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Mittelmeer-Gefühle und Lokalkolorit

12.09.2005, 16:45

Dessau/MZ/kil. - Für die Mittelmeer-Gefühle war Mendelssohns "italienische" Sinfonie zuständig, zuvor musste eine antike Königstochter in Georg Anton Bendas klassischem Melodram "Ariadne auf Naxos" (1775) zu Tode stürzen. Der Beginn aber war hausgemacht und aller Aufmerksamkeit wert. Denn 228 Jahre zu spät wurde Friedrich Wilhelm Rusts Prolog (1777) zu eben jener "Ariadne" von Benda uraufgeführt.

Dessauer Lichtgestalt

Rust gilt als erste Lichtgestalt der lange Zeit wenig bedeutsamen Dessauer Musikpflege. Er wurde 1739 in Wörlitz geboren, lernte bei berühmten Zeitgenossen, begleitete Fürst Franz 1765 auf eine Italienreise, trat 1766 in dessen Dienste und wurde 1775 Fürstlicher Musikdirektor. Den Ariadne-Prolog schrieb Rust für einen Besuch des Prinzen Heinrich von Preußen, der jedoch erkrankt die Visite absagte und somit den vor Lob triefenden, ihm auf den Leib geschriebenen Prolog in die Schublade verbannte. Das dreisätzige Stück, auf das Bendas "Ariadne" unmittelbar folgen sollte, hebt Prinz Heinrich als wahren Helden gegenüber dem Athenerkönig Theseus hervor, der Ariadne auf einer einsamen Insel sitzen lässt, wonach die Verzweifelte sich von den Klippen wirft. "Dich bessren Helden zu belohnen, erschallt das Lied der Musen schon. Es tönt das Lied dankbarer Nationen: In unsern Herzen steht dein Thron." Dies sang der von Helmut Sonne einstudierte Opernchor.

Dieser "Stoff" bot Rust wenig musikdramatischen Spielraum - auch deshalb verzichtete er wohl auf eine emotionsgeladene Musik, wie sie Bendas Melodram auszeichnet. Der Prolog ist eingängig und lieblich, er pendelt zwischen Hirtenstimmung und höfischer Repräsentation. Die kleinteiligen Melodien sind typisch für die Zeit, aber nur bedingt auch zeitlos schön. Doch Rust kann mehr, wie seine Klaviersonaten beweisen. Es steht zu hoffen, dass man von ihm noch mehr hören wird im Rahmen der Kooperation zwischen Anhaltischem Theater und der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz.

Einzigartiges Werk

Die Anhaltische Philharmonie versagte leider dem Rust-Prolog ein größeres Engagement, erhöhte ihren Einsatz aber merklich in Bendas "Ariadne": ein einzigartiges Werk, das der seltenen Gattung des Melodrams angehört, in welcher die Handlung deklamiert wird und die Musik das Geschehen umrahmt, kommentiert, begleitet.

Jörg Zuch gab einen pathetisch von sich eingenommenen Theseus, während Kristine Walther ihre Ariadne konsequent zum Wahnsinn führte. Zarte Bläserkantilenen trösteten und wichen urplötzlich peitschenden Gewittern - ein Wechselbad, in das Golo Berg und sein Orchester sich lustvoll warfen.

Treibjagd mit Disziplin

Das galt noch mehr für Mendelssohns vierte Sinfonie, die "Italienische", deren ersten Satz Berg in einem Höllentempo nahm und damit mehr das Bild einer Treibjagd als das einer ausgelassenen Feier zeichnete. Bemerkenswert, wie diszipliniert die Philharmonie auf diese Vorgabe reagierte.

Auch dem zweiten Satz hätte - obwohl Trauermarsch - die Entspanntheit gut getan, die dann (trotz schnellen Tempos) den herrlichen dritten Satz prägte. Höhepunkt vielleicht des Konzerts, sicher aber der Sinfonie, war der Schlussabschnitt: ein italienischer Springtanz in Moll, in dem Golo Berg Mendelssohns Lavastrom geschickt in geordnete Bahnen lenkte, ohne ihn dabei abzukühlen.