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Glückwunsch an den "Führer"

Von Heiko Wigrim und Alexander Schierholz 25.04.2012, 18:25

Bernburg/MZ. - Am 20. April 1935 feierte "Der Mitteldeutsche" wie alle anderen Zeitungen im Reich auch den "Führer": "Befreier der Nation" lautete die Schlagzeile auf der Titelseite, darunter ein großformatiges Foto von Adolf Hitler. Wer den Propagandatext aus dem damaligen NS-Hetzblatt lesen wollte, brauchte dieser Tage nur auf das Internet-Portal "BBG Live" zu klicken. "Das neue Stadtmagazin im Salzlandkreis" (Eigenwerbung) veröffentlichte mehrere Ausgaben und Artikel aus der Zeitung. Unkommentiert.

"Das Stadtarchiv hat geschlafen"

Auf Druck der Stadtverwaltung sind die Einträge zwar mittlerweile verschwunden, doch die Empörung in Bernburg bleibt.

Mit Geschichtsaufarbeitung habe eine bloße Darstellung der Zeitungen nichts zu tun, schimpft die Leiterin der Bernburger Euthanasie-Gedenkstätte, Uta Hofmann. "Hier hat eindeutig das Stadtarchiv geschlafen." Offensichtlich gebe es in Bernburg Lücken in der Benutzerordnung, wenn solche brisanten Materialien einfach zur kommentarlosen Veröffentlichung herausgegeben würden. Auch das Innenministerium, von der MZ mit dem Fall konfrontiert, reagiert mit Kritik. "Größere Sensibilität wäre wünschenswert gewesen", so eine Sprecherin.

Das Archiv hatte dem Betreiber des Portals, Lutz Altrock, die NS-Blätter in digitalisierter Form zur Verfügung gestellt, will ihn aber auf den problematischen Inhalt hingewiesen haben. Die Stadt habe deshalb nicht annehmen können, dass Altrock die Ausgaben unkommentiert veröffentlichen würde, sagt Stadtsprecher Wolfgang Knopf. Als man von den Einträgen erfahren habe, habe man Altrock sofort aufgefordert, diese zu löschen. Bernburgs Oberbürgermeister Henry Schütze (parteilos) hat nun angeordnet, die Benutzerordnung des Stadtarchivs zu überarbeiten.

Ein Einzelfall? "Mir ist nichts dergleichen bekannt", sagt der Medienwissenschaftler Florian Hartling von der Halleschen Europäischen Journalistenschule für Multimediale Autorschaft / Alfred Neven DuMont (Halesma / A.N.D.). "Ich will aber nicht ausschließen, dass der eine oder andere Betreiber eines regionalen Portals das auch macht" - offenbar in der Meinung, das seien historische Dokumente, die könne man einfach so ins Netz stellen. Ein Trugschluss. "Alles, was rassistisch oder volksverhetzend ist, ist strafbar", sagt Hartling, "und die Verwendung entsprechender Symbole sowieso." Einzelheiten regeln die Paragrafen 86 und 86a im Strafgesetzbuch.

Anders sieht es aus, wenn entsprechende Texte kommentiert und eingeordnet werden - was in Bernburg aber unterblieb. "Auch Zitieren ist möglich", sagt der Medienexperte, "aber das Zitat muss in einen erläuternden Text eingebettet sein." Der Bernburger Portal-Betreiber Lutz Altrock führt seinerseits die Universität in Frankfurt (Main) als Kronzeugin an: "Dort kann man Zeitungen aus der NS-Zeit ohne weitere Probleme anschauen, kopieren und herunterladen." Ein Argument, das Hartling nicht gelten lässt: "Da greift ein Stück weit das Wissenschaftsprivileg." Sprich: Für Zwecke der Forschung und Lehre ist eine Verbreitung nationalsozialistischer Inhalte nicht strafbar.

Auf Distanz zur Nazizeit

Altrock kann die Aufregung nicht nachvollziehen. Er beruft sich darauf, dass für die von ihm verwendeten Blätter das Urheberrecht ausgelaufen sei. "Also darf ich sie auch öffentlich machen." Mit rechtsextremen Einstellungen will Altrock nichts zu tun haben: "Ich distanziere mich klar von der NS-Zeit und ihrem Gedankengut, ebenso von den Inhalten der Zeitungen aus dieser Zeit", sagt er. Die Veröffentlichungen hätten nur das Ziel verfolgt, über die Geschichte der Stadt zu informieren. "Ich bin der Meinung, dass jeder halbwegs gebildete Nutzer diese Zeitungen richtig einordnen kann." Geschichtsaufarbeitung laufe heute schließlich nicht mehr nur über die Volkshochschule. "In Zeiten der neuen Medien greifen besonders junge Leute auf das Internet zu." Und können dort auf Jubelartikel über Adolf Hitler stoßen.