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Jessener Hospizverein  Jessener Hospizverein : Erster Vorleseabend erfolgreich

Von Gabi Zahn 21.02.2014, 21:57
Angelika Kulla liest aus dem Buch „Dieser Mensch war ich“. Autorin Christiane zu Salm hat darin Sterbende zu Wort kommen lassen, die ihren „eigenen Nachruf“ formulierten.
Angelika Kulla liest aus dem Buch „Dieser Mensch war ich“. Autorin Christiane zu Salm hat darin Sterbende zu Wort kommen lassen, die ihren „eigenen Nachruf“ formulierten. G. Zahn Lizenz

Jessen/MZ - Kinder lassen sich gern etwas vorlesen, Erwachsene nehmen eher selten ein solches Angebot wahr. Umso bemerkenswerter ist, dass die Einladung des Hospizvereins „End-lich Leben“ zum ersten Vorleseabend im Gebäude der Sparkasse eine gute Resonanz findet. Denn die Premiere, zu der Vereinsvorsitzende Dorothea Schnee die Gäste begrüßt, wird umso mehr zum Wagnis, weil sie ein Buch mit Lebensrückblicken von Todgeweihten angekündigt: „Dieser Mensch war ich. Nachrufe auf das eigene Leben“, aufgeschrieben von Christiane zu Salm.

Viele bekannte Gesichter

Menschen wie du und ich sind es, um die es dabei geht, von Beruf Verkäuferin, Gaststättenbetreiber, Kantinenfrau, Ingenieur, Koch, Versicherungsangestellter. Angelika Kulla, eine ausgebildete Vorlesepatin, stellt das Buch vor. In Jessen ist sie keine Unbekannte, schließlich hat die 65-Jährige lange in der Elsterstadt gewohnt und gearbeitet. Sie freut sich, dass fast alle Stühle besetzt sind und sie in viele bekannte Gesichter schaut.

Angelika Kulla arbeitet über den Bundesfreiwilligendienst als Moderatorin im Mehrgenerationenhaus in der Sternstraße in Wittenberg. Außerdem ist sie mehrfach ehrenamtlich tätig: als eine von 20 Vorlese-Patinnen im Nachbarschaftsclub, an Wochenenden im Galeriedienst für die Cranach-Stiftung und für den Blindenverband als Begleiterin.

In diesem Jahr will der Verein „End-lich Leben“ mit Hauptsitz in Wittenberg insbesondere den Jessener Standort im Gebäude der Sparkasse am Markt weiter profilieren, informiert Dorothea Schnee. „Wir sind hier gerade dabei, eine Hospiz-Bibliothek aufzubauen. Dafür suchen wir Publikationen zu den Themenbereichen Pflege, Demenz, Sterbebegleitung und Trauerbewältigung, auch Biografien, Gedichtbände und dergleichen mehr. Gern nehmen wir dafür Bücherspenden entgegen.“

Weitere Hospizbüros gibt es in Coswig und Bad Schmiedeberg (Telefon-Kontakt 03491/43 77 08 oder 0177/3 09 25 15). (gzn)

Gut zu wissen: Die Autorin Christiane zu Salm zählt zu den profiliertesten Medienmanagerinnen Deutschlands, hat private Fernsehsender aus der Wiege gehoben, gilt in der Kunstwelt als exzellente Sammlerin und – man ahnt es: An Geld und Gut fehlt es ihr anscheinend nicht. Offensichtlich hat sie „für alles eine Lösung – nur für den Tod nicht“, wird sie von Angelika Kulla zitiert.

Als Sechsjährige verliert Christiane zu Salm ihren Bruder durch einen Unfall, als Erwachsene gerät sie in eine lebensbedrohliche Situation, in der sie „Nahtoderfahrungen“ macht, wie sie ihre Leser wissen lässt. Ihr wird das Leben (wieder) geschenkt. Sie ändert es gravierend. Die Frau, die in der lauten, schnellen Welt Karriere gemacht hat, vollzieht einen radikalen Schnitt: Sie geht dorthin, wo Tage, Minuten und Sekunden zählbar werden, wo Menschen aus dem Da-Sein weggehen – vom Sterbebett ins Nichtmehr-(Hier-)Sein.

