1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Neue Heilmittelrichtlinien: Neue Heilmittelrichtlinien: Streit um richtige Therapie

Neue Heilmittelrichtlinien Neue Heilmittelrichtlinien: Streit um richtige Therapie

Von Bärbel Böttcher 09.02.2004, 19:56

Halle/MZ. - Doch Rentner Michel fürchtet, dass seine Dauerbehandlung in Zukunft nicht mehr ohne weiteres möglich ist. Der Grund: Im Dezember hat der Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen neue Heilmittelrichtlinien beschlossen. Darin wird festgelegt, wann und wie oft ein Arzt Krankengymnastik, Massage, Sprach- oder Bewegungstherapie verschreiben kann.

Für Verstimmung sorgte zunächst das Vorgehen des Ausschusses. Die Richtlinien wurden noch im alten Jahr durchgepeitscht. Betroffene, also Patienten- und Behindertenverbände, sitzen aber erst seit Januar in diesem Gremium. Karl Hermann Haack (SPD), der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, sprach verärgert von einer "Nacht- und Nebelaktion".

Noch mehr erzürnen Betroffene die neuen Richtlinien selbst. So soll die mögliche Zahl der Verordnungen reduziert und die Langfrist-Behandlung komplett gestrichen werden. Zwischen zwei Behandlungsintervallen sollen zwölf Wochen Pause sein. Eine Verlängerung außerhalb des Regelfalls muss vom Arzt begründet und von den Kassen genehmigt werden. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) will in Kürze über die Zulassung der Richtlinien entscheiden. Am 1. April sollen sie in Kraft treten. Edeltraud Faßhauer hofft, dass die unzähligen Protestnoten, die Betroffene inzwischen an die Ministerin, den Behindertenbeauftragten und die Patientenbeauftragte geschickt haben, noch Wirkung zeigen. Sie hat Multiple Sklerose. Bei der Krankheit kommt es zu spastischen Lähmungen, Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen.

"Die wichtigste Therapie, sich locker zu halten, ist die dauerhafte Krankengymnastik", sagt die 56-Jährige, die selbst Ärztin ist. Dass man ihr die Krankheit kaum ansieht, hat viel damit zu tun, dass sie regelmäßig in physiotherapeutischer Behandlung ist. Doch sie spricht gar nicht in erster Linie für sich, sondern für ihre Leidensgenossen, "die zum Teil viel schlimmer dran sind, als ich". Sie brauchten die Dauertherapie, sagt die Medizinerin, die auch Vorsitzende des Patientenbeirates des Landesverbandes Sachsen-Anhalt und des Bundesverbandes der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft ist.

Beteuerungen etwa der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dass kein chronisch Kranker um seine Versorgung fürchten muss, können Edeltraud Faßhauer nicht beruhigen. "Wer von den wirklich schwer kranken Menschen, die zum Teil im Rollstuhl sitzen, soll den Mut und die Kraft haben, nach jedem Behandlungszyklus um einen weiteren zu kämpfen", fragt sie. Und die Ärzte? "Die sind mit den vielen Schreibereien doch auch überfordert."

Nun soll die Physiotherapie Patienten ja auch in die Lage versetzen, nach einer bestimmten Zeit Übungen selbstständig auszuführen. Doch da winkt Franziska Rikirsch ab. Die Physiotherapeutin führt das Beispiel der 13-jährigen Anne Räbiger an. Das Mädchen leidet an Mukoviszidose, eine schwere chronische Störung von Atmung und Verdauung. Beides wird durch regelmäßige Therapie angeregt. Einmal pro Woche übt Anne Räbiger unter Anleitung von Franziska Rikirsch eine Stunde lang. "Ich merke genau, welche Lungenseite besonders betroffen ist, welche Muskeln besonders gedehnt werden müssen", sagt die Therapeutin. Ein Laie könne das nicht feststellen.

Barbara Popp vom Deutschen Verband für Physiotherapie (ZVK) fügt hinzu, dass Patienten mit nur einer vorübergehenden Störung sicherlich in der Lage seien, nach einer bestimmten Zeit ein Programm selbstständig zu absolvieren. Bei chronisch Kranken sei aber immer die fachmännische Hand des Therapeuten notwendig. Und gespart werden könne mit den neuen Richtlinien kaum. "Im Gegenteil", sagt Barbara Popp. "Es besteht die Gefahr, dass viele Patienten zu Pflegefällen werden. Und das wird am Ende teurer."