1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Kulturinsel Halle: Kulturinsel Halle: Kinderschreck und Seemannsgarn

Kulturinsel Halle Kulturinsel Halle: Kinderschreck und Seemannsgarn

Von Andreas Hillger 01.06.2008, 18:30

Halle/MZ. - Das kommt davon, wenn man vor dem Einschlafen in Doktor Heinrich Hoffmanns "Struwwelpeter" liest.

Tiger-Lillies-Musik

Die Junk-Opera "Shockheaded Peter", die Phelim McDermott und Julian Crouch aus diesem Klassiker des moralisch motivierten Kinderschrecks entwickelt haben, ist eine echte Herausforderung. Einerseits treibt die - von den für morbide Späße bekannten Tiger Lillies komponierte - Musik die Geschichten vom Suppenkasper und vom Feuerteufelchen Pauline, vom Fliegenden Robert und vom Hanns Guck-in-die-Luft vorsätzlich weiter in die makabre Moritat. Andererseits aber gibt die Rahmenhandlung Rätsel auf, die jeder Regisseur neu beantworten muss. Um so erfreulicher ist die Lesart, die Intendant Christoph Werner im Hof der Kulturinsel Halle nach kurzfristiger Übernahme dieser Sommertheater-Inszenierung gefunden hat.

Er holt die Geschichten einerseits in die Gegenwart eines unaufgeräumten Kinderzimmers, in dem der kleine Peter (Matthias Zeeb) mit dem viel zu großen Kopf von seiner Babysitterin Lisa (Lisa Bitter) überwacht wird. Gleichzeitig aber etabliert er ein biedermeierliches Idyll im Guckkastenformat, in dem die Mutter (Marie Bretschneider) und der Vater (Peer-Uwe Teska) die brüchige Fassade ihres Ehelebens stützen - und beiläufig die Sekretärin (Magda Lena Schlott) oder den Klempner (Sebastian Fortak) vernaschen. So grundiert ein verlogenes Idyll die Phantasien des Jungen, die sich aus Hoffmanns grausamen Lektionen speisen und deren Pointe sich zuverlässig auf das Schlüsselwort "Tod" reimt.

Werner verfügt über ein wunderbar spielfreudiges Ensemble, das aus der anfangs noch etwas steifen Pantomime schnell zu seinen Figuren findet und gern den Gestus seiner Puppen-Partner übernimmt. Dabei steht ihm der Regisseur mit einer Fülle von Einfällen zur Seite und lässt etwa die Wonnen leiblicher Liebe mit Hilfe von Schreibtischschubladen simulieren. Die größte Faszination aber geht von den Liedern aus, die von der Band (Sebastian Herzfeld, Holger Gottwald, Gerd Hoppe und Karl-Fred Müller) nah am Original musiziert und exzellent gesungen werden.

Mit Mann und Maus

Wenn Matthias Zeeb die bösen Buben anfeuert oder Lisa Bitter dem hyperaktiven Zappelphilipp sekundiert, springt der Punk aus dem Bilderbuch - und erklärt die Rebellion der Kinder aus den Fehlern der Eltern. Nichts anderes meint dieser grelle, wilde Spaß, der im Wunderkerzenschein endet: Die Problemfälle für die Super-Nannys werden nicht geboren, sondern gemacht. Was aber passieren kann, wenn Männer mit Puppen spielen, konnte man auch bei der zweiten Premiere der Kulturinsel sehen.

Gemeinsam mit Regisseur Hans-Jochen Menzel und Dramaturg Karl Gündel hat der Puppenspieler Uwe Steinbach einen Solo-Abend entwickelt, der die Legende vom "Fliegenden Holländer" in eine kuriose Lügengeschichte bettet. Schauplatz ist ein Gerichtssaal, in dem der Kapitän des gesunkenen Containerschiffs "Marie Hedwig" ein Plädoyer in eigener Sache hält.

Als einziger Überlebender habe er sich auf ein Geisterschiff retten können, dessen verfluchter Kapitän nur aller sieben Jahre an Land gehen durfte und der nur durch die Liebe einer Frau erlöst werden konnte ... Steinbach findet seine Geschichte in einem halbleeren Aquarium und hinter einer schauerlichen Maske, er zieht Kronzeugen aus Plastikbeuteln und unter seinem Mantel hervor.

So virtuos er mit den Größenverhältnissen und Erzählperspektiven spielt, so heillos verstrickt er sich schließlich in seinem fein gesponnen Seemannsgarn - und wird am Ende von den Puppen verraten. Wer am skurrilen und absolut unberechenbaren Humor aus dem Hause Menzel Vergnügen findet, wird auf das Beste unterhalten.

Nächste Vorstellungen: 5. Juni ("Shockheaded Peter"), 6. Juni ("Holländer") je 20.30 Uhr