Ausbildung zur Sterbehelferin

Christiane zu Salm entscheidet sich für eine Ausbildung zur Sterbehelferin – von Selbstzweifeln und Ängsten geplagt, aber noch viel mehr von der Frage getrieben, wie der nahende Tod denn aussieht, was er mit dem Menschen macht und wie sie – zu Salm – diesen Sterbenden beistehen kann. Zum Schlüsselerlebnis wird eine Lehrgangs-Aufgabe: Sie soll sich vorstellen, dass ihr eigener Tod unmittelbar bevor steht und für sich selbst einen Nachruf schreiben. Das bringt sie letztlich auf die Idee, diese Bitte Sterbenden vorzutragen: Sie mögen formulieren, was am Ende des Lebens zu sagen, zu wertschätzen, zu bedauern, zu danken bleibt.

Einfühlsam vorgetragen

Wie die Autorin ihre Ausbildung erlebt, und wie diese letzten Worte entstehen, davon erzählt sie bildhaft und berührend in dem Vorwort ihres Buches. Weil es Angelika Kulla genau so vorliest: einfühlsam, niemals überbetont und mit Pausen, genau dort, wo auch das Publikum sie braucht, wird das Zuhören zum Erlebnis. Das setzt sich fort, als die Vorleserin eine Auswahl dieser „Nachrufe an das eigene Leben“ vorträgt. Zum Beispiel die Lebensbeichte jener Kantinenfrau, die kundtut, dass sie nachts als Prostituierte arbeitete, um Geld für ein schöneres Leben zu haben. Die Reaktion der Mitmenschen muss sie nicht mehr fürchten. Sie hört sie nicht mehr. Schlimmer ist für sie, dass sie stirbt, ohne sich mit der einzigen Tochter versöhnt zu haben.

Ein Kneipier, der von seinen Gästen geliebt wurde, bekennt, dass er nur seiner verstorbenen Mutter zuliebe das Lokal übernommen und damit seinen Lebenstraum, Schlosser zu werden, aufgegeben hat. Bis zuletzt zweifelt er, ob das richtig war.

Anrührend, gar etwas makaber, erscheint der Wunsch jenes Pizzeria-Besitzers, dort sterben zu wollen, wo er am liebsten gelebt hat: mit wunderbaren Küchendüften in der Nase und den Stimmen der Gäste im Ohr. Seine Frau erfüllt diese letzte Bitte und stellt sein Sterbebett in der Gaststätte hinter der Garderobe auf.

Zweifel und Hoffnung

Oft geht es um Zweifel, Versäumtes, um: „Hätte ich doch …“. Auch die alte Weisheit, dass Geld nicht unbedingt das Glück bei Laune hält, wird offenbar. Und schlimm folgt die Feststellung: Jetzt ist es zu spät, um etwas nachzuholen. Versöhnlich klingen jedoch vielmals Dankbarkeit über das gelebte Leben und Hoffnung aus den Texten. Hoffnung, dass es auch „ohne mich“ gut weitergehen wird.

Angelika Kulla kann freilich nur wenige der insgesamt 80 „Nachrufe“ auswählen. Am Ende bekommt sie herzlichen Beifall für fast eineinhalb Stunden Vorlesezeit. Vielleicht hätte der eine oder andere Zuhörer dann gern selbst noch etwas gesagt. Diesmal war das aufgrund der fortgeschrittenen Zeit leider nicht mehr möglich.

Von jetzt an will der Verein „End-lich Leben“ aber monatlich derartige Treffen anbieten: „Wer interessiert daran ist, selbst mal etwas vorzulesen, ist herzlich dazu eingeladen“, gibt Dorothea Schnee zu verstehen. Auch Filmvorführungen und Vorträge zu Patientenverfügung, Demenz und anderen Themen seien demnächst geplant. Der Verein will damit im Rahmen seiner Hospizarbeit auf unterschiedlichen Ebenen vermitteln, wie wichtig es ist, den Tod als Teil des Lebens zu akzeptieren.