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Behörde kontert Kritik Halle: Tödlichem Balkon-Sturz ging schwierige Schul-Laufbahn voraus - Behörde kontert Kritik

Von Oliver Müller-Lorey und Jan Schumann 10.11.2018, 06:00
An der Stelle, an der die 15-Jährige vom Balkon stürzte, stehen seit Freitag Kerzen und Kuscheltiere zum Gedenken.
An der Stelle, an der die 15-Jährige vom Balkon stürzte, stehen seit Freitag Kerzen und Kuscheltiere zum Gedenken. Lutz Winkler

Halle (Saale) - Nach dem tragischen Tod einer 15-Jährigen, die bei einem Polizeieinsatz am Donnerstag von einem Balkon gestürzt ist, ist die Trauer in Neustadt ungebrochen groß. Die Eltern der Schülerin hatten den Behörden schwere Vorwürfe gemacht und ihnen eine Mitschuld am Tod ihrer Tochter gegeben. Die Behörden wiesen diese Vorwürfe gegenüber der MZ am Freitag zurück.

So hieß es aus dem Bildungsministerium, der Schülerin seien viele Hilfsangebote gemacht worden, die jedoch nicht gefruchtet hätten. „Es gibt eine lange Geschichte der Schulverweigerung. Auch ein Schulwechsel spielte eine Rolle, da es keine Veränderung trotz Betreuungsangeboten von den Schulpsychologen gab“, sagte der Sprecher des Bildungsministeriums, Stefan Thurmann.

Welche Angebote dem Mädchen genau gemacht wurden, sagte er nicht. Man müsse sich erst einen umfassenden Blick über ihre Bildungshistorie verschaffen. „Von den Lehrern an der Schule wissen wir, welche Anstrengungen es gab. Aber es war schwer, einen Zugang zu ihr zu bekommen“, so Thurmann. Hinweise, dass das Mädchen gemobbt wurde, wie es die Mutter gegenüber der MZ gesagt hatte, habe es nicht gegeben.

Auch Werner Budtke, Sprecher des Amtsgerichts Halle, betonte, dass der Polizeieinsatz für das Mädchen nicht unerwartet gekommen sein kann. Denn bis die Polizei in so einem Fall an der Tür klingle, vergehe viel Zeit. Bekomme die Schule mit, dass ein Schüler immer wieder fehlt, informiere sie die Stadt.

Sprecher des Gerichts: „Unwilligkeit muss gebeugt werden“

Das Ordnungsamt verhänge dann ein Bußgeld. „In Halle liegt es vergleichsweise niedrig bei 80 bis 150 Euro. Andere Städte verhängen bis zu 1.000 Euro für schwere Strafen“, so Budtke. Könnten die nicht bezahlt werden, hätten die Schulschwänzer die Möglichkeit, in Absprache mit der Jugendgerichtshilfe Arbeitsstunden zu leisten.

Erst wenn dies scheitere, werde der Jugendarrest angeordnet, der maximal eine Woche dauert. Werde der Arrest wie im aktuellen Fall nicht freiwillig angetreten, hole die Polizei die Jugendlichen ab. Unwilligkeit muss gebeugt werden“, sagte Budtke. Das verlange das Gesetz und auch die Bevölkerung von den Richtern.

„Überhaupt nicht mitgewirkt“: Ignoranz der Eltern sei erstaunlich

Budtke betonte, dass es jederzeit - selbst im Arrest - möglich sei, die Strafe zu zahlen oder die Arbeitsstunden zu leisten. Zugleich kritisierte er die Eltern des toten Mädchens: „Es ist erstaunlich, mit welcher Ignoranz die Eltern an die Sache herangegangen sind.“ Leider sei im aktuellen Fall überhaupt nicht mitgewirkt worden.

Grundlage für den Polizeieinsatz am Donnerstag waren drei Beschlüsse des Amtsgerichts, die nach MZ-Informationen aus dem Mai stammen sollen. Demnach ging es um versäumten Unterricht im Jahr 2017 - oder noch früher. Die Ermittlungen in dem Fall hat die Polizei in Magdeburg übernommen, da die eigentlich zuständige Behörde in Halle sich nicht dem Vorwurf der Befangenheit aussetzen will.

Debatte um Arrest für Schulschwänzer zurück im Landtag

Die Familie des Opfers hatte behauptet, die halleschen Beamten seien in die Wohnung gestürmt und sollen das Mädchen so in Panik versetzt haben, dass sie vom Balkon fiel. Eine Polizeisprecherin sagte, es gebe keine neuen Erkenntnisse.

Durch den Todesfall ist die Debatte um den Schulschwänzer-Arrest zurück im Landtag. Die Linke will übernächste Woche einen Gesetzentwurf einbringen, um Schwänzen als Ordnungswidrigkeit im Schulgesetz zu streichen. Auf diesem Wege würden Arreststrafen wegfallen. Jahrelange Diskussion in der Landespolitik hatten bisher nicht zur Streichung der Maßnahme geführt.

Auch die aktuell schwarz-rot-grüne Koalition hatte sich bei der jüngsten Schulgesetzreform im Sommer nicht darauf einigen können. Grünen-Landesvorsitzende Susan Sziborra-Seidlitz kündigte am Freitag an, das Thema in den Koalitionsausschuss holen zu wollen. SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Pähle aus Halle teilte mit, sie sei erschüttert über den Todesfall. Sie sehe „die Bedenken bestätigt, die schon immer gegen Schulschwänzerarrest sprachen“.  (mz)