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«Da werden viele Tränen fließen»

Von Heidi Pohle 19.03.2007, 19:19

Halle/MZ. - "Mir blutet jeden Morgen das Herz", sagt Karola Gründemann. Immer dann, wenn die Verkäuferin bei Karstadt den riesigen Verkaufsraum betritt, sieht sie, dass wieder eine Abteilung verschwunden ist. Die Gardinen sind raus, die Süßwaren, die Parfümerie, auch ihre Domäne, die Haushaltwaren samt Glas und Porzellan, gibt es nicht mehr. Dort war sie zuletzt die "erste Kraft". Karstadt macht zum 14. April zu. Für immer.

Das lange Gebäude in der Mansfelder Straße ist nicht wiederzuerkennen. Von gepflegter Kaufhaus-Atmosphäre keine Spur mehr. Große Bereiche sind ausgeräumt und abgesperrt, nichts mehr dekoriert. Dutzende Paletten, Kisten und Rollwagen stehen herum. Kleiderständer sind ebenso leer wie Regale. Und überall ist man am Packen; nur in der Mitte des Verkaufsraums gibt es wie auf einer Insel noch Bekleidung, Wäsche, Spielzeug. Darüber prangen grellrote Reduziert-Schilder mit dicken Prozentzeichen. Der Ausverkauf läuft auf vollen Touren, selbst das Inventar wird verscherbelt.

Da könne man sich denken, wie die Stimmung ist, sagt Karola Gründemann. Obwohl sogar noch Scherze gemacht werden. Das sei Galgenhumor: "Uns ist eher zum Heulen zumute." Die 48-Jährige hat vor 30 Jahren im Centrum-Warenhaus am Markt angefangen, das neue Haus, damals das modernste weit und breit, mit eingeräumt, sich qualifiziert und immer Haushaltwaren verkauft.

Gerüchte, dass Karstadt zumacht, kursierten seit Jahren. Zwischendurch schien es noch mal eine Chance zu geben. "Wir haben uns so ins Zeug gelegt", erzählt WerbeTeamleiterin Doris Troschier, die auch zu den "Urgesteinen" gehört. Neue Ideen umgesetzt, Verkaufs-Events organisiert, dekoriert, gemalert. Die Kunden fanden es gut, seien wiedergekommen. "Wir hatten so viel Hoffnung", sagt sie. Alles vergebens. Vor einem Jahr wurde das endgültige Aus verkündet. Aus wirtschaftlichen Gründen, wie es hieß.

Was soll nun werden? Für Annette Schunke ist die Zukunft noch unklar. In die Transfer-Gesellschaft, die die Frauen in Lehrgängen fit machen soll für eine neue Arbeit, will sie nicht. "Ich suche mir selbst was", sagt die 43-Jährige, die als Lehrling im Hause angefangen hat. Jugendmode, Herrenkonfektion, Babysachen, zuletzt Gardinen - "ich habe alle Abteilungen durch", erzählt sie. Jeder Tag sei jetzt schwer. "Man wird immer trauriger, funktioniert nur noch." Sie will neu anfangen, als Arzthelferin vielleicht arbeiten oder Kinder betreuen.

Karola Gründemann bleibt nur die Transfer-Gesellschaft. Sie hofft, mit dann bald 50 Jahren wieder Arbeit zu finden. Das hat Doris Troschier schon geschafft; sie fängt im Mai in einem Möbelhaus an: "Das ist für mich wie ein Sechser im Lotto", strahlt sie, die Frauen freuen sich mit ihr, lächeln. Doch nur kurz; Bitterkeit und Wut überwiegen. Darüber, dass es denen "da oben" doch egal sei, was passiere. "Wenn Karstadt und Halle eine gute Lösung gewollt hätten, wäre das möglich gewesen", ist Karola Gründemann überzeugt. Allein dem Betriebsrat sei es zu verdanken, dass fast 50 Kolleginnen bei Karstadt in Leipzig untergekommen sind. "An der Schließung des Hauses hängen doch Schicksale", redet sie sich in Rage. Einige Kolleginnen seien seelisch krank geworden, viele hätten Zukunftsängste.

Jeder Tag sei wie ein bisschen sterben. Ein halbes Leben sei sie mit dem Warenhaus verbunden gewesen. Was bleibt? Sie weiß es nicht. Verabschieden wollen sie sich, alle noch einmal zusammensitzen, am letzten Öffnungstag vielleicht oder später. "Da werden Tränen fließen", sagt sie und schluckt, viele Tränen, ein ganzer Strom.