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Michael Kleeberg Michael Kleeberg: Ein Mann baut sich seinen Sonnenstaat

Von Ulrich Steinmetzger 21.12.2001, 10:10

Halle/MZ. - Wir sind im Paris zur Mitte des 18. Jahrhunderts.Ludwig XIV. ist lange tot, Diderot ist einjunger Mann und Theodor Neuhoff ist der Königvon Korsika. Der Sonnenstaat beginnt aufzuklaren.Aber ein knapp 9000 Quadratkilometer großes,schwer einnehmbares Bergmassiv im Mittelmeerzwischen Frankreich und Italien veranstaltetein kaum bemerktes Vorglühen der Ereignisse.Acht Monate lang steht ein abenteuerlicherWestfale aus einem Geschlecht von Geldmenschenan den Reglern.

Michael Kleeberg erzählt dieses Leben. Ererzählt es genau so, wie man das machen muss:Zeitlos langsam, eins nach dem anderen auseinem sicheren Abstand heraus, in langen,elegant fließenden Satzperioden und in allergebotenen Ausführlichkeit, damit die Geschichtedieses merkwürdigen Lebens genau zu dem Lesefutterwird, das man sich wünscht bei solchen historischenRomanen. Hinterher ist man klüger und hatsich gut unterhalten. Man hat sich Zeit genommen,weil ein Autor sich Zeit gelassen hat. Vorherhatte man gar nicht gewusst, dass gerade dieserStoff einen interessieren würde.

In diesem rundum gelungenen Fall bleiben exzellenteBeschreibungen des dreidimensionalen Schuldenlabyrinthszu Versailles mit seinen Intrigen, Hierarchienund mit seinen unendlich vielen Leuten, dievom ewigen Kreislauf überflüssiger Tätigkeitengetrieben sind.

Schlachtengemälde bleiben, Geschichtenvon erster Liebe und kalkuliertem Sex, Beschreibungenvon Paris, London, Amsterdam, Venedig, Florenz,Wien, Madrid und von Berthelsdorf, dem kursächsischenHauptquartier der Herrnhuter. Es bleiben wunderbareSätze fürs Zitatenalbum: "Man muss die ernstenProbleme mit Leichtigkeit und die gewichtslosenmit Ernst angehen." Oder: "Lasst uns die Dingenicht bei dem Namen nennen, den eine Weltfür sie hat, die nicht die unsre ist." Zusolch stolzem Leugnen der Welt hat seine MutterTheodor Neuhoff (1694-1756) erzogen. Der jedochwächst verwaist und im Alleingang über dieimposanten Vorgaben hinaus, wird zum "reisendenVertreter in eigener Sache", zum übersteuertenKind seiner Zeit, zum aufgeklärten Prototypdes Zufrühgekommenen, zum Rohr im Wind einerdämmernden Moderne. Ein Hochstapler und Visionär,ein blendender Weltenbummler und ein geblendeterEgoist. Ein Mensch wie eine Insel, der denAugenblick nicht halten kann.

Michael Kleeberg erzählt von ihm in perfektenBildern. Spannend, ein bisschen pathetischund sehr genau. Goethes Entwicklungsgedankeund Thomas Manns Lebens-Künstlerdrama hater dazu heranzitiert, um sie alsbald unauffällighinter seinen üppigen Kulissen verschwindenzu lassen. Mittendrin errichtet er ein Zwischenreichund inszeniert für Theodor Neuhoff die Rolleseines Lebens.

Michael Kleeberg: "Der König von Korsika",Deutsche Verlags-Anstalt, 380 Seiten, 39,80Mark.