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MZ-Interview MZ-Interview: «Oligarchen müssen abgeben»

22.08.2010, 14:18

FRANKFURT (MAIN)/MZ. - Die deutschenStadtwerke wollen die Macht der großen vierEnergiekonzerne brechen. Bei einer Verlängerungder Laufzeiten für Atomkraftwerke bestehtaber die Gefahr, dass sich "das Oligopol beimStrom verstärkt", Hans-Joachim Reck, Hauptgeschäftsführerdes Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU)sagte Reck. Mit ihm sprach Frank-Thomas Wenzel.

Die Kanzlerin ist auf Energiereise. Welche Stationen empfehlenSie ihr?

Hans-Joachim Reck: Ich finde es gut, dass sich die Bundeskanzlerinanschaut, was bei erneuerbaren Energien technisch möglich ist. Was mich freut ist, dass Umweltminister Norbert Röttgen sie teilweise begleitet. Das stärkt die Position des Bundesumweltministers. An solchen Signalen hat es in der Vergangenheit gemangelt.

Was macht Sie zum Röttgen-Fan?

Hans-Joachim Reck: Für Minister Röttgen sind die kommunalen Unternehmen die strategischen und natürlichen Partner für eine integrierte Umwelt- und Klimaschutzpolitik , die in die Zukunft weist.

Aber die vier Atomkonzerne- Eon, RWE, Vattenfall, EnBW - setzen Röttgen gehörig unter Druck, drohen sogar damit, die Kernkraftwerke kurzfristig abzuschalten.

Hans-Joachim Reck: Ich will das nicht weiter kommentieren. Die Konzerne hatten schon in der Vergangenheit Kommunikationsprobleme. Jetzt haben sie es geschafft, innerhalb kürzester Zeit alle gegen sich aufzubringen.

Trotzdem spricht vieles dafür, dass die Atomkonzerne eine Laufzeitverlängerung durchsetzen, zumalsich jetzt auch noch mächtige Dax-Chefs und einflussreiche Industrie-Lobbyisten in einer Anzeigenkampagne dafür stark machen.

Hans-Joachim Reck: Ich halte eine solche, einseitig an den wirtschaftlichen Interessen orientierte Aktion nicht für hilfreich. Bei den anstehenden energiepolitischen Entscheidungen müssen alle Ziele, wie Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Preiswürdigkeit der Energie Berücksichtigung finden. Mit pauschalen Aussagen in einer Anzeigenkampagne wird man der Komplexität der Sachverhalte nicht gerecht. Ich fürchte, diese Aktion wird den Akteuren mehr schaden als nutzen.

Dennoch, was bedeutet eine Laufzeitverlängerungfür die Stadtwerke in Deutschland?

Hans-Joachim Reck: Laufzeiten sollten nur verlängert werden, wenn es zu einem Marktausgleich bei der Stromproduktion zugunsten der Stadtwerke als dem energiepolitischen Mittelstand kommt. Bereits getätigte Investitionen in dezentrale Produktionsstrukturen dürfen nicht gefährdet werden; Neuinvestitionen müssen rentabel bleiben.

Aber war es nicht reichlich naiv, blind mit dem Atomausstieg zu kalkulieren? Schon vor Jahren war klar, wenn Schwarz-Gelb kommt, kommt auch der Ausstieg vom Ausstieg.

Hans-Joachim Reck: Wenn getätigte Investitionen nicht mehr rentierlich sind, weil eine Vereinbarung zwischen Politik und Energiebranche aufgekündigt wird, dann darf man ja wohl öffentlich intervenieren. Zumal wir die große Sorge haben, dass sich bei einer Laufzeitverlängerung das Oligopol beim Strom verstärkt – schon jetzt kontrollieren die großen Vier etwa 75 Prozent der Stromerzeugung.

Sie sindvon Hause aus Christdemokrat. Doch das hört sich richtigklassenkämpferisch an.

Hans-Joachim Reck: Ich bin Hauptgeschäftsführer des VKU und arbeite überparteilich. Ordnungspolitisch bin ich der kommunalen Selbstverwaltung sowie der sozialen und ökologischen Marktwirtschaft verpflichtet. Bei Gesprächen mit ranghohen Vertretern der Regierunghabe ich immer wieder gehört: Ach, das mit den Stadtwerken, das wird sich schon zurecht ruckeln. Ich meine: So geht es nicht. Die Unionlebt von der Kommunalpolitik. Sie sollte endlich erkennen, dass die Partei sich selbst schadet, wenn sie die kommunalen Unternehmen im Stich lässt. Die Bundesregierung hat die Pflicht, sich mit denBedenken gegendas Energie-Oligopol auseinanderzusetzen, zumal die Monopolkommission und das Bundeskartellamt dies auch kritisieren.

Jetzt mal ganz konkret. Was verlangen Sie als Gegengift für eine Laufzeitverlängerung?

Hans-Joachim Reck: Wir wollen, dass dann fossile Kraftwerke mit einem Wirkungsgrad von weniger als 35 Prozent stillgelegt werden. Abschaltung der Dreckschleudern muss ein strategisches Ziel sein. Denn beim Energiekonzept muss es um die Optimierung beim Energiemix gehen. Die großen Oligarchen müssen Kraftwerkskapazitäten abgeben.

Und die Stadtwerke sollen dann die fehlenden Kapazitäten ausgleichen? Womit?

