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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Eine Zeitreise ins hohe Lebensalter

Von ULF ROSTALSKY 02.09.2011, 17:57

WOLFEN/MZ. - Anke Braun und Michaela Wehrmann haben es schwer. Ihr Gang ist schleppend. Der Blick ist eingeschränkt. Die Finger haben Mühe, mit Feingefühl zu greifen. Beide Frauen hatten sich auf eine ungewöhnliche Zeitreise begeben und wollten spüren, wie es ist, alt zu sein.

Angst vorm Alter - die haben sie nicht. Von einer völlig ungewohnten Situation und ganz neuen Gefühlen sprechen sie jedoch. Anke Braun (47) und Michaela Wehrmann (29) waren Zuhörer einer weiteren Veranstaltung aus der Reihe "Patientenakademie", zu der das Gesundheitszentrum Bitterfeld / Wolfen in steter Regelmäßigkeit einlädt.

Nach Sorgen mit Arthrose und den Möglichkeiten der Hilfe mit implantierten künstlichen Gelenken rückte jetzt das Alter in den Mittelpunkt. "Ein ganz normaler Vorgang" ist das Altern für Krankenpflegedirektor Jörg Heinrich. Einer, der unmittelbar nach der Geburt beginnt. "Tja, wann ist ein Mensch alt", sinniert Heinrich. Er will keine Patenlösung präsentieren. Zumal vieles mit dem ganz persönlichen Empfinden zu tun habe. Man sei so alt, wie man sich fühlt, ist der Fachmann überzeugt. Er spricht zum Beispiel von den jungen Alten, die heute mit Erreichen des Rentenalters längst nicht zur Ruhe kommen würden. "Die kaufen noch ein neues Auto, sie treiben Sport, reisen", sagt er.

"Alt" gleichzusetzen mit "negativ" gilt nicht für Jörg Heinrich. Gerade weil mit einem Plus an Lebensjahren auch die Erfahrungen zunehmen. Freilich ändert sich der Mensch, so Heinrich. Falten werden sichtbar, körperliche Einschränkungen treten verstärkt auf. Aber sind die Alten nicht mehr leistungsfähig? Für Heinrich ist alles auch eine Frage der Einstellung. John Glenn flog mit 77 Jahren noch einmal in den Weltraum. "Schauspielerin Iris Berben ist über 50, erfolgreich und schön", führt er als weiteres Beispiel an.

Angst vorm Alter muss niemand haben. Das ist die Botschaft, die der Pflegedienstdirektor Jörg Heinrich, Geriatrie-Chefarzt Roberto Schnabel und Ines Stoye-Angerstein, die Heimleiterin im Wolfener Belcanto-Haus, verkünden. "Aber einstellen muss man sich darauf. Der Geldautomat wäre für mich jetzt ganz sicher eine Herausforderung", meint Anke Braun, die die Last der Jahre im Simulationsanzug spürt und über fehlendes Fingerspitzengefühl klagt. "Man wird nach unten gezogen, laufen und stehen fallen einfach schwer", hat Michaela Wehrmann erkannt.

Die Erzieherin ist Tag für Tag von Kindern umgeben. Jetzt wollte sie das Alter spüren. Viele Situationen werden nicht einfacher mit einem deutlichen Zuwachs an Lebensjahren. "Man kann sie aber trainieren", sagen die Physiotherapeuten Clivia Gundelwein und Jana Brämer. Sie haben einen Parcours aufgebaut, der Herausforderung und Übungsstrecke in einem ist. Auf instabilem Untergrund zu stehen und das Gleichgewicht zu halten, wird trainiert.

Das Überwinden von Barrieren wie das Erkennen verschieden hoher Hindernisse rückt in den Blick. "Wir sind am Anfang und Ende unseres Lebens auf Hilfe angewiesen", erklärt Ines Stoye-Angerstein. Doch betont sie auch, dass Alter und Krankheit nicht zwangsläufig zusammengehören: "Jeder dritte alte Mensch hat keine Erkrankungen." Allerdings steigt auch die Zahl der Pflegebedürftigen stetig an. Das ist kein Widerspruch für Jörg Heinrich. "Die Menschen werden immer älter", sagt er. Einen Makel sieht er darin nicht und bringt eine Grundhaltung des fernöstlichen Lebenskreises ins Spiel: Dort ist Alter ein Grad von Reife und Erfahrung, wird geschätzt und nicht verteufelt.