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Monate voller Leid und Wunder

Von UNDINE FREYBERG 09.06.2009, 20:02

MERSEBURG/MZ. - "Ich kann mich zum Beispiel noch daran erinnern, wie wir damals auf dem Bahnhof zwischen den Gleisen standen und die Frauen auf kleinen Feuerstellen Milch für die Kinder oder Suppe warm gemacht haben." Eisig kalt sei es an diesem 28. Januar gewesen und etwa ein halber Meter Schnee habe gelegen, erinnert sich die 69-Jährige, die heute in Merseburg lebt.

Strapaziöse, entbehrungsreiche Monate lagen zwischen diesem 28. Januar und dem September 1945, als die Familie in Seeburg im heutigen Mansfeld-Südharz-Kreis ankam. Würden sie es überhaupt schaffen? Würden sie Hunger und Leid überstehen? Das alles wusste zunächst niemand. "Aber es sind in dieser Zeit viele kleine Wunder passiert", erzählt Ingeborg Schmelz, die alle schönen und schrecklichen Ereignisse dieser Zeit aufgeschrieben und jetzt als Buch veröffentlicht hat.

"Aus der Heimat in die Ferne" heißt diese Chronik einer Flucht, die sie nur nach langen Gesprächen mit ihrer Mutter Friedel in der Lage war zu schreiben. "Ich konnte mich ja nicht an allzu viel erinnern, aber ich wollte einfach wissen, was damals alles geschehen war." Mitte der 70er Jahre hatte sie sich die ersten Notizen gemacht, im Laufe der Jahre schrieb die gelernte Chemielaborantin immer mehr Blätter voll. "Und wenn ich dann mal auf der Arbeit von der Zeit der Flucht erzählte, hat der eine oder andere Kollege gesagt 'Da könnte man ja einen Roman schreiben'", erzählt die Merseburgerin. "Aber der wirkliche Entschluss kam erst viel später - im Sommer 2008." Dann habe sie angefangen zu schreiben und einfach nicht mehr aufgehört bis ihr Buch fertig war, in dem jetzt alles so drin steht, wie es damals wirklich passiert ist. "Das war mein Anspruch. Ich musste nichts erfinden. Die Wahrheit ist ergreifend genug, glaube ich."

So erzählt sie von der Zugfahrt, die sie nur mit einem kleinen Koffer am 28. Januar 1945 antraten und davon, wie sie nach 100 Kilometern im Niemandsland ausgesetzt wurden. Davon, wie sie sich zu Fuß bis nach Riesa durchschlugen, von Notquartieren in Ställen und Scheunen, davon, wie sie sich Essen erbettelt haben. Sie erzählt von dem Glück, dass sie Menschen fanden, die ihnen Obdach gewährten oder ihnen einfach nur die Möglichkeit gaben, sich zu waschen. Davon, dass sie als kleines Mädchen quasi im Nachbarraum war, als eine Frau von einem Besatzer vergewaltigt wurde. Und von der Überraschung, als ihre Mutti auf einem Treckwagen in Sachsen plötzlich ihre Mutter entdeckte, die dann fortan bei ihnen blieb.

Ingeborg Schmelz: "Zu DDR-Zeiten durfte man über diesen Teil der Geschichte ja nicht reden, aber ich denke auch den muss man kennen, um ein Bild der damaligen Zeit zu bekommen."

"Aus der Heimat in die Ferne. Chronik einer Flucht" von Ingeborg Schmelz ist erhältlich in der Buchhandlung Stollberg (Bahnhofstraße, Merseburg)und im Internet.