Hans-Joachim Reck: Die Stärken der kommunalen Betriebe liegen eindeutig bei Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung, die mit Erdgas, Kohle und Biokraftstoffen als Brennstoff arbeiten und Strom und Wärme gleichzeitig erzeugen. Das bringt den extrem hohen Wirkungsgrad von 80 bis 90 Prozent.

Liegt das Heil für die Stadtwerke einzig und allein in der Energieerzeugung?

Hans-Joachim Reck: Keiner weiß, wie sich die Preise tatsächlich entwickeln werden. Nur klar ist, die Dämpfung der Energiekosten wird künftig vor allem über eine höhere Energieeffizienz erfolgen. Der Mengenverbrauch geht schon jetzt zurück. Das bedeutet auch, dass Stadtwerke sich neu positionieren müssen. Kooperationen sind angesagt.

Muss man nicht noch größer denken und eine Dachmarke schaffen wie die Sparkassen im Bankensektor?

Hans-Joachim Reck: Da ist in der Tat mein Ziel. Wir haben mit 150 Stadtwerken vor drei Jahren eine Dachmarkenkampagne ins Leben gerufen – mit dem Slogan:„Meine Stadtwerke. Gemeinsam stark“. Das Problem ist, dass wir esin den 50er Jahren versäumt haben, ein Logo wie das Sparkassen- S in den Markt zu bringen. Das ist heute schwer nachzuholen.

Ist es nicht nötig, bundesweit zusammenzuarbeiten, um beispielsweise Broker zu beschäftigen, die im immer wichtiger werdenden Handel mitStrom an der Börse mithalten können?

Hans-Joachim Reck: Solche Strukturen gibt es bei uns schon.Viele Stadtwerke arbeiten imUnternehmen oder in Kooperationen mit eigenen Brokern und handeln an der Strombörse.

Verbraucherschützer sehen bei Energiedienstleistungen ein riesiges bislang vernachlässigtes Feld.

Hans-Joachim Reck: Energieberatung hat gerade bei den Stadtwerken eine große Tradition und eine besondere Zukunft.

Tchibo zeigt gerade, wie’s geht. Das Unternehmen verknüpft Energieberatung mit dem Verkauf von Produkten, die helfen Strom zu sparen, von der LED-Lampe bis zum verbrauchsarmen Kühlschrank.

Ich schätze den Kaffee von Tchibo. Aber Sie haben Recht. Unser Geschäftsmodell ändert sich. Ich sehe bei den Themen „intelligente Stromzähler“ und „intelligente Häuser“, also bei der Steuerung des Energieverbrauchs,gute Chancen. Solche Dienstleistungen können Verluste beim Stromverkauf ausgleichen. Hinzu kommt noch die E-Mobility.Auch da wollen wir ganz vorne sein.

Wo wollen Sie Stromtankstellen für Autos aufstellen?

Hans-Joachim Reck: Als kommunale Infrastrukturdienstleister sind wir prädestiniert, E -Mobility über den öffentlichen Raum und die von uns unterhaltenen Parkhäuser zu gewährleisten.

Ist bei intelligenten Stromzählern wirklich was zu holen?Kaum jemandwill die haben, weil sie für einen Privathaushalt kaum Ersparnis bringen.Wie wollen Sie dieses Geschäft in Gang bringen?

Hans-Joachim Reck: Unsere Unternehmen haben eine Vielzahl von Modellprojekten laufen. Hier fehlen noch Standardisierungsvorgaben für die Zähler und es geht auch um die Frage, wer trägt die Kosten. Aber beim Thema Smart Metering und Smart Grids liegt eindeutig die Zukunft.

Wären Stadtwerke als Komplettanbieter, die die Sanierung von Häusern mit Wärmedämmung übernehmen und moderne Kühlschränke verkaufen, der nächste logische Schritt?

Hans-Joachim Reck: Die Beratung wird sicherlich an Bedeutung gewinnen, auch was die Finanzierung von Wärmedämmung und andere sogenannte „Contracting“-Modelle angeht. Aber Stadtwerke werden nie Heizungsbauer oder Installateure ersetzen. Das örtliche Handwerk ist unser Partner und nicht unsere Konkurrenz.

Besteht da nicht die Gefahr, dass die Entwicklung über die Stadtwerke hinweggeht? Es wird künftig intelligente Stromzähler geben, die wie elektronische Stromhändler agieren unddie jeweils günstigste Elektrizität derBörse vollautomatisch einkaufen.

Hans-Joachim Reck: Ich weiß nicht, obdas so oder anders kommt. Wichtig ist aber in diesem Zusammenhang:Rosinenpickerei im großen Stil dürfen wir nicht zulassen – die Daseinsvorsorge durch die kommunale Wirtschaft muss sichergestellt bleiben. Das ist ein hohes Gut. Die Bürger müssen zufairen Preisen mit Energie und Wasser versorgt werden. Die Müllabfuhr muss funktionieren, und Stadtwerkewerden weiter lokale Buslinien betreiben.

Haben Sie Verständnis dafür, dass es Kunden gibt, die sich über diese Verknüpfung von Aufgaben ärgern? Dass sie letztlich mit überhöhten Strompreisen Busse oder Hallenbäder finanzieren, die sie niemals nutzen?

Hans-Joachim Reck: Die Strompreise sind deshalb nicht höher, sondern unsere Eignerkommunen verwenden nur die Gewinne anders als es die privaten Unternehmen tun. Wenn sie nichtauf diesem WegBäder oder Bussefinanzieren würden, müssten sie es über höhere Steuern machen.Ich halte das jetzige System für eine faire Lösung.