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Streitgespräch dreier Krimiautoren Streitgespräch dreier Krimiautoren: Stirbt der Mord in Halle?

02.03.2013, 17:39
Stefan Maelck
Stefan Maelck Privat Lizenz

Halle/MZ. - Es gab schon schlimmere Zeiten, etwa damals in der DDR. Wie Halle war der gesamte Süden des heutigen Sachsen-Anhalts ein toter Winkel für das wirklich große, kunstvolle Verbrechen. Abgesehen von der Folge mit dem Kreuzworträtselmord spielte kaum je ein erinnerungswürdiger Fernsehkrimi in der Region. Auch literarisch blieb das Gebiet zwischen Harz und Saale ein Landstrich, der Freunden und Fans von Mord und Totschlag kaum etwas zu bieten hatte. Nach der legendären „Toten an der Waisenhausmauer“, deren Geschichte Harald Korall in einem Bestseller erzählt hatte, kam nichts mehr.

Bis schließlich nach dem Mauerfall ein „Tatort“-Kommissar aus Halle seinen Dienst aufnahm. Bis Schneider und Schmücke im „Polizeiruf 110“ auf Gangsterjagd gingen. Und bis mit Stefan Maelck, Stephan Ludwig und Peter Godazgar gleich drei Schriftsteller aus der Saalestadt begannen, ihre ganz eigenen, ein bisschen schrägen und ein bisschen überforderten Ermittler im Süden Sachsen-Anhalts in Stellung zu bringen. Der Vorabend des Abschieds vom Polizeiruf aus Halle ist der passende Moment, mit den drei Genre-Experten am runden Tisch Bilanz zu ziehen: Ist das Ende des betulichen Duos Wolfgang Winkler und Jaecki Schwarz tatsächlich der Tod des Unterhaltungsverbrechens in der Region? Haben Bankraub, Totschlag und Erpressung überhaupt eine Zukunft im Abendprogramm? Oder stirbt er wirklich, der gute, alte Mord?

Das Gespräch zwischen Peter Godazgar, Stefan Maelck und Stephan Ludwig protokollierte Steffen Könau.

Schmücke und Schneider treten morgen ab. Was bedeutet das Aus des halleschen „Polizeiruf 110“ für die Region?

Ludwig: Ich habe die Filme immer geguckt, weil ich die beiden Typen sympathisch finde. Ich kenne ja Winkler und Schwarz persönlich. Zudem schaut man das gern, weil einem die Orte bekannt sind. Man denkt: Mensch, da warst Du erst letzte Woche und jetzt kommt das im Fernsehen, toll.

Godazgar: Das kann aber auch nach hinten losgehen. Ich erinnere mich an eine Folge, da musste Winkler an die Ostsee fahren und ich habe sofort erkannt, dass die Ostsee der Cos- pudener See bei Leipzig war. Vorher war auch noch eine Fahrszene zu sehen, wo es über diese unverwechselbare Autobahnbrücke bei Bernburg ging. Aber wer fährt denn von Halle über Bernburg an die Ostsee? Da war es für mich mit der Glaubwürdigkeit vorbei.

Maelck: Das fällt nur dem Einheimischen auf, dem allerdings negativ. Aber dass so ein Film Außenwirkung für die Stadt hat, in der er spielt, glaube ich sowieso nicht. Jemand in München nimmt die Kulissen doch nicht als Halle wahr und sagt, „ach, schön da, da müssen wir auch mal hinfahren“. Wobei Lokalkolorit meistens ja ohnehin nur aus einem Schwenk über den Marktplatz bestand. Nein, das ist eine Illusion.

Ludwig: Im Grunde waren die halleschen Polizeirufe einfach nur betulich. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste die mit jemandem aus der Antarktis anschauen, der die ganze Gegend hier nicht kennt und gar nichts weiß... Ich glaube, ich würde mich fortwährend entschuldigen: Nein, Du, so schlimm sieht es da in Wirklichkeit nicht aus, nein, die Leute da sind viel netter.

Godazgar: Eine Besonderheit beim Polizeiruf aus Halle war ja auch, dass man immer angestrengt mitschnaufte, wenn die Akteure in einer Actionszene rennen mussten. Aber sobald Action in deutsche Filme kommt, wird es ohnehin meist schrecklich. Wenn man das mit amerikanischen Serien vergleicht, fragt man sich nur ständig wieder: Warum bekommen die Deutschen das nicht hin?

Vielleicht, weil hierzulande jeder Krimi so mit gesellschaftlichen Problemen aufgeladen wird, dass die Krimihandlung nur noch nebenbei wichtig ist?

