Bürgerzentrum teilte. Sie ist 46 Jahre und eine Kämpfernatur. Wieder ohne Job zu sein, macht diese Frau wütend. "Ich bin nicht neidisch auf Leute, die eine Arbeit haben, aber ungeheuer gefrustet, dass Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht wirklich in Arbeit enden." Nun beginnt für beide Frauen wie sie sagen, wieder eine Odyssee ins Ungewisse.

Angerstein hat vor zehn Jahren im Landkreis den Regionalen Fremdenverkehrsverband Halle-Saale-Unstrut aufgebaut, als dessen Geschäftsführer viel Verantwortung getragen, eigene Entscheidungen und wie sie sagt "gutes Geld" verdient. "Arbeit bedeutet mir viel, sehr viel. Und diese Arbeit war ganz toll. Ich habe mich wohl gefühlt", erinnert sich die Merseburgerin.

Vor zehn Jahren stand Susann Brunn vor der Gründung ihrer Familie. Die Ausbildung zur Erzieherin bricht sie wegen der ersten Schwangerschaft ab, schuftet dann des Geldes wegen in Schichten, bekommt das zweite Kind, arbeitet weiter halbtags. Nach dem dritten entschließt sie sich zu einer Umschulung. "Ich musste mich sehr anstrengen. Ein Haushalt mit drei Kindern und eine Qualifizierung sind kein Kinderspiel" sagt sie. Sie schafft die Prüfung zur Bürokauffrau - und findet nie einen Job in diesem Beruf.

Im September vergangenen Jahres bekommen beide Frauen unabhängig voneinander über die Arbeitsagentur die ABM im Bürgerzentrum, Träger ist Agenda 21, angeboten. "Ich war glücklich", gesteht Susann Brunn. Reingekniet haben sich die Frauen in ihren neuen Job von Anfang an. Bauten Kontakte auf, organisierten Ausstellungen, machten mit Senioren Reisen. "Wir waren voll dabei, obwohl ja im Hintergrund immer stand, dass es nur sechs Monate sein werden", meint Angerstein. Mehr Anerkennung hätten sie sich freilich gewünscht. Auch, dass ihre Maßnahme möglicherweise verlängert wird. Nun sehen sie den Tatsachen ins Gesicht. "Es wird hart", schildert Susann Brunn. Schon lange würde sie der Kinder wegen auf Bücher und den Frisör verzichten. Sie schminkt sich gern, aber für Markenkosmetik ist kein Geld da. So kaufe sie billige Lippenstifte und brauche die bis zum Ende auf.

Auch Bianca Angerstein weiß längst, was Verzicht bedeutet. "Als sie bei Arbeitslosenhilfe angekommen war, habe man Familienrat abgehalten und den Rotstift rausgeholt. Es ging nicht mehr anders. "Wir haben das Auto verkauft. Das war schon ganz schön heftig. Schließlich gibt man ein Teil Wohlstand auf. Wie weit runter geht's noch, frage ich mich manchmal."

Jetzt geht es um Arbeitslosengeld II, da steigt Bitterkeit bei beiden hoch. Immer weniger zum Leben haben, das ist das eine. Nicht gebraucht zu werden, das andere. Das kann's doch nicht gewesen sein, meinen beide. Susann Brunn und Bianca Angerstein stehen auf einer Warteliste für einen Ein-Euro-Job der Wirtschaftsförderung der Stadtverwaltung Merseburg. Die Odyssee beginnt so mit etwas Licht am Ende des Tunnels.