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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Mit Gästen im Gespräch, die Zeitgeschichte schrieben

Von ULF ROSTALSKY 08.11.2010, 16:53

SCHWEMSAL/MZ. - Neugier. Für den Bad Dübener Erhard Rutz ist das ein Lebenselixier. Doch der 74-jährige Literaturwissenschaftler ist nicht der Mann, der Schlagzeilen liebt. Auch aufdringlich empfindet er seine Neugier nicht, für ihn ist sie eine eher produktive Kraft.

Ihn interessieren die Menschen hinter den Geschichten und Büchern. Mit denen möchte er ins Gespräch kommen, sie vorstellen, ihre Meinungen und Ideen hinterfragen. Erhard Rutz hat deshalb die Gesprächsreihe "Lebenswege" initiiert. Er ist ihr Motor, sieht sich jedoch nicht als ihre alleinige Triebkraft. "Wir brauchen ein gutes Buch und Menschen, die Zeitgeschichte geschrieben haben, sich dazu äußerten und ein Talent dafür haben, Zuhörer zu begeistern", sagt er.

Das Rezept aus Rutzscher Feder kommt an. "Weil die meisten Besucher der Veranstaltungen in der Regel einen langen Arbeitstag hinter sich haben und bei den ,Lebenswegen' eine interessante und kurzweilige Zeit verbringen wollen", meint er. Das hat nichts mit Oberflächlichkeit und schon gar nicht mit seichter Unterhaltung zu tun. Seit zehn Jahren - so lange gibt es die Reihe bereits - ist der habilitierte Literaturkenner bemüht, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, zu hinterfragen ohne bloßzustellen. "Das braucht viel Vorbereitung", sagt Rutz. Denn sein Gegenüber habe ein Recht darauf, dass der Gastgeber informiert ist.

Das schließe nicht allein die Kenntnis des Geschriebenen ein. "Man muss mit der Person schon etwas anfangen können." Erhard Rutz hat viele Prominente begrüßt in zehn Jahren "Lebenswege", mit denen er jetzt aus Bad Düben in die Schwemsaler Gutsscheune umgezogen ist. Er hat mit Friedrich Schorlemmer diskutiert, Peter Sodann hinterfragt, Michel Friedmann begrüßt. "Haben Sie Angst in Deutschland?" hat er den gefragt. Wohl wissend, dass die Frage provozieren musste angesichts der wachsamen Begleitung, mit der sich der streitbare Geist bei Auftritten umgibt. Man müsse immer wachsam sein in Deutschland, antwortete der Jude Friedmann, dessen hartnäckige Art zu fragen gleichermaßen das Publikum zu spalten und zu begeistern vermag. "Ich glaube, er hatte Tränen in den Augen, als er von seinem Sohn geredet hat", erinnert sich Erhard Rutz.

Es sind Momente wie diese, die ihm das Gefühl geben, sich gut eingestellt zu haben auf seinen Gesprächspartner. Er möchte mit ihnen reden, sie als ganz normale Menschen mit ganz normalen Gefühlen darstellen. Sie sollen als solche Personen erscheinen, mit denen nicht nur er gern redet. "Bei den ,Lebenswegen' sind die Gäste aufgefordert, Fragen zu stellen. Sie sollen aktiv teilhaben am Gespräch." Das ist der Punkt, wo sich Erhard Rutz unterscheidet von einer Person, die er besonders verehrt: Günter Gaus hat es dem Sachsen angetan. "Er war stets informiert, seine Gespräche tiefgründig", stellt Rutz fest. Er bewundert ihn dafür. Die Messlatte lag folglich hoch, als er Gaus begrüßen und zu seinen Lebenswegen befragen konnte. "Ich war nervös. Aber mein Gast hat mir ein Stück weit auch Halt gegeben", erinnert er sich an die damalige Situation.

Gespannt wartet Erhard Rutz jetzt auf neuen Besuch. Peter-Michael Diestel ist für den 18. November in die Gutsscheune eingeladen und soll "Aus dem Leben eines Taugenichts?" erzählen. "Es wird spannend", glaubt der Gastgeber. Denn Diestel sei eine Person der Zeitgeschichte, die wenige Monate lang als Innenminister der DDR Herr über Polizei, Geheimdienst und deren Erbe gewesen ist.

Aber die Person Peter-Michael Diestel erschöpfe sich nicht darin, da sei ja noch mehr. Rutz hat einmal mehr vor, den Menschen hinter den Schlagzeilen kennen zu lernen.