Ludwig: Ja, ich glaube, deswegen sind die deutschen Krimis, wie sie sind. Man sieht richtig, wie da zehn Redakteure ihre Wünsche äußern: Das muss noch rein, das hier und das auch noch. Kinderarbeit, Missbrauch, Prostitution, Nazis, Billiglöhne, Umweltverschmutzung...

Maelck: Genau. Und dann folgt anschließend eine Talkrunde, die die abgehandelten Fälle bespricht, als wären sie Wirklichkeit. Wenn dann hinterher Günther Jauch die Frage stellt: Warum findet so viel Missbrauch in unserer Gesellschaft statt? Ich weiß von einem „Tatort“, in dem musste die Kommissarin nachträglich noch an Krebs erkranken, weil die Ausstrahlung zufällig auf die ARD-Themenwoche „Sterben“ fiel. Da wurde das einfach noch reingeschrieben, damit es zum Gesamtprogramm passt.

Weil der Krimi hierzulande nicht einfach Krimi oder Krimikomödie sein kann...

Maelck: Doch, es gab diese Filme ja durchaus mal. „Edel&Starck“ oder „Liebling, Kreuzberg“, die kamen nicht so mit dem Holzhammer um die Ecke.

Ludwig: Die wurden auch von Autoren wie Jurek Becker geschrieben, denen nicht 20 Leute reingeredeten.

Maelck: Wenn man mit Autoren spricht, die heute für den „Tatort“ arbeiten, dann stöhnen die nur darüber, dass da am Ende selbst die Schauspieler noch an den Drehbüchern mitschreiben dürfen. Tatort sei Lebensverkürzung, hat mir einer erzählt. Der schreibt jetzt wieder Bücher.

Aber gerade in den USA ist ja derzeit der Fernsehkrimi dabei, den Kinofilm als Nonplusultra des Geschichtenerzählens abzulösen. „Breaking Bad“, „Dexter“ und „Homeland“ setzen die Maßstäbe, hier spielen auch die Stars, nicht unbedingt mehr in Hollywood.

Ludwig: Die ändern dort die Erzählstrukturen, die versuchen was Neues. Bei uns heißt es, wir machen doch tolle Tierdokumentationen und sowas wie die „Sopranos“ können wir überhaupt nicht bezahlen. Aber das glaube ich nicht.

Maelck: Es gibt ja auch Ausnahmen. Allerdings werden Sachen wie damals Dominik Grafs „Im Angesicht des Verbrechens“, gut besetzt mit Leuten, die man nicht in jedem zweiten Film sieht, und spannend gemacht, schlecht behandelt. Die werden irgendwo bei arte versenkt, zu Zeiten, wo garantiert keiner guckt, weil die Verantwortlichen Furcht haben, dass es nicht nahe genug an ihrer idealisierten Wirklichkeit liegt.

Godazgar: Man könnte auch sagen, die Deutschen haben einfach ein Problem mit Unterhaltung. Bei uns muss immer Erziehung dabei sein. Oder wie Thomas Gottschalk mal über seine Gäste bei „Wetten, dass...“ gesagt hat: Deutsche Schauspieler wollen ständig davon reden, dass sie in Israel einen Baum gepflanzt haben. Ihre amerikanischen Kollegen schütten sich einen Eimer Wasser über den Kopf, weil sie wissen, es ist Entertainment, es ist Show.

Die Bücher sind schlecht, die Schauspieler sind schlecht...

Maelck: Da muss ich widersprechen. Ich gestehe, ich gucke „Tatort“ und „Polizeiruf“, seit ich elf Jahre alt bin. Ich glaube, ich habe keinen verpasst. Und ich sage, die Schauspieler sind besser als ihre Rollen! Jaecki Schwarz spielt zum Beispiel bei „Ein starkes Team“ eine Figur namens Sputnik und er brilliert da richtiggehend. Das ist ein Spaß, ihm zuzuschauen. Oder „Nachtschicht“ mit Armin Rohde... das hat Tempo, das hat richtig ungewöhnliche Figuren.

