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Lesung mit Paul Werner Wagner Lesung mit Paul Werner Wagner: Bewegende Stunden Unterricht in Deutsch

Von Dennis Lotzmann 18.12.2001, 18:40

Bitterfeld/MZ. - Der Blick ins Leben des jungen und tatendurstigen Wolfeners, der sich einerseits umfangreichere Gedanken um die DDR machte als viele Mitschüler, den andererseits aber auch noch die Naivität eines 19-jährigen Schülers kennzeichnete, ist 180 Seiten stark: Autor Paul Werner Wagner stellte unter dem Titel "Rebellion gegen die Enge" den 14. Band der Reihe "Betroffene erinnern sich" vor, den die Landesbeauftragte für Stasiunterlagen, Edda Ahrberg, heraus gibt.

Für die sichtlich interessierten Schüler der 13. Klasse waren das gut zwei Stunden Deutschunterricht mit spannendem historischen Anstrich. Schließlich kennen die Gymnasiasten das, was Wagner da hervor kramte, bestenfalls vom Hörensagen: Mauertote, der Versuch des ideologischen Gleichschaltens auf die Linie der SED, das Gefangensein im Käfig DDR. Vieles hatte Wagner damals als Schüler erlebt und verabscheut.

Deshalb nutzte er zusammen mit zwei Freunden in den 60-er Jahren den Ausbildungsteil in der LPG Löberitz, um die Vision einer eigenen Partei der Wirklichkeit näher zu bringen. Doch übers Programm sei die "Progressive Deutsche Freiheitspartei" nie hinaus gekommen, schmunzelte Wagner gestern. Doch wegen jenes Programms sollte dem heutigen Historiker vor über drei Jahrzehnten das Lachen noch vergehen. . .

Denn auch Wagners Eintritt in die SED, um von innen heraus den Staat zu verändern, endete im Fiasko. Kaum Mitglied, habe der Parteisekretär versucht, die jungen Genossen zu missbrauchen, um kritische Genossen und nicht linientreue Lehrer zu bespitzeln, berichtet Wagner im Buch. Das Werben als Denunziant und der Wehrdienst ließen in Wagner Fluchtgedanken reifen. Über die Tschechoslowakei und Ungarn wollte der 19-jährige nach Österreich fliehen - Wien hieß das Ziel seiner Träume.

Fast logisch, dass die schlecht geplante Flucht misslang und Wagner "dank" eines aufmerksamen tschechischen Försters gefasst wurde. Dass es eine ziemlich naiv geplante Flucht war, wie eine Schülerin später fragend meinte, konnte Wagner nur nickend bestätigen. Der Rest ist denn auch schnell erzählt: Erst tschechische Staatssicherheit, dann die deutschen Kollegen im berüchtigten Roten Ochsen in Halle, später das Kreisgericht Bitterfeld, das 18 Monate Haft verhängte. Jenes Statut der Progressiven Freiheitspartei, das zwischendurch gefunden worden war, hat das Urteil wohl verschärft.

Dabei war Wagner zunächst selbst drauf und dran gewesen, sich um Kopf und Kragen zu reden, wie er sich gestern an die Verhöre des jungen, aber gut geschulten Stasi-Vernehmers erinnerte. "Ich war naiv und fürchterlich fahrlässig, meine Meinung zu sagen." Wohl nur der Rat seines Anwaltes, Reue zu zeigen, bewahrte Wagner vor mehrjähriger Haft. So war er nach 17 Monaten wieder frei, nach weiteren sieben Jahren "Bewährung" als Produktionsarbeiter in der Filmfabrik kam er der Freiheit etwas näher: "1978 wechselte ich nach Berlin in den Kulturbereich." Dort sei im Vergleich zum DDR-Bezirk Halle alles offener und freier gewesen. "Die Berliner", so der Wahlberliner, "haben sich nicht alles gefallen lassen, die haben schon mal die Meinung gesagt."

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