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Seltenes Handwerk Seltenes Handwerk: Landeshaushalt wird in Quedlinburg geschnürt

Von Hendrik Kranert 18.02.2004, 17:41

Quedlinburg/MZ. - Es war 1974, als die heute 49-Jährige aus der Not eine Tugend machte: Weil die Post keinen Krippenplatz für die junge Mutter hatte, sattelte sie per Erwachsenenqualifizierung um und wurde Buchbinderin. Fortan arbeitete sie im damaligen Institut für Züchtungsforschung in der Kreisstadt und band Diplomarbeiten und Fachzeitschriften. "Manchmal auch etwas für einen privaten Kunden", erzählt Renate Liebau. Doch 1992 entließ das Institut seine Handwerker. "Da blieb uns nichts weiter übrig, als in kalte Wasser zu springen." 1993 gründete sie mit einem Kollegen zusammen die kleine Buchbinderei, die versteckt auf einem Hinterhof der Stresemannstraße liegt. Als ihr Kollege 1995 starb, führte Renate Liebau das Geschäft allein weiter.

"Für einen zweiten Mitarbeiter reicht es auch nicht", erklärt sie. Zumal auch ihr die schlechte Zahlungsmoral zu schaffen macht. Nur ab und an geht ihr Mann ihr mit zur Hand. Dabei hatte der kleine Betrieb kaum mit zu wenig Aufträgen zu kämpfen: "Durch das Institut hatte ich Kontakte knüpfen können." Die kamen Renate Liebau in der Selbständigkeit zugute.

Großkunden gibt es zwar nicht, doch etliche kleinere Stammkunden, wie das Quedlinburger Druckhaus beispielsweise. Aber auch in Magdeburg ist die Buchbinderei Teil des politischen Alltags: Der Landeshaushalt wird erst in Quedlinburg endgültig geschnürt, verleimt und zwischen solide Deckel gesteckt. Zudem gehören, neben den Kirchgemeinden, vor allem Notare und Rechtsanwälte sowie das Finanzamt zu ihrem Kundenstamm, die Gesetzestexte und Fachliteratur bei ihre binden lassen. Private Aufträge sind eher seltener: "Die Leute haben kein Geld, alte Bücher bei mir reparieren zu lassen", erklärt die Fachfrau.

Ab und an bekommt sie dann aber doch auch den einen oder anderen wertvollen Folianten auf den Tisch. Wie beispielsweise ein Kaiserliches Kochbuch aus dem 18. Jahrhundert. Das hatte die Kundin, eine ältere Dame, geerbt. "Da konnten wir allerdings zunächst nicht helfen, weil das Papier schon gebrochen war", erinnert sich Renate Liebau. Doch einen Tipp hatte die Werkstatt parat: Die losen Blätter in Plastikfolie einschweißen. Die wiederum konnten später gebunden werden. "Da habe ich extra einen Buchdeckel mit Kochlöffel drauf entworfen", sagt Renate Liebau. Und der Buchbesitzerin so eine riesige Freude gemacht.