Ludwig: Dort brechen sie auch mit den typischen „Tatort“-Mustern, die man als regelmäßiger Zuschauer ja sofort erkennt. Bis vor ein paar Jahren wusste man, wenn nach zehn Minuten ein relativ bekannter Schauspieler in einer Nebenrolle auftaucht, dann ist das am Ende der Mörder. Mittlerweile haben die Macher mitbekommen, dass die Zuschauer das mitbekommen haben, so dass der erste bekannte Schauspieler in einer Nebenrolle immer eine falsche Spur legt. Der zweite ist es dann. Wobei ich neulich bemerkt habe, dass man diese Kurve überraschend wieder weggelassen hat. Aber die Grundregel bleibt: Wenn Sonntagabend zehn Minuten vor halb zehn jemand gesteht, dann ist er es nicht gewesen. Zu früh. Wo stehen denn Schmücke und Schneider verglichen mit den Figuren aus „Nachtschicht“ oder dem nicht ganz lupenreinen Kommissar des Rostocker ,Tatort’?

Ludwig: Sie waren einfach altbacken. Andererseits waren sie erträglich. Dagegen fand ich den Start von Devid Striesow als neuer „Tatort“-Kommissar im Saarland ganz schlimm. Man hat gemerkt, dass die alles anders machen wollten... Ich wollte den Film gut finden, eine halbe Stunde lang. Ich habe es versucht. Aber es ging nicht. Das war nicht skurril, das war blöd.

Maelck: Das kommt daher, weil da vorher so viel zu beachten ist, glaube ich. Als ich mein erstes Buch geschrieben hatte, gab es auch Anfragen, ob ich mir nicht vorstellen könnte, mal ein Drehbuch zu liefern. Ich konnte, aber nicht mehr, nachdem ich den Riesenkatalog gehört hatte, in dem steht, was alles nicht geht... Ich hatte da die Idee, die Kommissare ein wenig lockerer werden zu lassen, die sollten auch mal Luftgitarre spielen. Da hieß es, wir möchten nicht, dass sich das Drehbuch über die Figuren lustig macht.

Godazgar: Ich glaube, das ist so ein Beamtending. Deshalb sind Krimibücher in Deutschland auch generell besser als Fernsehkrimis.

Kommt dieser Konflikt daraus, dass Schreiber eher Einzelkämpfer sind?

Ludwig: Das ist möglich. Wenn ich mit fünf Leuten zusammenarbeiten müsste, die ich nicht leiden kann, dann wird das nichts.

Maelck: Andererseits träume ich auch manchmal von so einer Situation, in der man mit Gleichgesinnten was ausspinnt und die Stärken des einen mit den Stärken des anderen kombiniert. Lustige Dialoge kann ich allein schreiben. Eine gute Handlung entwerfen? Können andere besser.

Godazgar: Bei Drehbüchern kann ich mir das vorstellen. Aber einen Roman so schreiben? Das ist ein Unterschied. ich glaube, das ist nichts für mich. Ich glaube, ich könnte das nicht.

Ludwig: Sicher, das funktioniert nur, wenn man so gut miteinander kann, dass man sich auch ganz ehrlich sagt, das geht nicht, das passt nicht, das müssen wir anders machen.

Was bleibt denn nun nach 17 Jahren mit Schmücke und Schneider und 50 Fällen vom „Polizeiruf“ aus Halle?

Maelck: Schön war, dass Orte über die Jahre immer wieder aufgenommen worden sind, so dass man da heute auch Entwicklungen sehen kann. Eine Art Heimat-Doku, nur etwas besser gedreht und mit einem Krimi dazu. Dass das jetzt zu Ende ist, darum ist es schade. Claudia Michelsen und Sylvester Groth, die die Kommissare in Magdeburg spielen, hätten auch nach Halle gepasst.

Godazgar: Aber glaubt ihr denn wirklich, dass der Polizeiruf Werbung für die Stadt oder die Region war? Dass es also jetzt ein Verlust ist, wenn Magdeburg künftig die Kulisse abgibt?

Ludwig: Eher nicht. Wenn ich mir vorstelle, dass ich ein Zuschauer in München bin... dann sehe ich da zwei ältere Herren durch irgendwelche Straßen laufen, ab und zu fällt mal einer um, ab und zu kommt ein bisschen Grün ins Bild. Für einen Hallenser war das schön. Aber allen anderen war es mit Sicherheit egal, wo das stattfand.

Unter Marketinggesichtspunkten also kein Verlust?

