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Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg: Aufnahmen zeigen alte Kunstschätze aus Dessau

Von Ehrhard Finger 07.10.2014, 07:04
Ein Deckenbild aus dem Alten Theater in der Kavalierstraße, das 1944 und 1945 zerstört wurde: Es ist aus dem Zyklus „Die Entwicklung von Musik und Tanz“ von Franz Schubert.
Ein Deckenbild aus dem Alten Theater in der Kavalierstraße, das 1944 und 1945 zerstört wurde: Es ist aus dem Zyklus „Die Entwicklung von Musik und Tanz“ von Franz Schubert. COPYRIGHT ZENTRALINSTITUT FÜR KUNSTGESCHICHTE FOTOTHEK Lizenz

Dessau - 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind verlorene Dessauer Kunstschätze wieder aufgetaucht - auf Fotos, die 1943 Ergebnis einer einzigartigen Fotokampagne waren, die von den Nationalsozialisten selbst gestartet wurde, um unbewegliche Kunstgüter wenigstens zu dokumentieren.

In zwei Jahren sind damals 40 000 Farb-Dia-Aufnahmen von 480 kulturhistorisch wertvollen Bauwerken entstanden, die nach dem Krieg verstreut an verschiedenen Standorten in Deutschland, aber auch in der National Gallery in Washington gelagert wurden. Die Bilder sind heute oft die einzigen Erinnerungen an die im Krieg versunkene Pracht.

Die Filmfabrik Wolfen gehörte seit ihrer Gründung im Jahr 1909 zur Aktien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation (Agfa) und war ab 1925 Teil der I.G. Farben. 1936 stellte die Filmfabrik Wolfen den ersten praktikablen Mehrschichtenfarbfilm der Welt, den Agfacolor Neu, her, für dessen Entwicklung Gustav Wilmanns, Wilhelm Schneider und John Eggert verantwortlich zeichneten. Zu DDR-Zeiten hatte die Filmfabrik Wolfen mit der Marke Orwo, eingeführt 1964, das Monopol auf die Filmherstellung in der DDR.

Archivierung als Kulturgut

1956 hatte das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München den Auftrag erhalten, die Kleinbild-Diapositive zu einer Sammlung zusammenzuführen und als Kulturgut zu archivieren. Die 40 000 Dias wurden mit spezieller Scan-Technik digitalisiert und über das Internet Jedermann zugänglich gemacht. Unter der Internet-Adresse www.zi.fotothek.org sind diese zu finden. Aus Dessau zeigen Fotos das Herzogliche Schloss, das alte Theater, das Palais Reina und das Schloss Luisium, dazu gibt es Fotos aus der Parkstadt Wörlitz und aus dem Zerbster Schloss.

Die Geschichte der Bilder ist besonders. Die Foto-Aktion hatte mit einem Brief des Propagandaministeriums vom 6. April 1943 begonnen. „Der Führer wünscht, daß ... im Hinblick auf die durch feindliche Luftangriffe hervorgerufenen Zerstörungen ... von wertvollen Deckengemälden Farbfotos angefertigt werden.“ Adolf Hitler hatte sich einen Tag zuvor in Linz aufgehalten und Kulturstätten besichtigt. Möglicherweise wurde dort über die Gefährdung nicht einlagerbarer Kunstwerke gesprochen.

Entscheidung für Agfacolor

Wenige Wochen nach Erteilung des „Führerauftrages“ wurden die ersten Probeaufnahmen gemacht und dem Propagandaministerium 100 Kleinbild-Dias übergeben, gefertigt auf Wolfener Agfacolor Kunstlichtfilm und nach dem Duxochrom-Verfahren der Bremer Fa. Herzog. Aus Kostengründen entschied man sich, die Aktion mit Agfacolor anzugehen. Die profiliertesten deutschen Fotografen - etwa 50 - wurden mit der Aufgabe betraut.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie viel die Aktion gekostet hat und wo die Original-Farbdias heute lagern.

Im Sommer 1943 lief die Kampagne an. Lieferengpässe und Qualitätsmängel führten aber schnell zu Problemen, die zunehmend größer wurden, je länger der Krieg dauerte. In einer Beratung am 17. Dezember 1943 im Reichspropagandaministerium wurden die Probleme besprochen und die Filmfabrik mit der Bereitstellung von 3 500 Filmen pro Monat beauftragt. Die Entwicklung der Filme sollte ausschließlich in Wolfen und der Agfa Entwicklungsanstalt in Berlin erfolgen. Am 29. Januar 1944 wurde die Entwicklungsanstalt in Berlin bei einem Bombenangriff aber schwer beschädigt, weshalb ein Teil der Filme nunmehr im Studio Prag entwickelt werden musste. In den Kriegswirren war das eine logistische Herausforderung.

