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Reaktionen auf «Erfurt» Reaktionen auf «Erfurt»: Wie nahe geht Bluttat den Wittenbergern?

Von Patricia Kania und Ute Otto 29.04.2002, 15:05

Wittenberg/MZ. - Wie tief sitzt die Erschütterung bei den Jugendlichen wirklich? "Mich hat das Ganze schon ziemlich mitgenommen, es hätte genauso gut auch an unserer Schule passieren können", sagt die 15-jährige Stefanie. Die Beweggründe des Täters kann sie nicht verstehen. "Hass gegen Lehrer kann doch kein Grund sein, um Unschuldige zu erschießen, das ist einfach nur verrückt", schüttelt Stefanie verständnislos den Kopf. Empört war sie über einige Klassenkameraden, "die sich während der Schweigeminute lieber mit ihren Fingernägeln und Handys beschäftigten".

Tatsächlich verhehlen manche ihre Gleichgültigkeit nicht. "Ich hab mich mit dem Thema eigentlich noch nicht so beschäftigt", gibt Silvana zu und Christian ist das "alles ziemlich egal". Er habe keinen Bezug zu den Ereignissen, sagt der 16-Jährige, die Erfurter Schüler seien Fremde für ihn. "Deshalb fand ich auch die Schweigeminute ziemlich überflüssig", sagt er.

Ob gewaltverherrlichende Computerspiele die Auslöser eines solchen Amoklaufs darstellen können, diese Frage beschäftigt die Sekundarschüler schon. Für die 16-jährige Silvana eine durchaus plausible Erklärung. "Er hat sich dadurch sicher erst richtig reingesteigert", vermutet die Schülerin. Michael sieht das anders: "Wenn nur aggressive Computerspiele der Grund gewesen sein sollen, dann müssten viele meiner Freunde ja auch zu Attentätern werden."

Die Schüler reagieren sehr unterschiedlich, weiß Direktorin Ines Petermann. "Die einen verdrängen, die anderen versuchen durch die bloße Auseinandersetzung mit Begriffen - war es nun Mord oder Massenmord - ihre Einstellung dazu zu finden." So unbegreiflich ihr selbst auch sei, "wie ein junger Mensch derartig reagieren kann", den Begriff "Amoklauf" sieht die Pädagogin hier falsch eingesetzt. Verkehrt sei es auch, die Schuld bei Einzelnen zu suchen: Schuld seien nicht die Schulen, nicht die Eltern, sondern das System, "das Gewalt nicht konsequent ächtet". So lange immer noch jemand an Gewalt verdient, denkt Frau Petermann, "ist es schwer, dagegen anzugehen." Der Fortgang der Dinge nach dieser Katastrophe ist es, was die Sekundarschulleiterin persönlich beschäftigt. "Ich stelle mir das schlimm vor, für die Kollegen und die Kinder gleichermaßen."

"Durchgerüttelt und durchgeschüttelt" von den Ereignissen in Erfurt fühlt sich auch Karin Palme. "Mein Sohn und viele in meiner Familie sind Lehrer", begründet die Wittenbergerin ihre Betroffenheit. Dass "trotz der fürchterlichen Tat" am Samstag in der Lutherstadt die Kneipenmusiknacht gefeiert wurde, habe sie neuerlich erschüttert. "Das ist einfach taktlos", meint Karin Palme am Telefon.