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Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: An der Wiege des Berufsstandes

Von BORIS CANJE 24.09.2010, 16:57

ELSTER/MZ. - Als ein Schornsteinfeger, der sehr viel Wert auf Tradition legt, gab und gibt es für den Elsteraner Frank Freit keine Frage. Die Teilnahme am Raduno Internazionale dello Spazzacampino, einem zunächst europäischen und mittlerweile weltweiten Treffen der Glücksbringer in Schwarz ist für ihn ein Muss. Das erste Mal war er, damals mit einer größeren Truppe, 2004 in Santa Maria Maggiore (Piemont, Italien) dabei. Aus dem Internet hat er davon erfahren. Da war klar: Das musste er sich ansehen. In diesem Jahr war es die fünfte Teilnahme und auch im nächsten Jahr wird er sich wieder auf den Weg machen, schließlich ist es dann das 30. Treffen. Mit nach Italien kamen diesmal Rudolf Kirschner, der aus Sachsen-Anhalt stammt, aber in Sontheim (Baden-Württemberg) lebt, sowie Hans-Joachim Wolf, pensionierter Schornsteinfeger aus Schweinitz.

Entstanden aus einem Zufall

Aus einem eher zufälligen Zusammenkommen von 25 Schornsteinfegern aus Italien, Deutschland und der Schweiz hat sich im Laufe der Jahre eine Veranstaltung entwickelt, an der nicht nur Berufsgenossen aus vielen europäischen Ländern teilnehmen. Nordirland, Kanada und die USA sind schon länger dabei. Vor zwei Jahren stießen die Rumänen dazu und in diesem sogar ein Japaner, der so begeistert war, dass er 2011 mit einer größeren Delegation wieder kommen will. Insgesamt waren es 693 angemeldete Schornsteinfeger. Um das Treffen herum hat sich mittlerweile das größte Volksfest im Piemont entwickelt.

Der Sonnabend wird immer in einem kleinen Ortsteil von Santa Maria Maggiore, in Malesco, verbracht. Ein absolutes Muss ist ein Foto vor einem Denkmal. Es zeigt auf einem Granitblock einen kleinen Jungen aus Bronze: Faustino Cappino. Er wurde wie viele andere Kinder damals auch im Winter von seinen Eltern an einen Schornsteinfeger vermietet, um in die Kamine zu krabbeln, diese zu reinigen. In Mailand kam er bei der Arbeit ums Leben.

Dem schließt sich ein Treffen in einem anderen Ortsteil, Druogno, an. Hier wurden die Schornsteinfeger früher im Winter verabschiedet, wenn sie das Hochtal verließen. Dort gibt es dann Schaukehren, ist Zeit für Erfahrungsaustausch, ziehen die Männer in Schwarz durch den Ort. Manche klettern auch auf die Dächer, beobachten das Geschehen von oben. Hier geht es noch ziemlich locker zu, so können auch die Frauen im Umzug mitgehen, erzählt Kerstin Freit, die ebenso wie ihr Ehemann ganz begeistert von der Stimmung bei diesen Treffen ist. Zum Abschluss gibt es noch einen Gottesdienst in der Kapelle des Ortes, dann geht es zurück nach Santa Maria Maggiore.

Dort existiert seit 1983 das Museo dello Spazzacampino (Schornsteinfeger-Museum). In dem dazu gehörenden Park wird nun erst einmal gefeiert, mit Live-Musik und, wie man hier sagt, mit Schmaus und Trunk. Natürlich wird nicht nur getanzt, sondern auch allerhand Anekdoten aus dem Schornsteinfegerleben werden zum Besten gegeben oder Erinnerungsstücke getauscht. Letztere haben bei Frank Freit einen Ehrenplatz vor seinem Büro in einer Vitrine. Stolz zeigt er einige neue, vergoldete Knöpfe. An seiner Kluft sind allerdings noch alle dran, er hatte extra ein Beutelchen mit Ersatzknöpfen zum Tauschen mit.

Großes Interesse

Der Höhepunkt ist dann der große Umzug durch die Gastgebergemeinde. Hier versteht es sich von selbst, dass alle Teilnehmer ihre Originalkleidung tragen. Sie reihen sich dann hinter Schildern mit ihrer Nationalitätsbezeichnung sowie ihren Zunftfahnen ein. Auch hier sind wieder junge Italiener, verkleidet als "Rüsca", so wurden die kleinen Kaminkehrerjungen genannt, auf den Dächern anzutreffen, sorgen dort für gute Stimmung. Die Einheimischen haben zum Teil Schwierigkeiten, in den schmalen Gassen als Zuschauer einen Platz zu finden, so groß ist das Interesse geworden.

Dass Schornsteinfeger auch sehr gesellig sind, wird beim Mittagessen, das sich über mehrere Stunden hinzieht, bewiesen. Da gibt es einen, der auf der Trompete musiziert. Er hat seine Posaune spielende Tochter dabei. Ein anderer holt sein Akkordeon hervor. Und einige fangen einfach an zu singen. Bei einer Polonaise durch das gesamte Restaurant, das voll in der Hand der Glücksbringer ist, bleibt selbst das Personal nicht außen vor, muss mitmachen.

So gestärkt geht es dann wieder in den Park der Villa Antonia zu Musik, Tanz, Schmaus und Trunk. Und hier werden auch die Gastgeschenke übergeben. Meist sind es historische Werkzeuge oder Dokumente, mit denen das Museum vervollständigt werden kann.

Die Organisatorin des Ganzen wurde übrigens in Deutschland geboren, hat dann nach Italien geheiratet: Anita Hofer. Sie betreibt im Ort auch eine Pizzeria, die der erste Anlaufpunkt für die Schornsteinfeger ist. "Ich habe dort schon unseren Tisch für das nächste Jahr bestellt", so Frank Freit. Frau Hofer leitet auch das Museum.