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Halle Halle: Nazi-Verbrechen direkt vor der Haustür

Von SILVIA ZÖLLER 21.10.2010, 16:33

Halle (Saale)/MZ. - Sie lebten unter menschenunwürdigen Bedingungen. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend mussten sie schuften. Durch Hunger und Krankheiten starben viele von ihnen: Schätzungsweise 15 000 Zwangsarbeiter waren bis 1945 in mindestens 114 Lagern in Halle untergebracht. Auch wenn das hallesche Außenlager Birkhahn-Mötzlich des KZ Buchenwald kein Vernichtungslager war, so war auch hier Terror an der Tagesordnung. Häftlinge wurden mit einem mit Nägeln besetzten Brett ins Gesicht geschlagen, ihr dürftiges Essen beschlagnahmt. Von Hygiene konnte keine Rede sein: Läuse und Flöhe breiteten sich rapide aus.

Diese Fakten und Zahlen werden in dem jetzt vom Verein "Zeit-Geschichten" veröffentlichten Buch "Das vergessene Lager. Eine Dokumentation zum Außenkommando des KZ Buchenwald" genannt. Damit wird erstmals das dunkle Kapitel aus Halles Stadtgeschichte wissenschaftlich fundiert beleuchtet.

Die Recherchen von Herausgeber und Historiker Udo Grashoff und seinem Team beschränkten sich nicht ausschließlich auf das Mötzlicher Außenlager, von dem aus Häftlinge vor allem für die Siebel-Flugzeugwerke zur Verfügung gestellt wurden. Vielmehr wird auch beleuchtet, wie in Halle Kriegsgefangene in Baubataillonen schuften mussten oder Zwangsarbeiter in Fabriken und bei der Reichsbahn ausgebeutet wurden.

Ausgelöst hatte die Forschungen der hallesche Journalist Nico Wingert, der 2008 einen Online-Artikel zum Lager in Mötzlich veröffentlicht hatte und dabei auch die fehlende Unterstützung der Stadtverwaltung bei den Recherchen kritisierte. In einem öffentlichen Forum des Vereins "Zeit-Geschichten" hatte sich die Stadtverwaltung hierfür entschuldigt.

Sowohl Wingert, als auch der Mötzlicher Hobbyhistoriker Albert Osterloh, der sich bereits seit vielen Jahren mit dem Lager in Mötzlich beschäftigt, haben an dem Buch mitgearbeitet. Ebenso Halles Stadtarchivar Ralf Jacob, der in Archiven in den USA neue Dokumente entdeckte, die in dem Buch abgedruckt wurden. Ralf Rodewald, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Stadtmuseums, schildert in dem Buch das System nationalsozialistischer Lager - auch in Halle.

Doch selbst wenn mit dem 92 Seiten starken Heft fundierte Fakten über das zu DDR-Zeiten vollkommen vergessene Lager nun zugänglich sind, so bleiben auch für Herausgeber Grashoff viele Fragen, die noch erforscht werden müssen: "In zahlreichen halleschen Betrieben litten Zwangsarbeiter unter harten Lebensbedingungen. Wie viele von ihnen sich zu Tode schufteten, ist bisher nicht genau ermittelt worden."

Auch sei insgesamt der Einsatz von Zwangsarbeitern in Halle nur ansatzweise erforscht worden. Lediglich für die Hälfte der Lager sei bisher ein eindeutiger Standort nachgewiesen worden. Überhaupt noch nicht aufgearbeitet sei zudem die Geschichte von KZ-Häftlingen aus Buchenwald, die in Halle bei fünf Bauprojekten eingesetzt wurden und deren Todesrate sehr hoch gewesen sein soll. Unklar sei auch, warum in den Siebel-Werken bereits ab Februar 1945 keine KZ-Häftlinge mehr eingesetzt wurden.

Das vergessene Lager. Eine Dokumentation zum Außenkommando des KZ Buchenwald in Halle (Saale) 1944 / 45. Herausgegeben von Udo Grashoff und "Zeit-Geschichten" e.V. Hasenverlag Halle, 2010. ISBN 978-3-939468-33-2. 10 Euro.