Maelck: Nein. Wenn es in dieser Stadt ein vernünftiges Marketing gäbe, dann hätte man schon längst mal versucht, das irgendwie zu nutzen. Krimi als Standortfaktor! Das macht doch so eine Stadt spannend, die eigenen Bands, die Künstler, die Maler, die Designer... Es ist aber kaum widergespiegelt worden. Das ist schade. Weil sich das Selbstwertgefühl einer Region eben auch darüber definiert, dass sie ihre Trümpfe ausspielt. Leute lesen gern Krimis, die in ihrer Stadt spielen, sie hören gern Musik, die Gruppen aus der Nachbarschaft machen. Daher kommt ja der Erfolg von Regionalkrimis, deshalb dreht ja der MDR Polizeirufe nicht mehr wie zu DDR-Zeiten in Städten, die keinen Namen haben, sondern an realen Schauplätzen.

Trotzdem erkennt auch in Euren Büchern nur der Hallenser den Schauplatz.

Ludwig: Das ist Absicht. Mir war es sehr wichtig, den Namen der Stadt nicht zu nennen. Für mich ist es schlicht extrem einfach, meinen Kommissar durch eine Straße laufen lassen zu können, die es wirklich gibt. Dann muss ich mir die nicht ausdenken. Andererseits kann die Straße bei mir wo ganz anders hinführen. Ich kann die Saale den Markt überschwemmen lassen, was in Wirklichkeit nicht funktionieren würde... Bei mir geht es. Das finde ich eigentlich sehr bequem.

Godazgar: Ich habe das anfangs auch so gemacht, richtige Orte nehmen und sie dann verfremden. Aber dann meinten Leser, das sei nicht exakt genug beschrieben. Ich habe dann versucht, es genauer zu machen, weil ich auch gesehen habe, dass die großen US- Thrillerautoren oder auch skandinavische Kollegen sehr genau sind bei der Beschreibung echter Orte. Einerseits ist es für die Handlung ja eigentlich nicht wichtig. Den Lesern aber scheinbar schon.

Wie sieht der ideale Krimi eines Krimischreibers aus?

Maelck: Ich bin mit den Schweden Sjöwall und Walhöö aufgewachsen, auch mit Raymond Chandler. Dazu „Kojak“ und „Die Straßen von San Francisco“. Das hat mich geprägt, da geht heute noch nicht viel drüber, obwohl es da viel ruhiger zuging als in den meisten Krimis heute.

Godazgar: Ich finde, inzwischen wird einfach viel zu viel gemordet, massengemordet auch immer gleich. Früher gab es in einem Krimi einen Toten und dann wurde der Täter gesucht. Heute müssen es Tote im Dutzend sein. Dabei muss der ideale Krimi das nicht haben. Ich denke nur an „Räuber Hotzenplotz“, das ist ein hochintelligenter Krimi und es gibt keinen Mord, keine Brutalität.

Ludwig: Das sehe ich anders. Ich liege gerade in den letzten Zügen mit meinem dritten Band und ja, es wird gemordet. Ich sage mir aber immer, wenn es krachen muss, dann soll es auch richtig krachen.

Maelck: Ich bemerke da aber wirklich so eine Art Wettbewerb um die verrückteste Todesart, die meisten Morde pro Seite... Fehlt nur noch eine Agentur, bei der man anrufen und nachfragen kann: Hat sich eigentlich schon mal in irgendeinem Buch eine alte Dame in ihrer eigenen Marmelade eingekocht. Die Olympischen Spiele des Mordens.

Godazgar: Ja, man kann das nur noch persiflieren, diesen Hang zum Extremen. Einfach erschießen reicht nicht, man muss foltern.

Ludwig: Meine Freundin sagt das auch immer zu mir: Das Morden muss doch nicht sein, der kann doch auch mal einfach aufs Dorf fahren und dort...

Maelck: ...Pferdefleisch suchen.

Godazgar: Wobei wir alle wissen: Ein geklautes Fahrrad über 350 Seiten? Geht einfach nicht.

Ludwig: Geht gar nicht. Ich sehe das, was ich schreibe, ja als Film vor mir und in dem gehört es dazu, dass es kracht, bevor es zu lustig wird. Ich versuche aber immer, auch eine gewisse Leichtigkeit rein zu bekommen und das irgendwie ironisch zu brechen. Und außerdem schreibe ich keine Krimis, sondern Thriller. Sagt mein Verlag.

Lest ihr denn selbst noch Krimis?

Ludwig: Eigentlich überhaupt nicht mehr. Ich analysiere dabei zu viel, wie schreibt der das, wie ist das aufgebaut. Ich packe dann manche Bücher beiseite, weil ich sie nicht gut finde. Und andere, weil ich sie zu gut finde und neidisch bin. Da macht es keinen Spaß mehr.

Godazgar: Ich lese immer noch, auf jeden Fall, denn es gibt immer wieder großartige Bücher. Gerade erst habe ich Don Winslow entdeckt, „Zeit des Zorns“, hervorragend.

