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Polizeirevier Bernburg Polizeirevier Bernburg: Schreibmaschine geht in Ruhestand

Von Raimund Leonhardt 15.07.2003, 15:33

Bernburg/MZ. - Trotzdem tippen Polizeikommissar Oliver Flügel, Hauptmeister Bernd Döbel und ihre Kollegen immer noch auch Texte in die gute alte Schreibmaschine. Konkret handelt es sich dabei um - amtlich ausgedrückt - Verkehrsunfallanzeigen. Diese müssen in mehrfacher Ausführung vorliegen, um an alle möglichen Stellen, von der Staatsanwaltschaft bis zur Verkehrsbehörde, verschickt zu werden.

Zusammen mit Protokollen unterschiedlicher Art, Befragungen, Fotos und Skizzen vom Unfallhergang wandert die Schreibmaschinen-Anzeige in einen Ordner, der nach und nach immer dicker werden kann - je nach Schwere und Tragweite des Vorgangs.

Die Zeichnungen von der konkreten Unfallsituation sind es auch, die bislang den weiteren Einsatz des "Tastenhammers" erforderlich machten. Es gab bis dato in Sachsen-Anhalt noch kein polizeieigenes Computerprogramm, das die Unfall-Skizzen zeichnen konnte.

"Ab 1. September wird sich das ändern", freut sich Polizeihauptkommissar Manfred Thiemann, Chef der "Schutzmänner" im Bernburger Revier. Im ganzen Bundesland würde das zeichenfähige Programm ab diesem Datum bei der Polizei eingeführt. Zunächst in einer Probephase, ab 1. Januar 2004 dann ohne Netz.

Flügel und Döbel, die gemeinsam mit fünf Kollegen wochen-, sonn- und feiertags rund um die Uhr Schichten schrubben, können sich ein Schmunzeln nicht verkneifen: Sie glauben nicht an das jähe Ende der guten alten Schreibmaschine.

Der Grund ist naheliegend: Die Männer vom Revier, unter ihnen auch vier Frauen, teilen sich nicht nur drei Funkwagen, sondern auch eine begrenzte Zahl Computer-Arbeitsplätze.

Wenn die besetzt sind und dringende Protokolle keinen Aufschub dulden, dann, so der logische Gedanke, könnte wieder die Stunde der Schreibmaschine schlagen. Zum Protokoll- oder Aussage-Tippen scheinen die drei elektronischen "Olympia"-Maschinen immer noch sehr gut geeignet. Rein äußerlich sehen sie ohnehin wie halbe Computer aus.

Nur eine blau-weiße DDR-"Olympia" mit breitem Wagen und schwerem mechanischem Anschlag, die irgendwie die Büro-Elektrifizierung bei der Polizei überlebt hat, steht quasi museumsreif hinter einer Bürotür. "Wer auf der noch schreibt, ist selber schuld", meint Kommissar Flügel.

Irgendwann, beschreiben die Polizisten, sollen Staatsanwaltschaft oder auch Landeskriminalamt direkt auf die Daten in den Bernburger Revier-Rechnern Zugriff haben. Das verkürze Zeiten und Wege, vermeide Missverständnisse und schränke den Papierkrieg ein.

Doch ganz so weit ist es derzeit noch nicht. Um die frühe Nachmittagsstunde herrscht geradezu Ruhe im Revier. Die Schreibmaschinendeckel sind zugeklappt. Im Schrank mit den vielen Formularen, die vor dem Einzug der Computer als unverzichtbar galten, gähnen und faulenzen die bunt bedruckten amtlichen Papiere.

Im Besucherzimmer, vor den großen Glasscheiben, hinter denen der Einsatzführer an seinem Pult sitzt, sprechen zwei Frauen, Mutter und Tochter, lautstark miteinander. Irgendwer aus der Verwandschaft hat zuviel Alkohol gekippt und danach Ohrfeigen verteilt. Hinter ihnen sitzt schüchtern ein junger Mann und liest einen Zettel. Dann kommt ein Arbeiter im Blaumann und lässt sich den Passierschein für die Handwerker im Gebäude verlängern.

An der Wand wird steckbrieflich nach Terroristen, einem vermissten Jungen und einem verschwundenen Geschäftsmann gesucht. Die Revierleute haben außerdem versucht, dass Besucherzimmer mit Kinderzeichnungen freundlich zu gestalten. Gleich neben ihnen hängen Fotos von Unfällen mit schlimmem Ausgang. Tür und Fenster des öffentlichen Revierraumes stehen weit offen. Der Durchzug ist angenehm.