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Annaburger Heide Annaburger Heide: Kirchentour durchs Tabu-Gelände

Von Rainer Schultz 31.05.2014, 07:29
Von Annaburg aus steuert die Radlergruppe mehrere Ziele im Nachbarkreis Elbe-Elster an.
Von Annaburg aus steuert die Radlergruppe mehrere Ziele im Nachbarkreis Elbe-Elster an. Michael Andrä Lizenz

Annaburg/MZ - „Wir planen eine Kirchenexkursion durch die Annaburger Heide. Könnten sie sich damit anfreunden?“ Mit dieser etwas ungewöhnlichen Frage wandte sich der Axiener Pfarrer Hans-Jörg Heinze vor drei Monaten an seinen Amtskollegen, den Militärseelsorger Friedrich von Kymmel aus Holzdorf. Dazu muss man den Hintergrund wissen: Die geplante Tour sollte durch militärisches Sperrgebiet führen, gewissermaßen eine Art „Terra incognita“ und stellt eigentlich ein „Tabu“ dar. Für Pfarrer von Kymmel gab es kein Zögern. Er zeigte sich sofort begeistert von dem Anliegen. Und „ebnete“ den Weg. „Ich werde die Genehmigungen einholen. Da machen wir mit.“ Mit dem Annaburger Standortfeldwebel Mario Reihs fand er sofort einen ortskundigen Verbündeten.

Mehr als 50 Teilnehmer versammeln sich zum Auftakt um 10 Uhr in der Annaburger Kirche, um den Reisesegen von Pfarrerin Viola Hendgen zu empfangen. Mit dabei die weiteren Initiatoren der Tour: Pfarrerin Jutta Noetzel aus Herzberg, Hans-Jörg Heinze und Lysander Pötzsch, Vorsitzender vom Verein Mitteldeutsche Kirchenstraße.

„Wir interessieren uns für die kleinen Dorfkirchen. Wir lasen darüber in der Zeitung. Da sind wir heute gern mit dabei.“ So lautet das Motiv von Klaus und Maria Fischer aus Wittenberg. Aus Friedersdorf bei Bitterfeld ist Familie Baum angereist. Eckhard Baum spielt in seiner Kirchengemeinde die Orgel. Natürlich gilt seine besondere Aufmerksamkeit dem wunderbaren Klang der Rühlmann-Orgel in Annaburg. Jutta Noetzel entlockt dem Instrument meisterhafte Töne. Darüber hinaus gibt es viele wissenswerte Details über die schmucke Barockkirche zu erfahren.

Was mag uns wohl erwarten?, fragen sich unterdessen viele Teilnehmer, bevor es in die Sperrzone geht. Von einem Wolfsrudel ist die Rede, das sich bekanntlich seit geraumer Zeit in der Heide aufhalten soll. Keine Sorge „Meister Isegrimm“ kreuzt nicht den Weg, dafür viele Hasen.

Wo kommen die Teilnehmer an dieser Radtour her? Den weitesten Weg hat ohne Zweifel Vahid Piri, ein Fotograf aus Teheran. Seit sechs Monaten lebt der vom Islam zum Christentum konvertierte Mann in Herzberg und hofft auf Asyl. Auf sein „Vergehen“ steht im Iran die Todesstrafe. Undine und Michael Andrä aus Herzberg haben sich mit dem jungen Iraner angefreundet. Sie kümmern sich um ihn – eine Art Familienanschluss. Hier empfängt Vahid menschliche Wärme. Unterdessen halten Michael Andrä und Vahid Piri unterwegs jedes Detail fotografisch fest. Beide vereint das gleiche Hobby.

Aus der Ferne erklingen Kirchenglocken. Nach 13 Kilometern Fahrt durch die Heide wird endlich Züllsdorf erreicht. Die akustische Begrüßung kommt bei den Mitradlern Margit Krause aus Schweinitz und Udo und Rita Getzschmann aus Groß Naundorf gut an. Inzwischen gibt nicht ohne Stolz Kirchenvorstand Dirk Hanke Erläuterungen zum 2005 restaurierten Kirchenschiff und dem blau getünchten Altarraum. Es geht weiter. Nun folgen acht Kilometer durch recht unwegsames Gelände. Mario Reihs hält die Gruppe zusammen. Pfarrer von Kymmel baut einzelne immer wieder mental auf, wenn es nicht so läuft. Dann erreicht die Gruppe Buckau. Eine Art „Tischlein deck Dich“ vor der Kirche erwartet die Radler. „Das habt ihr toll gemacht“, ist immer wieder zu hören. Ortschronist Reinhard Ziegler führt durch sein Gotteshaus, das nach mehreren Bränden 1861 als Saalkirche aus rotem Backstein neu errichtet wurde. Die erlebnisreiche Tour nähert sich dem Ende. Mahdel heißt das 200-Seelen-Dorf. Kaffee und Kuchen erwarten dort die Exkursionsgruppe. Da entsteht rasch gute Laune. Anja Traube erzählt viel Wissenswertes über ihr kleines „Barockkirchlein“, das 50 Gläubigen Plätze bietet. Kanzel und Emporen sind dort mit einfachen Bauernmalereien verziert.

Auch ein wenig Literatur gehört zum Programm. Wie stellt man sich eigentlich den lieben Gott vor? Die Antwort wird in einem Kinderbuch verarbeitet aus dem Stefanie Kammer (Herzberg) vorliest.

Was bleibt als Resümee dieser Tour? Wie so viele bringen es Bärbel und Karsten Grunwald aus Herzberg am diesem Tag auf den Punkt: „Wir haben heute viel dazu gelernt. Dafür sind wir dankbar.“ Gegen 17 Uhr wird das Ziel Annaburg erreicht. 39 Kilometer stehen am Ende auf dem Tacho. Es war ein Tag angefüllt mit interessanten Gesprächen, Begegnungen und Wissenserweiterung.