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Aberglaube in Jessen Aberglaube in Jessen: Gewaschen wird immer

Von Ute Otto 30.12.2015, 14:23
Norbert Plass ist der gute Geist des Wäscherei-Service.
Norbert Plass ist der gute Geist des Wäscherei-Service. Christel Lizenz

Jessen - Dass zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag keine Wäsche gewaschen werden darf, dem Aberglauben waren auch die Großeltern von Evelin und Norbert Plass verhaftet. „Vor allem keine Bettwäsche“, weiß Evelin Plass. Ein Laken auf der Leine während der Rauhnächte könnte zum Leichentuch eines Familienmitglieds werden. „Meine Großmutter war streng katholisch“, erzählt Norbert Plass. „Sie hat sich mit Sicherheit daran gehalten.“

Gaststätten sind Kunden

Evelin Plass kann sich das nicht leisten. Seit fast 20 Jahren verdient die Jessenerin mit Wäschewaschen ihr Brot. Und schon weil Gaststätten zu ihrem festen Kundenkreis zählen, ist an Pause zwischen den Jahren nicht zu denken. Schon Sonntagabend hat sie wieder die fünf Waschmaschinen gefüttert, vor allem mit Tischtüchern, aber auch Bettwäsche von Privatkunden war noch abzuarbeiten. Und noch während die Chefin Montagvormittag auf Tour zum Einsammeln weiterer Wäsche war, zog ihre Mitarbeiterin Monika Grigat mit Hilfe von Norbert Plass die ersten Tafeltücher durch die Mangel.

Die sind wieder blütenweiß. Aber auch für Materialien, die nur bei 30 Grad gewaschen werden dürfen, wie die rotweiß karierten Mitteldecken des italienischen Restaurants hat Evelin Plass Tricks gegen hartnäckige Rotwein- und Tomatenflecken. Vielmehr machen ihr so leichte Synthetiks wie die Fallschirmseide, die bei Empfängen im Holzdorfer Offizierskasino um die Stehtische drapiert wird, beim Mangeln zu schaffen. Der Stoff schiebt sich zusammen.

Der Ehemann der Chefin ist bereits Rentner und zugleich der Haustechniker im Unternehmen. Die meisten Reparaturen erledigt er selbst. „Man hat ja schließlich nicht zwei linke Hände“, sagt der Mann, der früher Tore für namhafte Hersteller montierte. Evelin Plass hat Anlagenmechanikerin und Industriekaufmann gelernt. Auf die Idee, sich 1996 mit einem Wäschereiservice im Nebengelass auf dem eigenen Grundstück selbständig zu machen, habe sie eine Freundin gebracht. „Sie meinte, dass mit dem Bau der neuen Häuser in Jessen Nord jede Menge Kundschaft vor unsere Nase ziehen würde“, erzählt sie. Das sei ein frommer Wunsch geblieben, die meisten Privathaushalte waschen und bügeln ihre Wäsche selbst.

Da Evelin Plass und ihr Mann nun mal allein in die Heißmangel über 20 000 D-Mark investiert hatten, ist die Unternehmerin dann selbst auf Kundensuche gegangen, hat in Kindertagesstätten, Arztpraxen, bei der Bundeswehr und eben in der Gastronomie ihre Dienstleistung angeboten.

Hätte sie geahnt, wie sich vor allem die Energie- und Wasserpreise entwickeln, „hätte ich das wahrscheinlich nicht gemacht“, sagt sie. Knapp 300 Euro monatlich zahlt sie allein für Strom, hinzu kommen Arbeitgeberbeiträge, Versicherungen an die Berufsgenossenschaft.

Ende März ist Schluss

Nun aber, drei Monate bevor sie sich in Rente verabschiedet, blickt sie zufrieden zurück. „Es war eine schöne Zeit“, sagt sie. „Und ich denke, dass auch unsere Kunden zufrieden waren“, auch wenn sie bei der Kindergartenwäsche manchmal die Handtücher verwechselt hätten. Viel gelassener sei sie geworden, mit vielen Dingen, die ihr vor zehn, 15 Jahren schlaflose Nächte bereitet hatten, wie das Wegbrechen eines Kunden, habe sie gelernt umzugehen.

Das Augustinuswerk, das eine Wäscherei in Wittenberg betreibt, in der geistig behinderte Menschen arbeiten, will laut Plass auch in Jessen eine Annahmestelle einrichten.

Das Rentnerehepaar Plass wird sich dann dort, wo sich jetzt noch an der einen Wand Waschmaschinen und Trockner und auf der anderen Seite Körbe und Säcke mit Schmutzwäsche stapeln, eine Sommerküche einrichten. Und in dem großen Raum, wo fast 20 Jahre Wäsche durch die Mangel gezogen oder - wie Kleinteile, Oberhemden und Arztkittel - auch von Hand gebügelt wurden, wollen sie künftig Familienpartys feiern.

Doch über Silvester geht es erst einmal an die Ostsee. Norbert Plass freut sich auf das Feuerwerk am Strand. Dass mit den Böllern böse Geister vertrieben werden, ist schließlich auch ein Aberglaube. An dem halten die Menschen immer noch gerne fest. (mz)