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Den Alltag wieder ohne Alkohol meistern

Von Heidi Pohle 15.09.2005, 18:39

Silberhöhe/MZ. - Gertrud Strauch ist voller Hoffnung, vom Alkohol wegzukommen. Ihre Zuversicht begründet sie mit anderthalb Jahren Aufenthalt in der Tagesstätte, die am Rande der Silberhöhe liegt. Jetzt sei sie trocken, erzählt die 52-Jährige. Das sei kein leichter Weg gewesen, und es werde wohl auch noch ein Jahr dauern, bis sie ohne Hilfe auskomme. Nie hätte sie es früher für möglich gehalten, einmal dermaßen vom Alkohol abhängig zu werden. Früher, das war die Zeit, als sie noch als Sprechstundenschwester arbeitete. Zwei Todesfälle in der Familie warfen sie völlig aus der Bahn.

Wer in dem Tageszentrum betreut wird, hat ein ähnliches Schicksal wie Frau Strauch: Der Alkohol bestimmte jahrelang das Leben der rund 25 Frauen und Männer zwischen 24 und 63 Jahren, zog sie in eine Abhängigkeits-Spirale. Ließ sie Job, Familie und nicht selten auch ihre Würde und die Achtung vor sich selbst verlieren. Unter der Leitung von Ulrich Kästner sollen sie nun lernen, wieder ein Leben ohne Alkohol zu führen. "Ein Entzug findet bei uns nicht statt, den haben die meisten zuvor gemacht", sagt der Sozialarbeiter. Am schwersten sei es, die Menschen aus einem Umfeld herauszulösen, in dem der Alkohol regiert. Da sei

viel Geduld erforderlich. Und so ist es oft schon ein Erfolg, wenn die Klienten regelmäßig und pünktlich erscheinen. "Und sie müssen lernen, Probleme zu meistern - ohne Alkohol", so Kästner.

In der Tagesstätte leben sie wie in einer großen Familie, können unter verschiedenen Beschäftigungen wählen. Auch ganz praktische Dinge wie Einkaufen oder Wäschewaschen werden geübt. Heiko Zettel zum Beispiel, ein kräftiger Mann, arbeitet im Stiftsgut Stichelsdorf und bald auch im Schulumweltzentrum Franzigmark; mit beiden kooperiert das Zentrum. Er greift aber ebenso zu Weidenruten, um Körbe zu flechten. "Ich hätte nie gedacht, dass ich das kann", erzählt der 39-jährige gelernte Maurer, der seit seiner Jugend trinkt und dadurch mehrere Arbeitsplätze verlor.

Ihm haben die vielen Gespräche mit den Betreuern und untereinander geholfen. Denn im Zentrum könne man offen über alles reden - das weiß auch Hajo Krause aus Erfahrung. Für ihn war es schwer, wieder einen "normalen" Alltag anzunehmen. Aber der Erfolg gebe Kraft, mache Mut. Der 49-jährige Installateur hatte es schon mal geschafft, vom Alkohol wegzukommen, fand Arbeit, eine Freundin. "Da war ich wohl zu euphorisch, dachte, ein paar Schlucke Bier oder Wein schaden nichts." Ein Trugschluss - alkoholkrank ist man das ganze Leben; jeder Tropfen kann die Krankheit wieder ausbrechen lassen. Nun versucht er zum zweiten Mal, sein Leben zu ordnen.

Heike Grasmeyer (35) hat es fast geschafft, ein Jahr ist sie schon im Zentrum - nach 15 Jahren Abhängigkeit, wie sie erzählt. Am Tage falle es ihr nicht mehr schwer, auf Alkohol zu verzichten, aber abends. Beeindruckt hat sie nicht nur, wie herzlich sie damals aufgenommen wurde: "Auch die Hilfe untereinander ist groß." Und sie hat ihren Freund in der Tagesstätte kennen gelernt.

Die Tagesstätte ist unter 0345 / 20 36 674 erreichbar.