1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Rathaus-Stratege muss gehen: Rathaus-Stratege muss gehen: Lothar Rochau kämpft gegen Rausschmiss

Rathaus-Stratege muss gehen Rathaus-Stratege muss gehen: Lothar Rochau kämpft gegen Rausschmiss

Von Detlef Färber 30.09.2017, 14:00
Lothar Rochau kämpft für eine längere Arbeitszeit. Er will bis 67 im Dienst der Stadt bleiben.
Lothar Rochau kämpft für eine längere Arbeitszeit. Er will bis 67 im Dienst der Stadt bleiben. Privat

Halle (Saale) - „Keine Zeit, keine Zeit, ich muss nach Magdeburg!“ Lothar Rochau läuft in    atemloser Hast höchst hurtig über den Rathausflur, schüttelt dabei eine Hand und sagt in der gleichen Sekunde einen Termin ab, der just in diesem Moment beginnen sollte. Und das am nominell letzten Arbeitstag eines Beamtenlebens - seines Beamtenlebens! Da könnten sich komplette Bürobelegschaften wohl eine dicke Scheibe von ihm abschneiden. 

Aber warum diese Eile, warum dieses spontane, freihändige Umdisponieren? Die Antwort: Ein Termin von überragender Wichtigkeit steht kurzfristig ins Haus: Ein Termin bei seinem Anwalt: Dem Anwalt des Mannes, der als enger Mitarbeiter von Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) als „Stratege und Steuerer“ des Sozialbereichs tätig war.

Rauswurf statt Jubiläum: Halles Rathaus-Stratege Lothar Rochau will um seinen Beamtenposten kämpfen

Oder bleibt? Genau das ist die Frage, die Rochau am Freitag mit seinem Anwalt besprechen wollte. Doch eine Antwort auf diese Frage gab es schon im Vorhinein: „Ich werde um mein Recht zu arbeiten kämpfen“, sagt der einstige Spitzenbeamte. Dessen Hoffnung, sein Begehr auf üblichem Wege zu klären, war in dieser Woche nahezu zerstoben - denn: Im Stadtrat ist sein Antrag, als Beamter bis 67 arbeiten zu dürfen, mehrheitlich abgeschmettert worden.

Der Grund: Rochau sei zu teuer und sein Posten überdies „sogar verzichtbar“. Es sei eine „Sachentscheidung“ gewesen, kommentiert Stadtrat Tom Wolter die Entscheidung, die bereits seit längerem als „KW“ (keine Wiederbesetzung) aussortierte Stelle Rochaus nicht auch noch zu verlängern. Wolter wünscht sich, OB Wiegand und Rochau mögen die Entscheidung der Stadträte „bitte nicht persönlich nehmen!“ 

Spitzenbeamter von OB Bernd Wiegand muss seinen Stuhl räumen - doch das sieht er nicht ein

Doch wer weiß, ob jene, die Rochau nun in die Rente schicken wollen, überhaupt mal gesehen haben, mit welcher Energie und welch kraftvoller Ausstrahlung dieser agile 65-Jährige zwischen den Türen des Rathauses geradezu wirbelt: Geschätzt von etlichen Kollegen - auch als Netzwerker und Querdenker in Sachen Strategie, als Tausendsassa der Stadtverwaltung. Und so ein Mann soll in Halle verzichtbar sein?! Lothar Rochau hat nun spürbar einen Rochus auf alle, die dies allen Ernstes meinen!  

Dabei müsste es in diesen Tagen doch eigentlich eher einen Anlass geben zu feiern und zurückzublicken - bei Rochau und den Leuten um ihn herum. Denn es steht ein Jubiläum ins Haus, das im Zusammenhang mit Halle inzwischen als historisch gilt. Gibt man nämlich in diversen Suchmaschinen die Jahreszahl 1977 im Zusammenhang mit Halle ein, flimmert neben der Box-Europameisterschaft sogleich ein anderer Kampf auf. Einer, der sich mit dem  Namen Rochau verbindet: Mit „Rebellion im Plattenbau“ ist im Netz eine Veröffentlichung über die „Offene Arbeit“ der Kirche in Halle-Neustadt überschrieben.    

Schatten der Vergangenheit: Stasi beschattete Lothar Rochau, weil er als Jugenddiakon als aufrührerisch  galt

Im Herbst 1977 kam Lothar Rochau als Jugenddiakon in die evangelische Gemeinde der vermeintlichen sozialistischen Zukunftsstadt  - exakt vor 40 Jahren also. Dass genau zu diesem Jubiläum nun sein Quasi-Rauswurf aus dem Rathaus erfolgt, ist eine bittere Pointe auf Rochaus Halle-Jahre, die inzwischen auch ein Stück deutscher Geschichte sind - ebenso wie ein Stück Kirchengeschichte und finstere Geschichte des Realsozialismus, die inzwischen leider allzu gern vergessen wird.

Rochau, der vor 40 Jahren begann, gerade auch die aufmüpfige Jugend im vermeintlichen Arbeiterparadies zu betreuen, galt auch in der Kirche als    streitbar und unbequem. Und umso mehr bei den „staatlichen Organen“, wovon tausende Seiten Stasi-Akten zeugen. 

Der Staat machte seinerzeit Druck auf die Kirche, Rochau zu feuern. Und tatsächlich: Im Frühjahr 1983 gab es einen  Rausschmiss für Lothar Rochau aus dem Dienst der Kirche. Dessen Umstände würden, so Rochau, derzeit übrigens  aufgearbeitet. „Ein Kuratorium“ tüftele an einem Vorschlag zur Beilegung der Angelegenheit, freut sich der Rehabilitierungsanwärter.   

Nach Zeit im Stasi-Knast kam Lothar Rochau zurück nach Halle

Sein Rauswurf 1983 - und damit der Verlust des schützenden Dachs der Kirche - hatten für Rochau freilich schlimme Folgen, denn kein Vierteljahr später musste der Jugendwart in den Stasi-Knast. Von dort aus ging es in den Westen, und schon kurz nach der Wende war das Stehaufmännchen Rochau  wieder da - machte Halle zu seiner Heimat und leitete 17 lange Jahre das hiesige Jugendamt. Nach seiner Ablösung war er unter dem damaligen Dezernenten Bernd Wiegand im Gesundheitsamt tätig.   

Rochau gehörte danach - übrigens bereits als Vorruheständler -  zu einem Unterstützerteam im Wahlkampf Wiegands. Der reaktivierte den alten Beamten dann, und Lothar Rochau avancierte zum  neuen Sozialstrategen.

Lothar Rochau ist auch agiler Halle-Botschafter

Mit seinem alten und neuen Chef Bernd Wiegand verbindet Rochau übrigens neben einer persönlichen Freundschaft und einer gewissen Ähnlichkeit in der Statur auch die Kameradschaft als Marathonläufer. Die Sportskanone Rochau ist übrigens bundesweit in der Marathon-Szene unterwegs  - und verbindet diese Aktivitäten mit - für manche, die es erleben dürfen -  unvergesslichen Auftritten als Halle-Botschafter: Und als lautstarker Werbeträger „für die Stadt Händels und der Halloren“. 

Diese Rastlosigkeit könnte, falls es beim Pensionierungsbescheid bleibt, für Rochau und Halle übrigens zum Ausweg aus dem momentanen Streit werden: als Happyend im Ehrenamt! (mz)