Aber auch die Fotografen vor Ort hatten mit enormen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Aufnahmen hatten ausschließlich mit Kunstlicht zu erfolgen. Wegen der zunehmenden Stromsperren und Bombenalarmen mussten die Aufnahmen immer öfter unterbrochen werden. Und es gab auch Bombenopfer. Bei Aufnahmen in Fulda kam die Fotografin von Löwenstein durch Tieffliegerbeschuss ums Leben. Dazu kam: Zur optimalen Positionierung der Lampen, Fototechnik und Fotografen für die bis zu zwölf Meter hohen Deckengemälde in Kirchen mussten oft gewagte Konstruktionen aufgebaut werden.

Aktion sorgt für hohe Kosten

Bis Februar 1945 entstanden Kosten von 1,5 Millionen Reichsmark. Noch im selben Monat hatte das Propagandaministerium weitere 350 000 Reichsmark erhalten, obwohl wegen der Bombenangriffe und der herannahenden Front der Abbruch des Vorhabens drohte.

Am 5. März forderte das Propagandaministerium von der Filmfabrik weitere Filme an. Doch da hatte das Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion offenbar bereits größeren Einfluss auf die Produktion der Filmfabrik. Am 26. März 1945 wurde der Filmfabrik im „Fertigungsbescheid Nr.1“ mitgeteilt, dass nur noch kriegswichtige Materialien wie Flieger- und Röntgenfilme sowie Klarsichtscheiben für Gasmasken hergestellt werden dürfen. Der Agfacolor-Kunstlichtfilm war nicht mehr im Produktionsprogramm.

Mit dem Einmarsch der Alliierten kam das Projekt zum Erliegen. Schließlich wurde lediglich in 480 Gebäuden und nicht - wie zum Start der Kampagne vorgesehen, in 1200 Objekten fotografiert. Die meisten Aufnahmen entstanden mit 3 568 Aufnahmen in 18 Gebäuden übrigens in Wien, gefolgt von Berlin/Potsdam mit 1 914 Aufnahmen in elf Objekten.

100 Aufnahmen aus Dessau

In den vier Dessauer Objekten wurden 100 Aufnahmen gemacht, 40 im Luisium, 14 im Palais Reina, der ehemaligen Gemäldegalerie in der Kavalierstraße. Insbesondere die von Carlo Ignazio entworfene Wanddekoration eines römischen Triumphzuges gibt einen Eindruck vom Mitte des 18. Jahrhunderts erbauten Schloss. Für den Betrachter überwältigend ist das Deckenbild „Triumph des Herkules“ aus dem Obergeschoss. Auch die 24 Bilder aus dem ehemaligen Herzoglichen Schloss sind besondere Dokumente. Insbesondere das Kabinett Sanssouci, eine Kopie des Originals aus Potsdam, hatte es den Fotografen angetan.

Die Original-Farbdias lagern im Zentralinstitut für Kunstgeschichte München und im Bildarchiv Foto Marburg. Die Qualität, insbesondere die Farbstabilität der Dias, von denen einige Doppelexemplare im Industrie- und Filmmuseum Wolfen aufbewahrt werden, sind die einzigen originalgetreuen Farbaufnahmen der im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges versunkenen Decken- und Wandmalereien wie aus dem Palais Reina und dem Herzoglichen Schloss in Dessau - und machen sie deshalb so wertvoll. (mz)

Unter solchen Bedingungen entstanden im Krieg die Fotos.
Unter solchen Bedingungen entstanden im Krieg die Fotos.
COPYRIGHT ZENTRALINSTITUT FÜR KUNSTGESCHICHTE FOTOTHEK Lizenz
„Der Triumph des Herkules“ ist dieses Gemälde aus dem Großen Saal des Palais Reina in der Dessauer Kavalierstraße überschrieben. Es wurde im Krieg zerstört, kurz zuvor aber fotografisch dokumentiert.
„Der Triumph des Herkules“ ist dieses Gemälde aus dem Großen Saal des Palais Reina in der Dessauer Kavalierstraße überschrieben. Es wurde im Krieg zerstört, kurz zuvor aber fotografisch dokumentiert.
COPYRIGHT ZENTRALINSTITUT FÜR KUNSTGESCHICHTE FOTOTHEK Lizenz