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Mit «Passierschein» geht's auf West-Reise

Von Grit Lichtblau 12.11.2004, 20:49

Steckby/MZ. - Peter Ibes Nächte waren in den letzten Wochen kurz und vor allem schlaflos. Schuld daran ist der Castor fiber albicus, besser bekannt als Elbebiber. Peter Ibe ist der Bibermann beim Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe.

Alljährlich legt er sich mit Kollegen Nacht für Nacht auf die Lauer um die Nager einzufangen. 25 Tiere sind ihm in diesem Jahr ins Netz gegangen. Dabei achtet der Umweltfreund Ibe stets darauf, komplette Familien zusammenzubekommen, um diese dann in biberlose Regionen weggeben zu können. Zehn Biber sind bereits in Holland, am Freitag wurden die nächsten zwölf auf die Reise geschickt. Zielort diesmal: der Niederrhein.

Mit Fangnetzen wurden die Tiere zunächst aus den Käfigen in Steckby geholt, dann wurde es für einen kurzen Moment schmerzhaft. Alle Biber bekamen drei Zahlen eintätowiert. "Das ist ihr Passierschein für den Westen" scherzte Ibe, während er gleich darauf unter das Fell des Tieres griff, um zu erkennen, ob es ein Männchen oder Weibchen ist. "Das ist ein Männchen", kommt kurz darauf die Diagnose, und mit 20 Kilogramm ist es sogar ein recht stattliches Exemplar seiner Gattung. Vom Fangnetz ging es dann direkt in große Kisten. Klar sei das ein bisschen Stress für Tiere, erklärte Ibe, aber das könnten sie vertragen.

Zwei Familien und ein Einzeltier gingen auf die Reise Richtung Westen. Gefangen hat er sie im Landkreis Anhalt Zerbst, in Bitterfeld und in Wittenberg. Diese Entfernungen habe man bewusst gewählt, um verwandtschaftliche Beziehungen auszuschließen. Dass man sich ausgerechnet den Spätherbst für den Umzug von Ost nach West ausgewählt habe, sei in der Tatsache begründet, das die Jungtiere inzwischen groß genug seien, um einen solchen Transport mühelos zu überstehen. Immerhin dauerte die Reise am Freitag rund acht Stunden.

Initiator der Aktion war der Verein "Lebendiger Niederrhein", dessen Vorsitzender Dr. Rolf Bräsecke selbst nach Steckby gekommen war, um die Verladung zu beobachten. Und er ließ keinen Zweifel daran, dass es den Tieren auch in ihrer neuen Heimat gut gehen wird. Die Bislich-Insel im Landkreis Wesel sei ein Naturschutzgebiet, durch das ein Altrheinarm fließe. Hier würden die Biber ideale Bedingungen vorfinden. Und sie seien in guter Gesellschaft, denn in der Umgebung gebe es rund 200 000 Wildgänse. Und natürlich wachen die Naturfreunde mit Argusaugen darüber, das den braunen Nagern mit dem platten Schwanz nicht das gleiche geschieht, wie den Artgenossen vor über 100 Jahren. "1887 wurde bei Duisburg der letzte Biber erschlagen", erzählte Rolf Bräsecke, während er auf den Auslöser seines Fotoapparates drückte.

Nach zwei Stunden Biber wiegen, tätowieren und in Kisten verpacken, war alles vorbei, Peter Ibe und seine Helfer durchgefroren, aber glücklich. Obwohl der schwarzhaarige Ibe zugab, dass er ein lachendes und ein weinendes Auge habe, wenn die Tiere jetzt ihre Heimat in Sachsen-Anhalt verlassen. Doch ihr neues Zuhause ist nicht minder interessant, zumal den Tieren schon ein großes Stück Arbeit abgenommen wurde, indem man bereits künstliche Biberburgen angelegt hat. Und wenn die Tiere sich richtig wohl fühlen, dann tun sie sicher auch das, was alle Umweltfreunde nun hoffen: sich fortpflanzen.