1. MZ.de
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Literatur-Zeitschrift: Literatur-Zeitschrift: «Blaue Schrift» statt blauer Blume

Literatur-Zeitschrift Literatur-Zeitschrift: «Blaue Schrift» statt blauer Blume

Von Gero Hirschelmann 30.03.2001, 16:02

Halle/MZ. - Warum er das tut? Ralf Meyer ist irritiert. Wenn er gefragt worden wäre, wieso er keine rote Pappnase trägt, wenn er durch die Stadt läuft - er hätte wahrscheinlich ähnlich überrascht reagiert. Ist es wirklich so abwegig, mit viel Zeitaufwand eine winzige Literaturzeitschrift ("Die Blaue Schrift", Auflage: 80 Stück) herauszugeben, sie mit aufwändigen Grafiken und Fotografien zu bestücken, das Ganze in ein spannungsvolles Layout zu verpacken und dann noch auf Leser zu hoffen? Der Dramaturg des halleschen Puppentheaters meint: Nein! Und: "Jetzt gerade." In den Zeiten von Harry Potter und ebenso gesprächigen wie nonchalanten Pop-Texten heißt es Flagge zu zeigen. Gegen die poetische Fast Food von der literarischen Schnell-Imbiss-Theke, für Texte mit Haken und Ösen, die nicht so einfach und so schnell verdaulich sind.

Deshalb setzt sich Meyer regelmäßig mit seinen Redaktionskollegen Karen Goepel und Richard Berger zusammen. Wenn sie sich dann auseinandergesetzt haben, ist meistens eine "Blaue Schrift" fertig. In diesen Tagen ist die vierte Ausgabe des Heftes erschienen. Was da für elf Mark aus dem lokalen Untergrund angeboten wird, geht weit über einen Strauß aus gutem Grund ungedruckter Texte hinaus. Die Zeitschrift präsentiert zwei ehemalige Stadtschreiber Halles (Wilhelm Bartsch, André Schin kel), den lustigsten Prosa-Debütanten des Jahres (Wolfgang Rüb: "Konzert für Stubenfliege und Orchester", Reclam) und weitere Honoratioren (beispielsweise Holger Benkel, Georg-Kaiser-Förderpreis 1996).

Ganz klar: Die üblichen Verdächtigen der Szene sind versammelt. Aber im vergleichsweise kleinen Halle ist das anders nicht möglich, den Machern also kein Strick aus der begrenzten Zahl relevanter Texte zu drehen. Umso überraschender ist die quicklebendige Mischung. Der Mansfeld-Goethe Werner Makowski steht mit klassizistischen Gedichten neben einem kruden "Grausolet" von Holger Leisering ("Das graue Brot lieb ich vor allem/ Kamerad, bist nicht umsonst gefallen"), der eindringliche Sarkasmus Ronald Gruners trifft auf eine spiegelverkehrte Kürzest-Geschichte Ulrich Bergmanns.

Natürlich fallen auch einige Texte ab. Auf der Suche nach der Blauen Blume unterlaufen manchem der "Blauen Schrift"steller unkontrollierte Ausflüge in Kitsch, Pathos oder andere Niederungen der Nichtigkeit. Ralf Meyer stört das nicht. Die Qualität sei insgesamt besser als die vergleichbarer Editionen: "Wir brauchen uns nicht zu verstecken." Stimmt. Einer muss sich ja um die Qualität von Literatur kümmern. Auch in Kulturhauptstädten. Und auch wenn es manchmal sinnlos scheint.

Mehr Informationen, auch über die nächste Ausgabe "Rhythmus und Sprache", unter www.blaueschrift.de.