Maelck: Ein wunderschönes Buch. Auch der Ire Ken Bruen ist großartig. Die so beliebten Skandinavien-Krimis dagegen kann ich nicht mehr lesen, es geht nicht. Es ist inzwischen so viel Schrott dabei... man verliert die Geduld damit. Daran sieht man aber auch, Verlage suchen wirklich, die probieren was, nicht wie die Fernsehsender.

Müssen nicht unter hunderttausend Krimis jedes Jahr eben immer auch etliche sein, die es nicht geben müsste?

Godazgar: Klar, warum schreiben die Leute denn? Wahrscheinlich einfach,weil ihnen das ein inneres Bedürfnis ist.

Maelck: Spaß, Unterhaltung und ein kleines therapeutisches Moment ist auch immer dabei...

Ludwig: Bei mir ist es jedenfalls nicht so, dass ich glaube, dass da etwas in mir schlummert. Aber ich habe keine glücklicheren Momente als die, in denen ich am Laptop sitze und da etwas reintippen kann. Andererseits ist es mir zu hochgestochen, zu sagen, dass das raus muss. Ich würde mich auch nie als Schriftsteller bezeichnen. Ich habe das große Glück, dass ich was aufschreibe und Leute das lesen. Es macht mich froh, dass ich das tun kann. Das hilft sogar über die wirklich nervenden Momente am Anfang hinweg, wenn man sich das Gerüst ausdenken muss, an dem man dann später entlangschreibt.

Gibt es da einen detaillierten Plan, was wann im Buch passieren wird?

Godazgar: Ich habe mein erstes Buch ins Blaue geschrieben. Aber heute, ja, heute gibt es einen Plan. Von dem kann ich abweichen, aber es gibt ihn.

Maelck: So ähnlich. Als ich mit meinem ersten Buch anfing, habe ich zwei Kapitel geschrieben und an einen Verlag geschickt. Die sagten prima, lassen Sie uns mal den Rest sehen. Ich sagte, klar, mache ich. Dabei hatte ich kein einziges Wort mehr und überhaupt keine Ahnung, wo das Ganze hinlaufen sollte. Inzwischen macht man sich vorher mehr Gedanken. Allerdings verändern sich die Geschichten und mit jedem Umbau, den man zwischendurch vornimmt, verändern sie sich mehr.

Ludwig: Mir fiel die Eingangsszene vom ersten „Zorn“-Band wirklich im Auto auf dem Weg in den Urlaub ein, auch wenn das keiner glaubt. Ich dachte, wenn man an den Anfang ein Kapitel setzt, in dem jemand ganz schlimm gequält wird, und man führt die Geschichte von dort zu einem völlig überraschenden Ende, dann wäre das nicht schlecht. Als der Verlag dann sagte, das finden sie auch, musste ich erstmal zusehen. Ich hatte ja noch keinen Kommissar, keine Handlung, keinen Weg von vorn bis zu diesem Schluss.

Täuscht der Eindruck, oder hat das Krimi-Genre heute viele Aufgaben übernommen, die früher die sogenannte ernste Literatur abhandelte?

Maelck: Ich muss zugeben, dass ich deutsche Gegenwartsliteratur kaum noch wahrnehme. Die Amerikaner Paul Auster oder Tom Wolfe, ja, die schon. Aber mal ehrlich, wir sind ja eine Generation, liest jemand in unserem Alter noch den neuen Günter Grass, den neuen Martin Walser?

Godazgar: Grass’ „Im Krebsgang“ habe ich gelesen. Und ich war erschüttert. Das sollte wohl lustig sein, ironisch. Aber diese Sprache! Das schien mir so gequält.

Ludwig: Mir kommt es bei diesen Büchern immer so vor, als ob ich zu blöd dazu bin, das zu verstehen. Ich habe versucht, Peter Handke zu lesen. Aber ich komme da nicht hinterher.

Maelck: Das geht nicht nur Dir so. Ich glaube, das ist in Deutschland ein Phänomen, das viele Leute betrifft. Man vertraut nicht mehr auf seinen Instinkt, der einem sagt, das ist kein gutes Buch. Sondern glaubt, man ist zu blöd. Als Folge davon werden 80 Prozent dieser Großwerke, die sich Leute gekauft haben, dann gar nicht gelesen.

Godazgar: Also doch lieber Krimis.

Maelck: Lieber Krimis.

Ludwig: Einverstanden.

Stephan Ludwig
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